Draghis Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU - 5 wichtige Erkenntnisse
Der lang erwartete Bericht des ehemaligen Präsidenten der europäischen Zentralbank und italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi über die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist da. Seine erste Lehre für das Wachstum in Europa: Nicht länger zögern.
"Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir, wenn wir nicht handeln, entweder unseren Wohlstand, unsere Umwelt oder unsere Freiheit aufs Spiel setzen müssen", warnte Draghi bei der Vorstellung des Berichts am Montag.
In seinem 400-seitigen Bericht empfiehlt Draghi, wie die europäische Politik finanziert und koordiniert werden kann, um nicht auf der globalen Bühne zurückzubleiben. Euronews hat seine wichtigsten Ideen zusammengestellt, die von der Leyens zweite Kommission umsetzen sollte, wenn sie eine "langsame Qual" abwenden will.
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Gemeinsame Schulden, der Weg zur Finanzierung der europäischen Wirtschaft
Laut Draghis Bericht muss Europa mindestens 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr aufbringen, um mit Konkurrenten wie den USA und China mitzuhalten.
"Um diese Steigerung zu erreichen, müsste der Anteil der Investitionen in der EU von derzeit rund 22 Prozent des BIP auf etwa 27 Prozent steigen und damit einen jahrzehntelangen Rückgang in den meisten großen EU-Volkswirtschaften umkehren", heißt es in dem Bericht. Draghi betont darin die Notwendigkeit einer gemeinsamen Finanzierung zusätzlich zu der Mobilisierung privater Investitionen.
Die gemeinsame Kreditaufnahme der EU sollte regelmäßig genutzt werden, um die ehrgeizigen Ziele der Transformation in der Digitalisierung und Klimaneutralität sowie der dringend benötigten Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten zu erreichen, so Draghi.
"Die EU sollte - aufbauend auf dem Modell der NGEU [Next Generation Funds] - weiterhin gemeinsame Schuldtitel ausgeben, die zur Finanzierung gemeinsamer Investitionsprojekte verwendet werden, die die Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit der EU erhöhen", betonte Draghi.
Wenn öffentliche Güter wie Stromnetze und gemeinsame Netzverbindungen, Verteidigungsausrüstung und Forschung und Entwicklung im Verteidigungsbereich nicht gemeinsam finanziert und geplant werden, besteht die Gefahr, dass sie nicht ausreichend versorgt werden, warnt der Bericht.
Europa hat ein "China-Problem"
China kommt in Draghis Analyse wiederholt zur Sprache - möglicherweise ein Vorbote eines neuen Tons gegenüber Peking. In den letzten Jahren hat die EU China als Kooperationspartner, als wirtschaftlichen Konkurrenten und als systemischen Rivalen gesehen - und jetzt auch als "Bedrohung".
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Eine stärkere Abhängigkeit von China könnte einen schnelleren und billigeren Weg bieten, Europas Dekarbonisierungsziele zu erreichen, stellt Draghi in dem Bericht fest. Er fügt hinzu, dass Chinas staatlich unterstützte Konkurrenz auch eine "Bedrohung" für die sauberen Technologien und die Automobilindustrie des Blocks darstelle.
Der designierte niederländische Kommissar Wopke Hoekstra, der als nächster Handelskommissar gehandelt wird, äußerte sich vergangene Woche in einer Rede vor Studierenden der Technischen Universität Eindhoven ähnlich.
"China fordert uns auf so grundlegende Weise heraus, dass es naiv wäre zu leugnen, dass Europa ein China-Problem hat", sagt Hoekstra vor den Zuhörern und betonte, dass die EU zwar nicht vorhabe, die Beziehungen zu China abzubrechen, dass sie aber handeln müsse, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, wenn der Wettbewerb weiterhin unfair sei.
Bei seiner Vorstellung des Berichts am Montag empfahl Draghi der Gemeinschaft ausdrücklich, die Situation von Fall zu Fall zu analysieren und entsprechend zu handeln.
"Die Handelspolitik muss pragmatisch, vorsichtig, von Fall zu Fall spezifisch und defensiv sein", sagt der ehemalige italienische Ministerpräsident vor Reportern.
Draghi sagt auch, dass die Europäische Union ihre wirtschaftliche Abhängigkeit weiter verringern müsse, um ihre innere Sicherheit zu erhöhen, und warnte, dass Europa besonders bei kritischen Rohstoffen und digitaler Technologie von einer Handvoll Lieferanten abhängig sei. In Bezug auf Chips wies der ehemalige EZB-Präsident darauf hin, dass 75-90 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für Wafer in Asien angesiedelt sind.
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Europas Unternehmen in Europa halten, indem Innovation gefördert wird
Europa muss seine gemeinsamen Anstrengungen dringend neu ausrichten, um den Innovationsrückstand gegenüber den USA und China aufzuholen, insbesondere im Bereich der Hochtechnologie.
