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Warnung vor Rechtsruck beim Superwahltag

Stern zum greifen nah. Vom 23.05. bis 26. Mai wählen die Bürger von 28 EU-Staaten ein neues Parlament. Foto: Socrates Baltagiannis
Stern zum greifen nah. Vom 23.05. bis 26. Mai wählen die Bürger von 28 EU-Staaten ein neues Parlament. Foto: Socrates Baltagiannis

Am Sonntag zählt's: Zum Finale der Europawahl sind auch die deutschen Wähler zu den Urnen gerufen. Christ- und Sozialdemokraten fürchten Verluste - und das Erstarken rechter EU-Gegner.

Brüssel/Berlin (dpa) - Vor dem Superwahltag in Deutschland und 20 weiteren EU-Ländern haben die großen Parteien und die Kirchen vor Rechtspopulisten und Nationalisten gewarnt.

Zur Europawahl mahnten die Spitzen der evangelischen und der katholischen Kirche, «nationalistische Angstmacher» hätten keine Antworten. Wahlkämpfer warben ein letztes Mal um Stimmen, auch in Bremen, wo am Sonntag neben dem Europaparlament auch die Bürgerschaft gewählt wird.

Der Wahlausgang der Europawahl könnte nicht nur die Europäische Union, sondern auch die große Koalition in Berlin erschüttern. Europaweit dürften Christ- und Sozialdemokraten gegenüber der Wahl 2014 deutlich verlieren und erstmals keine Mehrheit mehr unter den 751 Abgeordneten des EU-Parlaments haben. Zugewinne werden Liberalen und Grünen vorhergesagt.

Triumphieren könnten aber vor allem nationalistische EU-Kritiker in einigen großen Ländern. In Italien lag die rechte Lega in Umfragen über 30 Prozent und vor allen anderen Parteien. Auch in Frankreich könnte die Partei der Nationalistin Marine Le Pen wie schon bei der Europawahl 2014 stärkste Kraft werden - vor der Partei des Präsidenten und Europafreunds Emmanuel Macron.

In Deutschland erreicht die rechte AfD in Umfragen mit rund zwölf Prozent etwa den Wert der Bundestagswahl 2017. Hier gilt das Hauptaugenmerk der SPD, die in Umfragen bei um die 17 Prozent lag. Verliert sie - was wahrscheinlich schien - auch in Bremen gegen die CDU, könnte die große Koalition im Bund noch instabiler werden.

In der Europawahl muss aber auch die Union mit laut Umfragen rund 28 Prozent ein schwaches Ergebnis fürchten. 2014 waren es 35,4 Prozent, bei der Bundestagswahl 2017 32,9 Prozent. Bei starken Verlusten von CDU und CSU halten einer YouGov-Umfrage zufolge 42 Prozent der Menschen in Deutschland einen Wechsel an der Regierungsspitze für angebracht - so dass das Ergebnis auch Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Druck setzen könnte.

Der CSU-Politiker Manfred Weber - gemeinsamer Spitzenkandidat von CDU und CSU wie auch der Europäischen Volkspartei - räumte zum Abschluss seines Wahlkampfs in Bayern ein: «Die Umfragezahlen sagen uns leider Gottes für morgen im Moment nichts Gutes voraus.»

Weber will trotz Verlusten mit der EVP stärkste Fraktion und auf dieser Basis Präsident der EU-Kommission werden. Den Anspruch erhebt auch der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans, der mit seiner Partei in der Heimat laut Prognosen überraschend stärkste Kraft wurde. In einem Video auf Twitter wertete Timmermans das als «Signal» und dankte seinen Wählern.

In den Niederlanden und Großbritannien hatte die viertägige Europawahl am Donnerstag begonnen. Am Freitag folgten Irland und Tschechien, am Samstag Lettland, Malta, die Slowakei und die französischen Überseegebiete. In Tschechien lief die Wahl zwei Tage bis Samstagnachmittag.

Schätzungen zufolge gab in Tschechien nur jeder Vierte bis Fünfte der rund 8,5 Millionen Wahlberechtigten seine Stimme ab. Das Ergebnis wird erst am Sonntagabend bekannt. Prognosen gibt es nicht. In Umfragen vor der Wahl lag die populistische ANO des Ministerpräsidenten Andrej Babis mit rund 28 Prozent vorn. Erst am Dienstag waren Zehntausende in Prag gegen Babis auf die Straße gegangen, weil ihm Betrug bei EU-Subventionen vorgeworfen wird.

In Deutschland ist das Interesse an der Europawahl größer als früher. Im Wahlkampf war immer wieder die Rede von einer Schicksalswahl, weil rechte EU-Kritiker in einer neuen Allianz das weitere Zusammenwachsen der Gemeinschaft stoppen wollen.

SPD-Chefin Andrea Nahles sprach in Darmstadt von einer Richtungswahl und betonte: «Wir müssen Rechtspopulisten und Nationalisten ein klares Nein entgegensetzen.» Der ehemalige SPD-Chef und frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz twitterte: «Wohin uns die Nationalisten führen, kann man sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anschauen: Krieg und Leid. Wohin uns Europa führt, sieht man in der zweiten: Frieden und Freiheit.»

In einem Beitrag für «Focus Online» wandten sich Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, und Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, gemeinsam gegen Rechtspopulisten. Diese hätten keine «konstruktiven politischen Antworten auf die Herausforderungen, vor denen Europa steht». Weder gebe es so «Friedensperspektiven für die blutigen Konflikte vor den Toren der Union». Noch helfe die Leugnung des Klimawandels einer tragfähigen Klimapolitik.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Deutschen bereits am Freitag in einem Video auf sozialen Netzwerken zur Beteiligung an der Europawahl aufgerufen. Auch die Schauspielerin Uschi Glas sagte der Deutschen Presse-Agentur, es sei «wahnsinnig wichtig», für Europa abzustimmen und ein Zeichen für den Zusammenhalt zu setzen.