Dunja Hayali: "Medien müssen mit Übertreibungen, Zuspitzungen und Überdramatisierungen aufhören"

Auf den Tag genau ein Jahr nach der Flutkatastrophe an Ahr und Erft erzählt eine ZDF-Reportage von einer Reise durch die Region der Verwüstung. ZDF-Journalistin Dunja Hayali und ihre Kollegin Sarah Tacke sprachen mit betroffenen Menschen.  (Bild: ZDF / Jens Koch)
Auf den Tag genau ein Jahr nach der Flutkatastrophe an Ahr und Erft erzählt eine ZDF-Reportage von einer Reise durch die Region der Verwüstung. ZDF-Journalistin Dunja Hayali und ihre Kollegin Sarah Tacke sprachen mit betroffenen Menschen. (Bild: ZDF / Jens Koch)

Ein Jahr nach der Flutkatastrophe besuchen Dunja Hayali und Sarah Tacke die betroffenen Orte an Ahr und Erft. Wie sehr leiden die Menschen noch immer unter Verlust, Traumata und dem Papierkrieg mit Behörden und Versicherungen? Dunja Hayali über eine auch persönlich sehr fordernde Reportage-Reise.

Dunja Hayali ist eine empathische, aber dennoch taffe Vertreterin des deutschen Fernseh-Journalismus. Ihre Reportagereise "Die Flut - Zwischen Wut und Mut" (Donnerstag, 14. Juli, 22.15 Uhr, ZDF) brachte die 48-Jährige jedoch an ihre persönlichen Grenzen. Fünf Tage lang reiste die "ZDF-Morgenmagazin"-Moderatorin durchs Flutgebiet, um dort mehr als ein Dutzend Menschen zu treffen, die viel vom dem, was vorher ihr Leben ausgemacht hatte, verloren haben. Ein Gespräch über die Grenze zwischen journalistischer Distanz und menschlicher Betroffenheit sowie die Gefahr, dass wir in Zeiten gehäufter Katastrophenmeldungen abstumpfen.

teleschau: Über die Flutkatastrophe im Sommer 2021 ist viel berichtet worden. Was wollen Sie mit Ihrem Film ein Jahr später leisten?

Dunja Hayali: Das, was guter Journalismus immer leisten sollte: dranbleiben, hingucken, nachfragen und zeigen, was ist. Das Konzept des Films besteht darin, dass zwei Presenterinnen, Sarah Tacke und ich, auf getrennten Reiserouten unterwegs sind. Wir suchen die Orte der Zerstörung auf und schauen, was seitdem passiert ist und wie es den Leuten heute geht. Zwischen juristischen Fragen und gesellschaftspolitischen Versäumnissen ist alles dabei.

teleschau: Wie groß ist ein Jahr später das Interesse neutraler Zuschauer an der Flut?

Dunja Hayali: Wie bei allen Themen - es lässt nach. Jeder Mensch hat halt nur eine gewisse Kapazität an inneren Räumen, die er füllen kann. Und zurzeit sind Krieg, Pandemie und so weiter drängender als die Flut. Für viele ist diese Katastrophe nicht nur zeitlich und emotional, sondern gefühlt auch geografisch wieder weit weg. Für die betroffenen Menschen und Unternehmen ist es anders. Sie sehen das Elend tagtäglich. Sie trauern, streiten, kämpfen mit Behörden und haben zudem das Gefühl, dass sie vergessen worden sind. Medial, wie politisch. "Unbürokratisch" dürfte in den betroffenen Gebieten wohl zum Unwort des Jahres gewählt werden.

Kaum eine Naturkatastrophe erschütterte die Deutschen so sehr wie die Flut, die sich im Juli 2021 über das Ahrtal, die Eifel und Voreifel ergoss. Ein Jahr später zieht die ZDF-Reportage "Die Flut  - Zwischen Wut und Mut" mit Dunja Hayali und Sarah Tacke Bilanz.

