Drogen, Schläge und ein Ultimatum - Mocro-Krieg in NRW: Der „Goldpate“ packt aus, was in Kölner Folter-Villa geschah

Als Fauzi K. von der Mocro-Gangstern den Mordbefehl bekam, flüchtete er aus der Kölner Villa.<span class="copyright">dpa/FOL</span>
Als Fauzi K. von der Mocro-Gangstern den Mordbefehl bekam, flüchtete er aus der Kölner Villa.dpa/FOL

Im Juli befreiten Spezialkräfte der Polizei in einer Villa im Kölner Stadtteil Rodenkirchen zwei Geiseln, die offenbar von der Mocro-Mafia entführt und gefoltert worden waren. Mit dabei war auch Fauzi K. Jetzt packt der Kronzeuge aus und berichtet, was wirklich in der Folter-Villa passiert ist.

Fauzi K. stand vor der Wahl: töten oder fliehen. An jenem Morgen des 5. Juli hatten ihm die Kidnapper aus den Niederlanden eine Pistole in die Hand gedrückt. Der 25-jährige Spross eines berüchtigten kurdisch-libanesischen Clans aus Gelsenkirchen sollte eine der beiden gefolterten Geiseln im Keller einer Villa in Köln-Rodenkirchen erschießen, um Druck auf deren Familie auszuüben.

Die Gangster, die ihn zum Mord aufforderten, waren aus den Niederlanden angereist. Drei Emissäre eines Drogennetzwerks, das sich nach FOCUS-online-Informationen „das holländische Kartell“ nennt, forderten ihre gestohlene Cannabis-Lieferung aus einer Lagerhalle in Hürth zurück: 350 Kilo Cannabis oder den Gegenwert von 1,5 Millionen Euro in bar. Andernfalls sollte zuerst der gekidnappte Mann Mehmet L. (Name geändert) sterben. Der 34-jährige Libanese und seine Freundin aus Bochum waren seit dem Vortag gefangen gehalten worden, weil ihre Familie den Stoff aus einer Lagerhalle im rheinischen Hürth geraubt haben soll.

Als er den Mordbefehl bekam, zuckte der „Goldpate“ zurück

Fauzi K. hatte zuvor bei Mehmet und seiner Partnerin einen Testkauf von 50 Gramm Marihuana angeleiert. Anhand der Verpackung glaubten die Kartellgangster, dass es sich um ihren Stoff handelte. Am frühen Abend des 4. Juli lockten sie die Verkäufer mit Hilfe von Fauzi K. zu einem Parkplatz in Bochum. Etliche Komplizen stürzten aus einem Gebüsch und verfrachteten die Libanesen in einen Transporter. Dann ging es zum Folterkeller nach Köln.

„Knall ihn ab“, befahl einer der holländischen Gangster Fauzi K. am Morgen des 5. Juli, erst dann würde man ihm vertrauen. So steht es in Vernehmungsprotokollen, die FOCUS online einsehen konnte.

Doch der 25-jährige Staatenlose, den man auch den „Goldpaten“ nennt, zuckte zurück. Nach außen hin habe er einen auf cool gemacht, berichtete K. in seinem Verhör. Aber das war ihm doch eine Nummer zu groß. Er war ja kein Mörder.

Mocro-Drogenkrieg in NRW: Zeuge packt aus, was in Folter-Villa geschah

Unter einem Vorwand verdrückte sich die Clan-Größe nach oben aus dem Folterkeller, um eine Zigarette zu rauchen. Draußen will Fauzi K. einen der Anführer belauscht haben. Der machte deutlich, dass man auch ihn nach dem Mord „ficken“ würde. Für das Clan-Mitglied war nun klar, dass es um sein Leben ging.

Laut seiner Aussage überwand er eine Mauer und lief zur Autobahn 555. Dort fand er Hilfe, um ins Ruhrgebiet zurückzukehren. Dann vertraute sich K. der Polizei in Essen an und gab den Geiselort in Rodenkirchen preis. Die drei Männer aus Amsterdam hätten den Ton angegeben. Die seien zu allem fähig, könnten auch sprengen, so die Aussage. Die Typen vom Kartell seien bezahlte Killer. Als weitere Wächter seien vier Kriminelle aus dem rechtsrheinischen Köln angeheuert worden.

Die Befehle habe einer der rheinischen Statthalter des Kartells namens X1 oder Xidir erteilt, berichtete der Zeuge. Auch ein Typ namens Osman aus Kalk, der ein langes Vorstrafenregister aufweist, soll eine führende Rolle bei der Geiselnahme gespielt haben. Beide hätten die Folter-Videos der Geiseln für die Kartell-Bosse in den Niederlanden gefertigt. In sichergestellten Chats firmierte die Nummer 2 in dem Kartell unter dem Namen Whiterocket, der Boss nannte sich Panda.

