Doku auf 3Sat: Fleisch muss endlich teurer werden

Auch in der Rinderwirtschaft gibt es immer häufiger naturnahe Betriebe. Foto: ZDF / Mathias Denizo
Auch in der Rinderwirtschaft gibt es immer häufiger naturnahe Betriebe. Foto: ZDF / Mathias Denizo

Die Dokumentation am Mittwochabend auf 3Sat geht der Frage nach, ob die Weltbevölkerung in Zukunft ihren immensen Fleisches-Hunger stillen kann – ohne die Erde weiter zu schädigen: „Unser täglich Fleisch – neue Wege in die Viehwirtschaft.“

Die globale Fleischproduktion wird sich bis 2050 fast verdoppeln, weil der Bedarf an tierischem Eiweiß wächst.

Mit diesem Satz beginnt die Dokumentation von Benoit Bringer über den globalen Fleisch-Konsum und den Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Es folgen noch weitere Aussagen mit ähnlicher Tragweite, sie finden sich, stets kursiv, lose in diesem Text wieder.

„Unser täglich Fleisch“ beginnt damit, dass der Autor seine Motivation erklärt, die ihn an das Thema herangeführt und ihn schließlich auf mehreren Kontinenten hat recherchieren lassen: sein Sohn. Der ist wenige Jahre alt, durch ihn hat Bringer begonnen, die Welt und die Tiere in ihr neu zu betrachten. Seither stellt er sich die Frage, ob es möglich ist, die Menschheit nachhaltig zu ernähren: „Mein Sohn ist der Grund, wieso Gleichgültigkeit keine Option mehr ist. Ich muss mehr herausfinden.“

Sein erster Gesprächspartner ist Mark Bittman, Autor und Ernährungsexperte. Der erklärt den Status Quo: „Wir haben die Fleischproduktion industrialisiert. Die Frage damals war: Wie können wir viel Getreide produzieren und möglichst viele Tiere halten? Doch es gab Alternativen, wir hätten auch fragen können: Wie ernähren wir uns gesund? Wie schonen wir unser Ackerland? Wie können wir human mit Tieren umgehen? Wir haben diese Fragen aber zugunsten des Ertrags ignoriert.“

Um unseren derzeitigen Verbrauch über 2050 hinaus aufrecht zu erhalten, bräuchten wir einen halben Planeten mehr.

Doch es gibt immer mehr Menschen, die umdenken. Wie Jude Becker, der in den USA als Bio-Schweinezüchter arbeitet. Er nennt seine Farm das „Gegenteil der industriellen Herangehensweise.“ Die Tiere leben im Freien, wühlen, erkunden ihr Umfeld. Er sagt: „Ich beaufsichtige ein natürliches System. Es tut gut, ihnen beim Spielen zuzuschauen. Sie sind nicht nur ein Produkt und es geht nicht nur um Effizienz. Es sind fühlende Lebewesen.“

Um gesund aufzuwachsen, hilft Ferkeln eine natürliche Umgebung mehr als Antibiotika. Foto: ZDF / Mathias Denizo
Um gesund aufzuwachsen, hilft Ferkeln eine natürliche Umgebung mehr als Antibiotika. Foto: ZDF / Mathias Denizo

In Frankreich werden nur ein Prozent der Schweine so gehalten, wie es Becker handhabt. Der überragende Teil lebt im industriellen Mastbetrieb – wie einer in Finistère steht. Hier spielt sich das Leben der Tiere im Inneren ab. Es gibt riesige Geburtshallen, die vollbelegt sind. Weil die Säue alle am selben Tag befruchtet werden, gebären sie auch im gleichen Zeitraum. Nach der Niederkunft werden die Muttertiere dann unter einem Stahlgitter fixiert, die Ferkel kommen so an die Zitzen. Ein Mitarbeiter sagt: „Eine Sau liegt sowieso die meiste Zeit auf dem Boden, sie braucht keinen Platz.“

„Kann sie sich drehen?“, fragt Bringer.

„Nein.“

Denn es geht nur um das Material, das die Tiere liefern. Nicht um die Tiere. Dieses Denken hat einen ökonomischen Usprung: Durch die Industrialisierung sind die Lebensmittelpreise radikal gesunken – um 1950 haben die Menschen 45 Prozent ihres Lohns für Essen ausgegeben. Heute sind es 15 Prozent.

Laut Welternährungsorganisation ist die Viehwirtschaft für 14,5 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich.

James McWilliams, Professor für Geschichte Uni Texas erklärt, wie weit die Industrialisierung fortgeschritten ist – am Beispiel der Hühnerindustrie: „Sie ist der Inbegriff von Effizienz und Kostenersparnis. Es herrscht fast vollständige genetische Einheitlichkeit. Sie werden sehr schnell fett, leben in völliger Gefangenschaft in sind nach fünf bis sechs Wochen ausgewachsen. Ein wildes Dschungelhuhn wird 20 Jahre alt, von ihm stimmen Haushühner ab.“

Hühner leben auch durchaus freiwillig dicht an dicht. Foto: ZDF / Mathias Denizo
Hühner leben auch durchaus freiwillig dicht an dicht. Foto: ZDF / Mathias Denizo

Wie diese industrielle Hühnerzucht genau aussieht, will Berger wissen und begleitet den Aktivisten Christian Adam, der sich nachts unerlaubt Zutritt zu einer Zuchtanlage verschafft – eine Drehgenehmigung bekomme man ohnehin nicht. Drinnen: 40.000 Tiere in einer Halle, eine gewaltige Masse an Köpfen, die an Futteranlagen, die sich durch die ganze Halle ziehen, stehen und pausenlos fressen. Es ist taghell, die Tiere sollen nicht schlafen, sondern fett werden, sagt Adam. „Sie haben immer Hunger, sie sind so gezüchtet.“

Laut einer umfassenden WHO-Studie ist der Verzehr von verarbeitetem Fleisch krebserregend.