"Das Problem ist nicht, dass es Europa an Ideen oder Ehrgeiz mangelt (...), sondern dass die Innovation auf der nächsten Stufe blockiert wird: Wir schaffen es nicht, Innovation in Kommerzialisierung umzusetzen", sagt Draghi.
In den vergangenen fünf Jahrzehnten wurde in der EU kein einziges Unternehmen im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro aus dem Nichts heraus gegründet. 30 Prozent der europäischen Einhörner [ein privates Start-up-Unternehmen mit einem Wert von mehr als 1 Milliarde Dollar] haben Europa seit 2008 verlassen, weil sie sich auf dem Kontinent nicht vergrößern konnten.
Da die Welt kurz vor einer KI-Revolution steht, "kann es sich Europa nicht leisten, in den 'mittleren Technologien und Industrien' des vergangenen Jahrhunderts stecken zu bleiben. Wir müssen unser innovatives Potenzial freisetzen", fügte der italienische Professor hinzu - und dazu gehört auch, dass wir in die Fähigkeiten der Menschen investieren, um diesen Ambitionen gerecht zu werden.
Fokus auf die Industrie
Viele Schlüsselsektoren könnten verlagert werden - ein Risiko wegen dem Draghi wiederholt auf die Notwendigkeit einer europäischen Industriestrategie hinweist. Er beklagt jedoch die Unfähigkeit Europas, sich auf eine solche zu einigen.
"Die heutigen Industriestrategien - wie sie in den USA und China zu beobachten sind - kombinieren mehrere Politikbereiche", darunter Steuer-, Handels- und Außenpolitik, sagt er. "Aufgrund ihres langsamen und uneinheitlichen politischen Entscheidungsprozesses ist die EU weniger in der Lage, eine solche geeinte Antwort zu geben."
Eine wichtiges Beispiel ist die Automobilindustrie - ein Sektor, in dem Europa zu kämpfen hat.
Die Gegner verweisen oft auf die ehrgeizigen Vorschriften der EU, die die schrittweise Abschaffung konventioneller Benzin- und Dieselfahrzeuge in etwas mehr als einem Jahrzehnt vorsehen. Aber auch die heimischen Hersteller haben Probleme, mit den stark subventionierten chinesischen Elektroautos mitzuhalten.
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"Wir brauchen einen umfassenden Ansatz, der alle Phasen der Autoproduktion abdeckt, von der Forschung und dem Bergbau bis hin zu Daten, Herstellung und Recycling", so Draghi.
Die EU müsse die "Fallstricke des Protektionismus" vermeiden und dürfe nicht systematisch Zölle erheben - allerdings koste staatlich geförderter Wettbewerb europäische Arbeitsplätze.
Die Entscheidungsfindung in Europa muss reformiert werden
Wenn die EU die Bürokratie abbaut und effizientere Entscheidungsfindungsregeln gestalten würde, könne die EU schneller handeln, so der Bericht.
"Europa koordiniert sich nicht, wenn es darauf ankommt, und die europäischen Entscheidungsregeln haben sich nicht wesentlich weiterentwickelt, als die EU erweitert wurde und das globale Umfeld, mit dem wir konfrontiert sind, feindseliger und komplexer geworden ist", sagt Draghi.
Der Italiener schlägt dringende Maßnahmen vor - und einer der Stolpersteine Europas ist sein komplexer und langsamer politischer Entscheidungsprozess: Es dauert im Durchschnitt 19 Monate, um neue Gesetze zu verabschieden. Und bis zur Verabschiedung kann es noch zu mehreren Vetos kommen.
Bis 2019 hat die EU rund 13.000 Gesetze verabschiedet, während die USA 3.000 Gesetze und 2.000 Resolutionen verabschiedet haben, so Draghi auf der Pressekonferenz: "Diese [Tatsache] bringt einen zum Nachdenken: Können wir nicht etwas weniger tun und etwas zielgerichteter sein?"
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Wird das geschehen?
Draghis Bericht, der mit Hilfe von Kommissionsbeamten erarbeitet wurde, hat große Aufmerksamkeit erregt - ob er langfristig Auswirkungen haben wird, ist jedoch unklar.
Europa ist zweifellos mit einer Reihe von Krisen konfrontiert - anhaltender wirtschaftlicher Abschwung, ökologischer Wandel und Krieg.
Doch Draghis Vorschläge - höhere EU-Ausgaben finanzieren, Kapitalmärkte konsolidieren und die nationalen Vetos abschaffen - sind langjährige Brüsseler Forderungen, die von den EU-Mitgliedern selbst wiederholt abgelehnt wurden.
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Es ist schwer vorstellbar, dass sich das ändert, da viele EU-Regierungen mit der wachsenden Bedrohung durch die extreme Rechte konfrontiert sind; insbesondere die Regierungen in Frankreich und Deutschland, den traditionellen Motoren der EU-Integration, wurden durch die jüngsten Wahlergebnisse geschwächt.
Von der Leyen hofft, dass sie dies ändern kann, indem sie das Thema Wirtschaft in den Mittelpunkt ihres politischen Mandats stellt.