Diesel-Diskussion bei Anne Will: Wie sich Verkehrsminister und VW-Vorstand aus der Verantwortung stehlen

VW-Manager Diess, Verkehrsminister Schmidt, Ex-Rennfahrer Rosberg, Moderatorin Will, SPD-OB Geissel und Grünen-Politikerin Göring-Eckardt. (von links) Foto: ARD Screenshot
VW-Manager Diess, Verkehrsminister Schmidt, Ex-Rennfahrer Rosberg, Moderatorin Will, SPD-OB Geissel und Grünen-Politikerin Göring-Eckardt. (von links) Foto: ARD Screenshot

Am Sonntag diskutierte ganz Deutschland über die Zustimmung der SPD-Basis zu einer Großen Koalition. Ganz Deutschland? Mit einer Ausnahme. Anne Will stritt mit ihren Gästen nicht über GroKo und Ministerposten, sondern über den Diesel-Skandal. Will begründete die ungewöhnliche Themenwahl so: Die Politik habe lange genug um sich selbst gekreist. „Jetzt darf es endlich wieder um die Sachthemen gehen.”

Worum ging es? Nach dem Diesel-Urteil rollt eine Welle der Empörung durchs Land. Dieselautos verlieren an Wert. Viele Autobesitzer fühlen sich von Politik und Industrie im Stich gelassen. Insgesamt sind etwa zwölf Millionen Fahrer betroffen. Selbst wenige Monate alte Euro-6-Diesel könnten demnächst wegen zu hoher Stickoxid-Werte aus Städten verbannt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte kürzlich: „Es handelt sich nur um einige wenige Städte.” Offenbar hat Merkel eine sehr spezielle Definition von „wenig”. Tatsächlich drohen in 70 Städten Fahrverbote, darunter in München, Hamburg, Berlin, Stuttgart und Düsseldorf.

Was tun? Das wollte Anne Wille am Sonntagabend wissen. Eines vorweg: Es wurde eine der aufschlussreichsten Gesprächsrunden der vergangenen Monate. Und das lag vor allem an CSU-Verkehrsminister Christian Schmidt und VW-Vorstand Herbert Diess. Nicht, dass die sich konkret zu Verantwortung und Konsequenzen geäußert hätten. Gott bewahre. Aber Schmidt und Diess offenbarten eine solchen Chuzpe, dass zeitweise unklar war, ob das noch unverfroren oder schon Realitätsverweigerung ist.

Beispiel eins: “VW baut die besten Diesel”

Wer hat Schuld daran, dass die Gesundheit von Millionen Menschen durch zu hohe Stickoxid-Werte gefährdet ist und Millionen Autofahrer möglicherweise nicht mehr in die Innenstädte dürfen? Auf diese Frage suchte Will Antworten.

VW-Vorstand Diess erklärte. „VW baut die besten Diesel, die Sie weltweit kaufen können – und das vor und nach der Umrüstung.” Die besten Diesel? War da nicht was? Beispielsweise eine Betrugssoftware, mit der VW Abgaswerte manipuliert? „Nein”, sagte Diess. „VW hat nicht betrogen, sondern die Software falsch programmiert.” Bleibt die Frage: Warum akzeptierte der Konzern in den USA eine Strafzahlung von 2,8 Milliarden Dollar? (Wobei die Entschädigungen an die Kunden noch nicht eingerechnet sind) Noch mal O-Ton Diess: „In den USA haben wir einen Fehler gemacht.” In Deutschland könne von Betrug keine Rede sein. Komischerweise überschreiten Golf & Co hierzulande trotzdem die vorgeschriebenen Grenzwerte um ein Vielfaches. Jedenfalls dann, wenn das Auto ausnahmsweise mal nicht auf einem Labor-Prüfstand steht, sondern – für ein Fahrzeug völlig ungewöhnlich – durch die Stadt kurvt.

Wer glaubt, dass der VW-Mann allein in einer wundersamen Welt lebt, der hat Verkehrsminister Schmidt nicht erlebt. Schmidt antwortete auf oben genannte Frage: „Warum suchen wir in Deutschland eigentlich immer nach dem Schuldigen?”. Ja, warum eigentlich? Vielleicht, weil in einem Rechtsstaat jemand die Verantwortung für Gesetzesverstöße übernehmen sollte. Eventuell auch, weil Kunden wissen wollen, wem sie den Wertverlust ihrer Autos zu verdanken haben.