Zwölf-Stunden Ultimatum an die Familie der entführten Libanesen

Einer der Kidnapper stellte der Familie der Geiseln ein Zwölf-Stunden Ultimatum, um die geraubte Ware wiederzubeschaffen. In dieser Zeit wurde vor allem Mehmet L. mit Stöcken malträtiert. Der libanesischen Freundin hatten die Kidnapper eine Pistole an den Kopf gesetzt, um ihren Drohungen Nachdruck zu verleihen. Aus dem Nachbarraum im Keller hörte die Frau die schmerzerfüllten Schreie ihres Mannes.

Derweil lief die Zeit ab. Die Verhandlungen zwischen den Entführern und der Familie der Geiseln drehten sich im Kreis. Eine Drohung jagte die nächste. „Entweder 1,5 (Millionen) oder der Stoff oder dein Bruder ist tot“, postete der Kartellchef Panda. „Willst Du Krieg?“, erwiderte der Bruder des Entführten. Immer wieder beteuerte er, nichts von dem geklauten Stoff zu wissen.

Der holländische Kartell-Boss erwiderte hingegen: Es sei schon Krieg. Ob er denn wolle, dass man die Geiseln mit einer Waffe penetriere?

Fauzi K. soll Geiseln in Falle gelockt haben

Die Uhr tickte. Bald werde man das Foto vom toten Bruder senden, lautete die nächste Drohung. Dazu kam es aber nicht mehr. Ein Spezialeinsatzkommando befreite die gekidnappten Personen am frühen Abend, nahm fünf Personen fest und stellte fünf Pistolen sicher. Die drei niederländischen Gangster konnten flüchten und tauchten in Amsterdam ab.

Zunächst gab sich Kronzeuge Fauzi K. als Opfer der holländischen Drogen-Connection aus. Tenor: Er sei mit Waffengewalt zum Komplizen gezwungen worden. Inzwischen aber sitzt auch er in Untersuchungshaft. Tatsächlich soll K. die Geiseln unter einem Vorwand in Bochum in die Kidnapper-Falle gelockt haben.

Der Fall dokumentiert einmal mehr: Die niederländische Mocro-Mafia hat im Rheinland längst ihre Terrains abgesteckt. Wer nicht spurt, der spürt Gewalt. Die Beamten der zuständigen Ermittlungsgruppe (EG) „Sattla“ fügen derzeit einen Mosaikstein nach dem anderen in das komplexe Gefüge des größten Drogenkrieges in NRW ein.

Weitere Entführung bereits im Juni

In einem Vermerk berichtet die Staatsanwaltschaft, dass der Konflikt um das geraubte Gras viel früher als bekannt seinen Lauf nahm. So wurden nach FOCUS-online-Informationen bereits am 16. Juni ein Mann und eine Frau in Rösrath und Köln-Merheim entführt. Die Geiseln wiesen nach ihrer Freilassung erhebliche Verletzungen auf. Den beiden hatten die Kidnapper die Hand gebrochen. Bei dem männlichen Opfer stellten die Drogenfahnder sechs Kilogramm Haschisch sicher. Zudem führte die Handyauswertung zu einer Lagerhalle nach Hürth.

Dort soll der 22-jährige Drogendealer Sermet A. aus Kalk dem holländischen Kartell einen Rauschgiftbunker für Cannabis und Haschisch zur Verfügung gestellt haben. Der Deutsche mit kurdisch-irakischen Wurzeln firmierte laut Staatsanwaltschaft als hochrangiges Mitglied des Kartells. Die Ermittler haben ihn inzwischen als die Nummer zwei mit dem Chatnamen White Rocket identifiziert. 750 Kilogramm hatte das Kartell nach Hürth transportiert. Bewacht durch fünf Männer der Truppe des mutmaßlichen Kölner Rauschgiftgroßhändlers wartete der Stoff einzig darauf, in den rheinischen Schwarzmarkt zu gelangen.

Der Plan scheiterte. Unbekannte Räuber hatten die Hälfte der Ware bei einem Überfall gestohlen. Die Männer des Kalker Drogendealers gerieten unter Diebstahlverdacht. Drei Abgesandte des Kartells sollten im Rheinland aufräumen und die Räuber stellen. Zunächst ergriffen sie die Wächter in der Lagerhalle. Am Ende aber wurde die Polizei durch einen Kurier der Kölner Drogengang eingeschaltet. Das niederländische Kommando wanderte in Untersuchungshaft.