Weiter erklärt er, was in dem Gedränge passiert: „Die Sterblichkeitsrate liegt hier bei acht Prozent. Während der Aufzucht sterben also 4.000 Tiere wegen der Zustände hier. Manche Tiere haben Durst, kommen aber nicht ans Wasser, weil sie sich nicht aufrichten können. Sie verdursten. In Deutschland werden 95 Prozent der Hühner, die wir essen, so gezüchtet.“

Dass Massentierhaltung und Tierschutz durchaus zusammengehen, zeigt John Brunquell aus Indiana. Seine Hühner produzieren eine Million Bio-Eier pro Tag. Den Tieren stehen zwei Quadratmeter Freiland und 0,1 Quadratmeter Käfig zur Verfügung – die Tür dazwischen steht immer offen. Und er hat zwei Argumente für das Tierwohl auf seiner Seite: „Als wir damit anfingen, stiegen Produktivität und Gesundheit der Tiere“, sagt er.

Massentierhaltung muss nicht gegen das Tierwohl verstoßen, wie eine Hühnerfarm in den Vereinigten Staaten beweist. Foto: ZDF / Mathias Denizo
Massentierhaltung muss nicht gegen das Tierwohl verstoßen, wie eine Hühnerfarm in den Vereinigten Staaten beweist. Foto: ZDF / Mathias Denizo

Fleischkonsum ist gesundheitsschädlich und könnte nach einer neuen Studie auch zu breitem Artensterben führen.

Welche Folgen die immens gesteigerte Fleischproduktion weltweit hat, erklärt nochmals McWilliams: „Um Milliarden Nutztiere zu mästen, pflanzen wir mehr und mehr gentechnisch verändertes Getreide. Für Anbaufläche roden wir Wälder, fördern so die Erderwärmung und zerstören Artenvielfalt. Die Wassermenge für Mais oder Soja erschöpfen Grundwasservorkommen in manchen Gegenden. Die Pestizide und Kunstdünger zerstören die Böden und gefährden unsere Gesundheit.“

Die industrielle Viehwirtschaft sei deshalb die schlimmste Fehlverteilung natürlicher Ressourcen in der Geschichte der Menschheit. Wenn die Welt weiter so ernährt werden würde, gingen uns die Ressourcen aus. McWilliams sagt: „Die Folge wäre politische Instabilität, darunter leiden die Ärmsten am meisten. Es könnten auch Kriege ausbrechen um Wasser. Die Lage könnte sehr ernst werden.“

Um solche Entwicklungen zu verhindern, zeigt Berger in seiner Dokumentation auch Menschen, die nachhaltig Fleisch produzieren. Wie Jacques Abbtucci, er ist Rinderbauer auf Korsika. Er produziert alles Getreide für sein Vieh selbst, ohne Pestizide, ohne Dünger. Er sagt: „Unser System ist geschlossen: Man produziert nur, was man produziere kann. Wir füttern nur so viele Tiere, wie es uns möglich ist.“

Um die Weltbevölkerung zu ernähren, werden jedes Jahr rund 60 Milliarden Tiere geschlachtet

Auch Alfredo Cunhal Sendim aus Portugal wirtschaftet nachhaltig – in der sogenannten Agroforstwirtschaft. Er kombiniert Landnutzung, Tierhaltung mit den Bäumen und Sträuchern. Die Pflanzen ernähren die Tiere, die Tiere düngen den Boden. Er sagt: „Die Energieeffizienz ist der Unterschied: Ein Baum kann 300 bis 400 Jahre Futter produzieren. Von ganz allein. Ohne Dünger oder Maschinen. Die andere Methode, Schweine zu füttern, basiert auf Getreide. Jedes Jahr braucht man fossile Brennstoffe, um die Schweine zu ernähren. Wir binden hier sogar Kohlendioxid, mehr als eine Tonne pro Hektar.“

Kinder begegnen Kühen noch mit großem Staunen. Foto: ZDF / Mathias Denizo
Kinder begegnen Kühen noch mit großem Staunen. Foto: ZDF / Mathias Denizo

Zuletzt kommt Olivier de Schutter zu Wort, ehemaliger UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung. Er fasst das bestehende Problem so zusammen: „Die alternativen Produktionsmethoden sind ökologisch rücksichtsvoller, aber nicht wettbewerbsfähig. Weil die Märkte große Mengen Fleisch belohnen. Der Schaden der industriellen Produktionsmethoden an Böden, Umwelt oder öffentlicher Gesundheit spiegelt sich im Preis der Lebensmittel nicht wider. Das System benachteiligt so Produzenten, die auf nachhaltige Methoden setzen. Das, was wir an der Supermarktkasse sparen, geben wir aber später fürs Gesundheitswesen aus und für die Umweltschäden der Industrie. Die günstigen Preise für Fleisch sind Augenwischerei, sie spiegeln nicht die sozialen Kosten wider.“

Massentierhaltung ist verantwortlich für mindestens 18 Prozent der Treibhausgase

Am Ende teilt der Journalist Berger seinen Erkenntnisgewinn mit dem Zuschauer: Nach seinen Reisen habe er sich entschieden, seinem Sohn nur hochwertiges Fleisch zu geben. Und: „Gegen die skandalösen Folgen industrieller Landwirtschaft können wir uns sofort zur Wehr setzen. Einen Teil der Lösung haben wir selbst mit unserem Konsum in der Hand.“