Beispiel zwei: “Die Bundesregierung hat alles richtig gemacht”

Anne Will fragte nach Lösungen für das Schlamassel. Die existieren. So ergab eine ADAC-Studie, dass eine Nachrüstung von AdBlue-Katalysatoren die Stickoxide um 70 Prozent reduzieren würde, auf Autobahnetappen sogar um 90 Prozent.

Doch die Automobilindustrie verweigert ein solches Hardware-Update. VW-Manager Diess: „Das ist ein ein starker Eingriff in das Fahrzeug; wir müssten einen 15-Liter-AbBlue-Tank einbauen, Löcher in die Karosserie bohren und alles an die Motorsteuerung anschließen.”

Von der Politik ist diesbezüglich kein Druck auf die Industrie zu erwarten. Minister Schmidt betonte: „Wir müssen jetzt nach vorne schauen.” Dann schwärmte er von O-Bussen und Elektroautos. Schön und gut. Aber was ist mit den Kunden, denen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Fahrverbote drohen? Zumal die Richter eine Mitverantwortung der Regierung konstatiert haben. Müsste die Regierung jetzt nicht handeln? Schmidt sagte allen ernstes: „Ich halte das Urteil für eine Bestätigung der Politik, die wir eingeleitet haben.” Diese Meinung dürfte der Minister exklusiv haben. Andererseits ist es fast schon rührend, wie sich der Mann schützend vor die Autoindustrie stellt.

Fakt ist: Entweder müssen Millionen Autos umgerüstet oder sogar aus dem Verkehr gezogen werden. Wer zahlt das? CSU-Mann Schmidt sagte: „Das wird ein Gutachten zeigen.” Schon klar. Prognose: Die Zeche begleichen die Kunden und letztlich alle Steuerzahler. Dafür versprach der VW-Vorstand, Volkswagen werde bald umweltfreundliche Autos auf den Mark werfen. „Wir kommen groß in den Elektromarkt”, sagte Diess. Dass sein Unternehmen damit gut ein Jahrzehnt hinterher hinkt, verschweigt er vornehm.

Toyota baut mittlerweile die vierte Generation Hybrid-Autos und neuerdings auch ein Modell mit Wasserstoffantrieb. Hyundai und Nissan setzen ebenfalls auf alternative Antriebe. Und US-Elektroautobauer Tesla hat 2017 in Europa mehr Oberklassefahrzeuge verkauft als BMW und Mercedes. Selbst die Deutsche Post, bislang nicht als High-Tech-Unternehmen bekannt, baut mittlerweile Elektrofahrzeuge in Serie. VW-Manager Diess erklärte: „Wir sind auf einem guten Weg.”

Was sonst noch geschah

Gegen das kongeniale Duo Diess & Schmidt blieben die anderen Gäste blass. Erstaunlich. Vor allem, weil auch eine Grünen-Politikerin in der Talkrunde saß. Naturgemäß müsste der Dieselskandal eine Traumvorlage für die Ökopartei sein. Schließlich ist Umwelt deren Herzensthema. Doch Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende im Bundestag, beschränkte sich auf Appelle an die Autoindustrie und warf dem Verkehrsminister „eklatantes Versagen” vor. Damit hat sie zwar recht. Aber einige konkretere Aussagen oder Vorschläge wären hilfreich gewesen.

Thomas Geisel (SPD), seit 2014 Oberbürgermeister von Düsseldorf klagte, dass die Kommunen nun den Schwarzen Peter zugeschoben bekämen. Er müsse nun eventuelle Diesel-Fahrverbote durchsetzen.

Für eine kleine Überraschung sorgte immerhin Nico Rosberg. Was ihn für diese Runde qualifizierte blieb zwar unklar. Anscheinend der Umstand, dass der Formel-1-Weltmeister von 2016 privat einen Diesel fährt. Dafür outete er sich als Fan von Elektroautos. So investiere er in ein Unternehmen, das die Auflade-Infrastruktur bereitstellt. Zu Recht wies Rosberg darauf hin, dass E-Mobilität nicht automatisch umweltfreundlicher sei. Es komme darauf an, woraus der Strom produziert werde. In Deutschland bislang etwa zu 50 Prozent aus Braunkohle.

Fazit: Die Autoindustrie übernimmt bisher keine Verantwortung für Umwelt und Kunden, beschränkt sich auf Software-Updates und Unschuldsbeteuerungen. Die Politik weigert sich, die Hersteller zu effektiven Umrüstungen zu zwingen – und beide zusammen reden sich die Lage schön. Das ist zwar nicht neu. Aber so deutlich, wie bei Anne Will, erlebte man dieses traurige Schauspiel selten.