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Diese Frau führt den Sport in eine andere Dimension

Der Rittberger im Eiskunstlauf, der Kempa-Trick im Handball oder der Zidane-Trick im Fußball - wenn besondere Sportler eine nie dagewesene Aktion erfinden und perfektionieren, erhält diese ihren Namen.

Simone Biles war in Stuttgart nicht zu bremsen. (Bild: Getty Images)
Simone Biles war in Stuttgart nicht zu bremsen. (Bild: Getty Images)

Diese besondere Ehre ist mehr wert als eine Goldmedaille oder Meisterschaft, sie bleibt für immer und motiviert Generationen zum Nachmachen. Simone Biles hat nun innerhalb von wenigen Tagen zwei Elemente namens "Biles I" und "Biles II" uraufgeführt.

Die US-Turnerin zeigte zunächst ein Double-Double, einen neuen Abgang vom Schwebebalken, der aus einem Doppelsalto rückwärts mit doppelter Schraube besteht. Kurze Zeit später gelang ihr am Boden ein so genanntes Triple-Double: Dabei machte die 22-Jährige während ihres Flugs zwei Rückwärtsdrehungen mit einer integrierten Dreifachschraube.

Für das Triple-Double, den sogenannten "Biles II", vergab der Weltverband erstmals die neu eingeführte Wertigkeit J, der Double-Double wurde mit der Wertung H bedacht.

Hambüchen: Nicht einmal im Training geschafft

Der frühere deutsche Turnstar Fabian Hambüchen gab zu, den Triple-Double selbst im Training nie geschafft zu haben. Lediglich einer Handvoll Männern ist er bisher gelungen, einer Frau noch nie - bis letzten Mittwoch.

Biles hat das Turnen auf eine neue Stufe gehoben. Wirkten ihre Vorgängerinnen in ihren Glitzerdressen oft divenhaft und perfekt, verkörpert Biles das Profil einer einzigartigen Athletin: Sie ist gerade einmal 1,43 Meter groß, wiegt 47 Kilo und ist so kräftig, dass sie - gefühlt - hauptsächlich aus Muskeln besteht.

Bei der Turn-WM in Stuttgart wird sie bejubelt wie ein Popstar, ihre Salti und Schrauben erfinden das Turnen neu und begeistern die Massen so sehr, dass auch das früher oft gemäßigte und kurze Jubeln neue Dimensionen erreicht.

Biles verbessert Uralt-Rekord

Am Samstag stellte sie mit dem Gewinn ihrer 23. WM-Medaille einen Allzeit-Rekord von Witali Scherbo ein, am Sonntag ließ sie Medaille Nummer 24 folgen und ist nun alleinige Rekordhalterin.

Schon jetzt ist sie die beste Turnerin der Geschichte und nach vorherrschender Meinung die aktuell beste Sportlerin die Welt (als solche wurde sie in diesem Jahr unter anderem mit dem "Sport-Oscar" Laureus ausgezeichnet). Mittlerweile wird sie auch als der Weltstar, der sie ist vermarktet.

In ihrer Heimat regelmäßig in TV-Shows zu Gast, in den sozialen Medien folgen ihr Millionen Fans. Die Boulevard-Portale erfreut sie auch mit ihrer offenbar glücklichen Beziehung zu Ex-Turnkollege Stacey Ervin Jr., der bis vor kurzem als Wrestling-Hoffnung bei WWE unter Vertrag stand (dann aber nach einer Verletzung um seine Entlassung bat).

Biles selbst ist der Hype um ihre Person fast ein bisschen peinlich. Sie wolle sich als Mensch präsentieren, "nicht als Superstar. Ich will mich beim Turnen nicht als Simone Biles präsentieren, sondern als Simone", sagte sie der Süddeutschen Zeitung.

Für die vor allem jugendlichen Fans ist Biles auch deswegen eine Vorzeige-Athletin, weil sie auf dem Weg nach ganz oben viele Probleme überwinden musste.

Schwierige Kindheit und sexueller Missbrauch

Mit vier Jahren wurde sie und ihre Schwester von ihren Großeltern adoptiert - zuvor hatte der Vater die Familie verlassen, ihre Mutter war drogenkrank.

Biles wuchs in Texas auf und nennt ihre Großeltern noch heute "Mom and Dad". Die Familienkrise hat sie noch immer nicht hinter sich gelassen, im August wurde ihr Bruder wegen Beteiligung an einer Schießerei mit drei Toten festgenommen. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Außerdem wurde sie in jungen Jahren vom ehemaligen Arzt des US-Turnteams sexuell missbraucht. Larry Nassar hatte sich über Jahre hinweg an jungen Sportlerinnen vergangen. Die Aufklärung des Falls dauerte jahrelang und beschäftigte sogar den US-Kongress, weil der Verband die Ermittlungen verschleppte und vertuschte.

Letztlich wurde der Arzt wegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauchs zu einer Haftstrafe von 60 bis 175 Jahren verurteilt, Biles übte im August heftige Kritik. "Ihr hattet buchstäblich diesen einen Job, aber ihr habt uns nicht beschützt."

"Kaum zu begreifen, was sie leistet"

Biles ließ ihre schwierige Kindheit hinter sich, sie will einfach Turnerin sein. Nach den Olympischen Spielen 2016, bei denen sie vier Mal Gold und einmal Bronze gewann, machte die 22-Jährige eine Pause, kam aber noch stärker zurück.

Biles turnt in allen Elementen außer dem Stufenbarren in ihrer eigenen Liga, sie wirkt mit ihrer Explosivität und Kraft wie ein großer Flummiball.

"Es ist kaum zu begreifen, was sie leistet. Ich beglückwünsche jede Turnerin in Stuttgart, die Zweite wird", sagte die deutsche Turn-Bundestrainerin Ulla Koch dem Tagesspiegel. "Diese kann sich als zweite Weltmeisterin fühlen. Denn Biles ist herausragend."

Dem ist nichts hinzuzufügen.