 (Bild: ZDF / Achim Mende)
Kaum eine Naturkatastrophe erschütterte die Deutschen so sehr wie die Flut, die sich im Juli 2021 über das Ahrtal, die Eifel und Voreifel ergoss. Ein Jahr später zieht die ZDF-Reportage "Die Flut - Zwischen Wut und Mut" mit Dunja Hayali und Sarah Tacke Bilanz. (Bild: ZDF / Achim Mende)

"An vielen Stellen war die Katastrophe vorprogrammiert"

teleschau: Auch Sie sind als politische Journalistin der Aktualität verpflichtet. Ist es nicht normal, dass wir Katastrophen nach einem Jahr fast vergessen haben, sofern wir nicht direkt betroffen sind?

Dunja Hayali: Klar, wir leben in Zeiten, in denen sich Katastrophen die Klinke in die Hand geben. Und in einer Nachrichtensendung können wir nicht immer die ganze Welt abbilden. Also müssen wir nach journalistischen Kriterien Prioritäten setzen. Im "ZDF-Morgenmagazin" zeigen wir, das man das eine machen kann, ohne das andere zu lassen. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, an die Opfer der Flut zu erinnern, indem wir regelmäßig Geschichten machen. Ich finde schon, dass es unsere Aufgabe ist, an wichtigen Themen über die Tagesaktualität hinaus dranzubleiben. Und ich bin froh, dass ich mal wieder das Studio verlassen konnte, um mir selbst ein Bild zu machen.

teleschau: Wo waren Sie genau unterwegs?

Dunja Hayali: Sarah war im Ahrtal und ich unter anderem in Erftstadt, Bad Münstereifel und Stolberg unterwegs. An fünf Drehtagen haben mein Team und ich etwa 15 Geschichten gesammelt. Außerdem sind wir mit dem Hubschrauber über das Gebiet geflogen, was eine wichtige Blickwinkel-Verschiebung bedeutete. Sich die Katastrophe von oben anzuschauen, war wirklich beeindruckend und auch frustrierend.

teleschau: Was haben Sie gesehen?

Dunja Hayali: Man sieht, dass an vielen Stellen die Katastrophe vorprogrammiert war. In Bad Münstereifel fließt die Erft mitten durch die Stadt - ohne besondere Schutzmaßnahmen. Dass bisher nicht mehr passiert war, ist eigentlich ein Wunder. Wir haben Flusslandschaften bebaut, ohne Themen wie Naturschutz oder Klimawandel mitzudenken. Ein wichtiges Thema des Wiederaufbaus besteht darin, dass man sich überlegt, wie und vor allem wo man überhaupt wieder aufbaut. Mir ist durch die Drehreise eines noch mal richtig klar geworden: So kann es nicht weitergehen! Wir werden anders mit der Natur und dem Bebauen der Natur umgehen müssen.

Dunja Hayali ist eines der bekanntesten Gesichter des ZDF. Im Oktober 2022 feiert sie ihr 15-Jahre-Jubiläum als Moderatorin des "ZDF-Morgenmagazins". Ihr eigenes Talk-Magazin "dunja hayali" wird nicht fortgesetzt, wie das ZDF 2021 verkündete. Dafür kann man die Frau aus Datteln seit 2018 als Moderatorin des "aktuellen Sportstudios" sehen. (Bild: ZDF / Svea Pietschmann)

"Es ein Unterschied, ob Sie etwas im Fernsehen sehen oder in der Realität"

teleschau: Sie wollten trotz aller politischer Fragen im Zusammenhang mit der Katastrophe vor allem Menschen begegnen. Wie haben Sie die Opfer der Flutkatastrophe erlebt?

Dunja Hayali: So unterschiedlich wie Menschen sind, verhalten sie sich auch nach Schicksalsschlägen. Es gibt jene, die sehr positiv bis tatkräftig sind. Sie bauen auf, sind pragmatisch und lösungsorientiert. Das hat sicher etwas mit dem Charakter zu tun, aber mehr noch, ob die Versicherung zahlte. Dann gibt es Menschen, die sind frustriert, verzweifelt, traumatisiert. Wir waren bei einer Familie, da hat mir die Frau erzählt, dass sie Angst bekommt und zum Fenster läuft, wenn es anfängt zu regnen. Und während des Drehs ist genau das passiert. Sie ist damit aber nicht allein. Viele Menschen sind ein Jahr nach der Flut psychisch ziemlich angeschlagen. Und wenn sie nicht "nur" materielle Schäden erlitten, sondern einen Menschen verloren haben, sieht die Sache noch mal ganz anders aus.

teleschau: Wie gut kannten Sie sich aus mit den Schicksalen der Menschen, bevor Sie sie trafen?

