Dokumentation „Elternschule“: Das steckt hinter dem umstrittensten Film des Jahres

Dass eine im Kino gezeigte Dokumentation so viel Aufmerksamkeit bekommt wie der Film „Elternschule“, ist eine absolute Ausnahme. Der Film zeigt den Alltag in einer Kinder- und Jugendklinik, in die Eltern mit ihrem Nachwuchs kommen, wenn sie heillos überfordert sind. Die Art der Therapie wird heftig kritisiert, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Selten hat eine Kino-Dokumentation so viele Diskussionen ausgelöst wie der Film “Elternschule”. (Bild: Zorro Film)
Selten hat eine Kino-Dokumentation so viele Diskussionen ausgelöst wie der Film “Elternschule”. (Bild: Zorro Film)

Man muss nicht einmal selbst Kinder haben, um sich beim Ansehen des Films „Elternschule“ von Jörg Adolph und Ralf Bücheler vorstellen zu können, wie sehr die darin gezeigten Familien leiden. Man sieht Kinder, die nicht schlafen, bis zu 14 Stunden am Stück brüllen, vor Wut rasen, nichts essen wollen oder die Milch, die man gerade erst mühsam in sie hineingebettelt hat, gleich wieder erbrechen. Eine Mutter ist so verzweifelt, dass sie den Ärzten in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen unverwandt mitteilt, ihr Kind müsse ins Heim, wenn die Therapie keinen Erfolg zeigt.

Nach heftiger Kritik ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft

Drei Wochen Therapie komprimiert auf zwei Stunden Film, die umstrittener nicht sein könnten. Seit dem Filmstart am 11. Oktober laufen Kinderärzte wie Herbert Renz-Polster Sturm. Er schrieb auf Facebook, der Film zeige die „unwürdige Behandlung kleiner Kinder“ sowie „Szenen, die eindeutig im Zusammenhang mit Kinderwohlgefährdung diskutiert werden müssen.“ Mathias Voelchert von Familylab sprach davon, dass die Eltern-Kind-Beziehungen durch ein solches Vorgehen eher beschädigt als geheilt würden und auch der Bindungsforscher Karl-Heinz Brisch schloss sich der Kritik an.

Kommentar: “Elternschule” zeigt, dass nicht alle Kinder gleich viel wert sind

Die als „Super Nanny“ bekannte Katia Saalfrank schlug sich ebenso auf die Seite der Gegner wie Celebrity und Doppel-Mama Sara Kulka. Laut Deutschem Kinderschutzbund enthält der Film Szenen, in denen Kinder Gewalt ausgesetzt sind. Nachdem ein Arzt Anzeige erstattet hat, ermittelt nun auch die Staatsanwaltschaft Essen gegen die Klinik. Es gehe um den Verdacht der Misshandlung Schutzbefohlener, sagte ein Sprecher.

Ein Kind sitzt in der Kinder- und Jugendklinik auf dem Schoß einer Schwester. (Bild: Zorro Film)
Ein Kind sitzt in der Kinder- und Jugendklinik auf dem Schoß einer Schwester. (Bild: Zorro Film)

Die Szenen, die die Gemüter besonders erhitzen: Eltern schieben ihr weinendes Kind in einem hohen Gitterbett in einen dunklen Raum und lassen es dort allein. Eine Mutter und eine Klinikmitarbeiterin haben ein Kind an der Hand und gehen mit ihm spazieren. Das Kind will nicht, wehrt sich, wird mehr mitgezogen, als dass es selbst geht. Ein anderes Kind, das nicht essen will, bekommt immer und immer wieder eine Flasche in den Mund geschoben.

