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Filterblasen, Hass und Hacker: Was die sozialen Medien für die Bundestagswahl bedeuten

Die Kandidaten bringen ihre Botschaften unter die Leute - und kämpfen mit Problemen.

Politik fängt ja im Kleinen an, bei den zerschlissenen Polstermöbeln auf den Bordsteigen von Neukölln zum Beispiel, Christina Schwarzer weiß das. Sie sitzt früh am Morgen in einem türkischen Frühstückscafé nahe dem Herrmannplatz, wischt über ihr Handy, ihr Facebook-Newsfeed gleitet vorbei, Fotos, eine Aufnahme des Abendhimmels über Rudow, ihre Wahlplakate, dazwischen Nachrichten, es geht um vollgelaufene Keller im Blumenviertel, die Personalnot in einem Neuköllner Reha-Zentrum und eben das Problem mit dem illegalen Müll. Eine bodenständige Mischung, aber dahinter steckt Kalkül. Die Politikerin will, dass sich die Wähler auf Facebook von ihr angesprochen fühlen – mit Themen, die für sie eine Rolle spielen: „Die Leute sollen wissen: Wofür steht Frau Schwarzer eigentlich?“ Vom Einzelfall abhängig Schwarzer ist CDU-Politikerin, Bundestagsabgeordnete, Mitglied im Ausschuss digitale Agenda, eine kräftige Frau, rötliche Haare, pastellfarbener Blazer. Ihr Facebook-Profil gestaltet sie gemeinsam mit zwei Mitarbeitern, einer davon ist Philipp Gräfe, der neben ihr auf der Bank sitzt, ein Fachmann für digitale Kommunikation. „Wir überlegen uns genau, mit welchen Themen wir welche Zielgruppen erreichen“, sagt sie, einmal pro Woche setzen sie sich zusammen, um Ideen für Posts zu entwickeln, Gräfe sagt: „Wir versuchen zu zeigen, dass da ein echter Mensch ist und kein bloßer Anzugträger.“ Die Art und Weise, wie Politiker kommunizieren, hat sich grundlegend verändert: Früher verschickten Abgeordnete Pressemitteilungen an die Journalisten; zu ihren Wählern sprachen sie meist nur von Podien herunter. Das tun sie zwar weiter. Zusätzlich aber steht ihnen in den Sozialen Medien eine Plattform zur Verfügung, auf der sie ihre Botschaften ins Land tragen, Debatten beeinflussen und Menschen einnehmen können. Auch im Bundestagswahlkampf spielen die Netzwerke erstmals eine große Rolle: In Wahlkampfzentralen aller Parteien gibt es Strategen, die nur für die digitale Kampagne zuständig sind; doch wie erfolgreich die Kandidaten das Internet einsetzen, hängt stark vom Einzelfall ab. Bissige Kommentare Einige haben noch gar kein Facebook-Profil, bei vielen wirken die digitalen Auftritte ziemlich dilettantisch, manche profitieren von überproportional starken Reichweiten: Niema Movassat etwa, ein relativ unbekannter Abgeordneter der Linken aus Oberhausen, lässt mit knapp 20.000 Likes so manchen prominenten Politiker hinter sich. Die Vorteile, die ihm die Sozialen Medien bieten, nutzt er bewusst. „Ich kann direkt mit meinen Wählern kommunizieren, bekomme Fragen, kann gleich antworten und kriege bestimmte Stimmungen mit“, sagt er, „das alles ist wichtig im Wahlkampf.“ Movassat, ein eher kleiner Mann Anfang 30 mit rundlichen Wangen, spurtet an einem Nachmittag Ende Juli die Treppe des Bundestagsgebäudes hoch, er ist gerade aus seinem Wahlkreis zurückgekehrt. In seinem Büro lässt er sein Gepäck fallen. Aus einer Tasche springt sein Chihuahua, der Hund hat auch ein eigenes Facebook-Profil, aber nur 200 Likes. Movassat erzielt seine Wirkung vor allem mit zum Teil bissigen Kommentaren zu aktuellen Nachrichten; zuletzt ging es um die Ablösesumme des brasilianischen Fußballstars Neymar, um den Dieselskandal und die Großspenden an die FDP, ein bunter Strauß linker Aufregerthemen also. Mehr als 200.000 Menschen erreicht Der Politiker sinkt in einen Sessel, nimmt sein Handy, ein paar Klicks, dann erscheint seine Facebook-Statistik, 213.983 Menschen hat er in der vergangenen Woche erreicht, 73 Prozent der Vorwoche. „Klar“, sagt er, „da waren die G20-Proteste“, er hatte eine Vielzahl von Beiträgen gepostet, Fotos von den Protesten, Berichte von Polizeigewalt: „Da gab es ständig etwas, was die Leute bewegt.“ Movassat kennt aber auch die hässliche Seite der digitalen Wirklichkeit. Er hat schon viel Hass im Internet abgekriegt, Beleidigungen, rassistische Anfeindungen. Anfangs hat ihn das mitgenommen, sagt er, „mittlerweile ist mein Fell dick“. Er weiß, wie schnell die Stimmung im Netz kippen kann. Je stärker Politiker die Plattformen nutzen, umso relevanter wird die Frage, ob sie letztlich Populisten und Demagogen nutzen: Fehlinformationen, Propaganda-Roboter, Hackerangriffe – all das sind mächtige Instrumente: „Die Manipulationen werden zunehmen. Das ist ein Risiko – es stört die sachliche Debatte und ich glaube, dass wir das jetzt im Wahlkampf zum ersten Mal erleben werden.“ Eine gefährliche Mischung Facebook...Lesen Sie den ganzen Artikel bei berliner-zeitung