Dunja Hayali: Ein solcher Film entsteht, indem eine Redaktion die Reiseroute und Begegnungen recherchiert und organisiert. Mir ist es wichtig, mich nicht zu sehr mit Informationen zuzuballern, bevor ich Menschen begegne. Natürlich muss man vorher wissen: Wer ist das, was ist der Person passiert? Sicher noch zwei, drei Informationen mehr, aber halt nicht zu viel. Ich frage lieber Dinge, die ich noch nicht weiß, die Person direkt, die ich treffe. So kann ich mich besser auf Menschen einlassen. Da hat jeder Journalist, jeder Journalistin aber eine andere Herangehensweise.

teleschau: Wenn Sie etwa 15 Betroffenen begegnet sind, an fünf aufeinander folgenden Drehtagen - war das nicht unendlich anstrengend - vor allem emotional?

Dunja Hayali: Ja, das war es. Wir haben von früh morgens bis meist spät abends gedreht oder waren unterwegs. Dieser Umstand war es aber nicht, der an meinen Kräften gezehrt hat. Ich kann ziemlich lang und ziemlich hart arbeiten und über meine Grenzen hinausgehen. Aber diese geballte Emotionalität der Menschen, die sich in Frust, Angst, Ärger, Wut und Mut gezeigt hat, war einfach extrem. Ich hab dann immer gedacht: Stell dir mal vor, dein Zuhause, deine Familie, dein was auch immer ... - Außerdem ist es ein Unterschied, ob Sie etwas im Fernsehen sehen oder in der Realität. Wenn man direkt am großen Krater in Erftstadt steht, der mehrere Häuser verschlang, wirkt das einfach anders, als wenn man so etwas nur über den Bildschirm sieht.

Dunja Hayali wurde 1974 als Tochter irakischer Christen in Datteln, Nordrhein-Westfalen geboren. Für "Die Flut" war sie im Westen ihres Heimat-Bundeslandes unterwegs. (Bild: ZDF / Achim Mende)
Dunja Hayali wurde 1974 als Tochter irakischer Christen in Datteln, Nordrhein-Westfalen geboren. Für "Die Flut" war sie im Westen ihres Heimat-Bundeslandes unterwegs. (Bild: ZDF / Achim Mende)

"Ich rief abends meine Schwester an und erzählte ihr davon"

teleschau: Wie haben Sie diese Reise verarbeitet?

Dunja Hayali: Ich rief - wie bei fast jedem Dreh - abends meine Schwester an und erzählte ihr davon. Für mich ist es wichtig, dass ich mich mit jemanden austauschen konnte, der mir nahesteht, der mich kennt. Man muss Strategien finden, um mit so etwas klarzukommen. Aber zum einen geht es hier nicht um mich und zum anderen habe ich dann doch auch so viel journalistische Distanz, dass ich morgens wieder frei im Kopf bin, um, und nur darum geht's, die Geschichten der Menschen zu erzählen und ihnen gerecht zu werden.

teleschau: Haben Sie nur Menschen getroffen, die in Ihre alten Wohnungen und Häuser zurückgekehrt sind? Einige haben ja ihr Haus komplett verloren, weil es komplett zerstört wurde oder dauerhaft unbewohnbar geworden ist ...

Dunja Hayali: Wir haben eine Frau getroffen, die ihren Laden verloren hat und nun ihre Ware aus einem Bus heraus verkauft. Der nächste hat seine Fabrikhalle und Verkaufsfläche verloren, konnte aber woanders unterkommen. Dann waren wir an einem Sportplatz, der unbespielbar ist. Da denkt man ja zunächst: "Ist doch nicht so schlimm, spielt man halt woanders." Aber da fehlt jetzt halt deren Begegnungsstätte, und das wirkt sich auf den Zusammenhalt aus. Die Zerstörung von Orten hat viele Gesichter. Manchmal ist es nicht das eine, das man sofort erkennen würde.

teleschau: Sie haben schon erwähnt, dass Sie in Nordrhein-Westfalen, Ihrer Heimat, unterwegs waren. Macht es etwas mit uns Menschen, wenn wir zerstörte Ort in ihrer Unversehrtheit gut kannten?