Mehr als 200.000 Menschen haben eine Petition unterschrieben

Schon vor der Ausstrahlung des Films startete Lena Mandler auf openpetition.de eine Onlinepetition mit dem Ziel, die Ausstrahlung des Films zu stoppen und eine Überprüfung der Klinik zu erreichen. Sie sagt im Interview mit Yahoo Nachrichten: „Diese Behandlung soll nicht mehr angeboten werden, weil es anders geht: Würdevoll und auf Augenhöhe mit den Kindern.“

Mandler ist keine Ärztin öder Psychologin, sondern gelernte Marketing-Kauffrau und Mutter eines zweijährigen Sohnes, der ihrer Angabe nach viele Kriterien erfüllt, die die Klinik auf ihrer Website als Indikatoren für kindliche Schlaf-, Ess- und Trennungsstörungen aufführt. Ein Problem hat sie nicht nur mit den Methoden, die das Gelsenkirchener Team um den Psychologen Dietmar Langer anwendet. Sondern auch mit der Kommunikation rund um den Film.

Befürchtung: Eltern könnten die Therapie auch bei gesunden Kindern anwenden

Schon der Titel „Elternschule“ kann leicht dahingehend verstanden werden, dass die darin gezeigten Methoden sich nicht nur auf psychosomatisch erkrankte, sondern auf alle Kinder anwenden lassen. Während einer der Diskussionen im Anschluss an den Film betonte Dietmar Langer zwar: „Was Sie eben gesehen haben, war kein Film über Erziehung. Sondern über Therapie.“ Die in der Klinik behandelten Kindern seien schwer, manchmal sogar lebensbedrohlich erkrankt. Mit dem Film hätten er und sein Team zeigen wollen, dass es immer Hoffnung gibt.

Eine Szene aus dem Dokumentarfilm “Elternschule”, in der das “richtige Essverhalten” trainiert wird. (Bild: Zorro Film)
Eine Szene aus dem Dokumentarfilm “Elternschule”, in der das “richtige Essverhalten” trainiert wird. (Bild: Zorro Film)

Und doch befürchtet Lena Mandler, dass nicht alle Eltern die Ausnahmesituation der gezeigten Familien erkennen würden. „Bei der Kinovorstellung, die ich in Frankfurt besucht habe, gab es viele Eltern, die gesagt haben: Toll, jetzt habe ich mir viele Anregungen geholt.“ Und sie hat Angst, dass es noch mehr werden könnten. „Der Film soll nächstes Jahr im ZDF ausgestrahlt werden und wird damit der kompletten Bevölkerung frei zugänglich sein. Da werden genug Menschen vor dem Fernseher sitzen und sagen: Aha, mein Balg schläft auch nicht, dann werden wir jetzt mal dieselben Methoden anwenden.“

Die Klinik wehrt sich gegen die Vorwürfe

Trotz aller Kritik distanziert sich Mandler eindeutig von dem Shitstorm, der in den sozialen Medien über die Klinik und das Personal hereingebrochen ist. Dr. med. Kurt André-Lion, der leitende Arzt der Abteilung „Pädiatrische Psychosomatik“, schreibt auf der Website: „Es werden Lügen über den Film bewusst in die Welt gesetzt. Die Stimmung ist derart aufgeheizt, dass eine sachlich-konstruktive Diskussion unmöglich ist. Die verbale Aggressivität ist erschreckend. Viele Kommentare sind hasserfüllt.“

Kommentar: “Als Mutter bin ich entsetzt, wie die Kinder behandelt werden”

Die Klinik weist die Vorwürfe zurück und hat ihrerseits einen Anwalt eingeschaltet. Der Therapeut Dietmar Langer schreibt auf der Website, er würde auch viel Zuspruch erhalten. Im Kulturjournal des NDR wies er kürzlich darauf hin, dass der Film nur Fragmente der viel umfassenderen Therapie zeige. Dazu gehörten auch tägliches autogenes Training, Entspannung, Fantasiereisen, Spieltherapie und Snoozeln. Externe Gutachter würden die Therapie regelmäßig überprüfen, zudem zahle keine Krankenkasse eine unorthodoxe Therapie. „Alles, was wir machen, ist medizinisch, therapeutisch und rechtlich abgesichert.“