Dunja Hayali: Nähe verändert immer unsere Sicht auf die Dinge. Aber wir Mensch verdrängen halt auch gerne Gefahren oder Unsicherheiten. Wenn ich die Straße überquere, denke ich ja auch nicht jedesmal darüber nach, was passieren könnte. Oder nehmen wir das Thema Pflege: Wir werden alle - hoffentlich - alt und sind dann sicher auch auf Hilfe angewiesen. Wenn wir diese Wahrheit an uns heranlassen würden, würden wie anders an diesen Notstand rangehen. Mit der Flut verhält es sich nun ähnlich: "Ach naja, das war ja doch weit weg und wird sicher nicht wieder passieren. Will ich mich nicht mit beschäftigen, daher schalte ich lieber um - innerlich wie äußerlich - also mit der Fernbedienung." Dies anzunehmen, wäre eine trügerische Sicherheit, in die wir uns nicht begeben sollten - auch dafür ist dieser Film da.

Zeigt sich auch mal persönlich: Dunja Hayali ließ sich von einem Sky-Team in ihrem beruflichen und privaten Alltag begleiten - für einen Porträtfilm der Reihe "Her Story". (Bild: Sky / Ulrich Hartmann)
Zeigt sich auch mal persönlich: Dunja Hayali ließ sich von einem Sky-Team in ihrem beruflichen und privaten Alltag begleiten - für einen Porträtfilm der Reihe "Her Story". (Bild: Sky / Ulrich Hartmann)

"Dann wird mir das Handy schon mal weggenommen"

teleschau: Momentan prallen So viele Katastrophen auf uns ein, dass sich viele Menschen vor diesen Informationen schützen und ins Private flüchten. Wie schaffen wir es, nicht vor einem Berg an Problemen zu kapitulieren?

Dunja Hayali: Das ist eine Frage, die ich mir oft stelle. Wir erleben eine Parallelität der Katastrophen, die gefühlt immer größer und mächtiger werden. Sie überfordern einen, sie überfordern ab und an auch mich. Als Nachrichten-Junkie fällt es mir allerdings auch schwer, nicht hinzugucken und mir tausend Fragen zu stellen. Ist anstrengend und auch nicht immer hilfreich. Daher verstehe ich Menschen, die sagen: "Ich ertrage das nicht mehr und steige aus." Zumindest zeitweise.

teleschau: Was können Medienschaffende dazu beitragen, dass es nicht so kommt und die Menschen die Welt der Nachrichten nicht aus dem Blick verlieren?

Dunja Hayali: Medien müssen mit Übertreibungen, Zuspitzungen und Überdramatisierungen aufhören, weil wir die Menschen so nicht nur verlieren, sondern, schlimmer noch, sie stumpfen ab. Wenn wir damit nicht aufhören, werden wir die Menschen, irgendwann gar nicht mehr erreichen - auch nicht, wenn wirklich etwas Schlimmes passiert. Noch ist es aber nicht so weit, dass sehe ich ja auch am Zuspruch für das Morgenmagazin, gerade in Zeiten von Krieg und Krisen. Dieses Vertrauen ist ein kostbares Gut, dass wir nicht durch Empörungsspiralen zerstören sollten. Oder überflüssige Eilmeldungen. Das macht mich echt sauer. Früher gab es die nur, wenn wirklich etwas Drastisches passiert ist. Neulich bekam ich eine Eilmeldung, weil sich ein Paar getrennt hatte. Echt jetzt?

teleschau: Wie schützen Sie sich ganz konkret vor einer Überflutung durch negative Nachrichten?

Dunja Hayali: Mit dem Hund rausgehen hilft immer. Manchmal muss ich aber auch zu meinem Glück gezwungen werden. Wenn ich zum Beispiel mit Freunden unterwegs oder bei der Familie bin, dann wird mir das Handy schon mal weggenommen. Das ist dann eine zwangsverordnete Pause, denn ich bin schon jemand, der der Tendenz folgt, immer alles lesen und wissen zu müssen. Doch ich versuche, mir zwischendurch private Inseln der Ruhe schaffen, sonst dreht man in der heutigen Zeit echt durch.