Die dunkle Vergangenheit des Marcos Alonso

Marcos Alonso vom FC Chelsea

Was sind in der vermögenden Welt des Fußballs schon 23 Millionen Euro? Richtig, nicht viel. Erst recht nicht für ein schwerreiches englisch-russisches "Unternehmen" wie den FC Chelsea.

2016 überwies Roman Abramowitsch, der berühmt-berüchtigte Investor der Blues, jene Summe für einen gewissen Marcos Alonso an den AC Florenz. Ein Schnäppchen, sind sich die Chelsea-Fans heute einig.

Alonso ist ein Publikumsliebling an der Stamford Bridge. Alle lieben ihn, weil sie seinen Fußball lieben. Der Spanier ist der Prototyp des modernen Außenverteidigers. Er verteidigt gut, aber nicht gerne. Viel lieber schaltet er sich blitzschnell und energisch in jeden Angriff seiner Mannschaft ein. Wie sehr, das stellte er einmal mehr am vergangenen Wochenende beim Londoner Derby gegen den FC Arsenal unter Beweis.

Der Mann mit der Nummer 3 gab die Vorlage zum Führungstor durch seinen Landsmann Pedro und erzielte nach einer beeindruckenden Kombination kurz vor Schluss den umjubelten Siegtreffer.

Der 3:2-Triumph war beileibe nicht der erste, an dem Alonso einen entscheidenden Anteil hatte. In seinen bislang zwei Jahren bei Chelsea steuerte er neben neun Assists 15 Treffer bei. Mal mit links wie gegen Arsenal, mal per Kopf, mal sogar per direkt verwandeltem Freistoß. "Marcos hat alles", sagte sein ehemaliger Trainer Antonio Conte einmal über ihn.

Nur ein Länderspiel für Spanien

Umso größer war die Verwunderung bei vielen Premier-League-Liebhabern im vergangenen Mai, als das 23-köpfige Aufgebot der spanischen Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft bekanntgeben wurde. Alonso fehlte. Stattdessen durfte Arsenals Nacho Monreal als Alternative zu Stamm-Linksverteidiger Jordi Alba (FC Barcelona) mit nach Russland fahren.

Er sei "nicht überrascht" von dieser Entscheidung gewesen, meinte Alonso im Nachhinein. Ihm war offenbar bewusst, dass seine Landsleute nicht aus sportlichen Gründen auf ihn verzichtet hatten. Anderenfalls wäre er mit seinen mittlerweile 27 Jahren wohl auch schon mehr als zu einem A-Länderspiel eingeladen worden.

Die wahre Erklärung für sein schwieriges Verhältnis zu seiner Heimat liegt in seiner dunklen Vergangenheit. Alonso war nicht immer so brav und unscheinbar wie er heute wirken mag. Doch der Reihe nach.

Der Chelsea-Star entstammt einer stolzen spanischen Fußballer-Familie. Sein Großvater Marquitos gewann einst an der Seite von Alfredo Di Stefano fünf Europapokale in Folge mit Real Madrid, sein Vater Marcos spielte für Atletico Madrid und den FC Barcelona.

Jugendlicher Leichtsinn

Kein Wunder, dass er in jungen Jahren schon als zukünftiger Linksverteidiger Spaniens gefeiert wurde. Er durchlief sämtliche Jugendteams von Real und avancierte zu einem Führungsspieler des Reserveteams Castilla. 2009 ließ ihn Manuel Pellegrini erstmals bei den Profis mittrainieren, 2010 folgte sein Debüt beim Liga-Spiel gegen Racing Santander.

Alles war angerichtet für eine große Laufbahn im Estadio Santiago Bernabeu. Doch die frühen Lobhudeleien stiegen dem damals 19-Jährigen zu Kopf. Er zog im Training nicht mehr voll mit und kam stattdessen mehr und mehr in den Genuss des Madrider Nachtlebens.

Die Folge: Real schob ihn ab. Jose Mourinho, Nachfolger von Pellegrini, riet ihm, wieder auf den Boden zu kommen und bei einem kleineren spanischen Verein mehr Spielpraxis zu sammeln. Alonso entschied sich letztlich aber für einen Wechsel in die Premier League zu den Bolton Wanderers.

Ein Fehler, wie sich schnell herausstellte. Seine erste Saison auf der Insel verlief katastrophal. Er kam nicht über die Rolle des Bankdrückers hinaus und klagte über Heimweh. Seine freien Tage nutzte er nur, um zurück nach Spanien zu fliegen und Spaß zu haben. So auch in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011.

Mit 112 durch die 50er-Zone

Alonso war mit seiner damaligen Freundin, einer 22 Jahre alten Studentin, seinem Bruder Miguel und zwei weiteren Freunden unterwegs. Sie gingen in die berühmte Madrider Nobel-Diskothek Buda, dem einstigen Hotspot der "Galacticos" um Ronaldo, Roberto Carlos und David Beckham.

Die Stimmung war gut, es floss reichlich Alkohol, die Feiernden tanzten bis in die Morgenstunden. Und dann traf Alonso eine Entscheidung, die er auf ewig bereuen wird: Er setzte sich ans Steuer seines silbernen BMW. Seine Begleitung folgte ihm. Ins Verderben.

Keine halbe Stunde später krachte der silberne BMW gegen eine Wand. Totalschaden. Alonso und seine Kumpels erlitten kleinere Verletzungen. Doch seine Freundin, die sich spanischen Medienberichten zufolge nicht angeschnallt hatte, verstarb noch am Unfallort.

Wie aus dem Polizeibericht hervorging, war Alonso trotz strömenden Regens mit 112,8 Stundenkilometern durch eine 50-er Zone gerast. Er hatte 0,93 Promille - etwa dreimal so viel wie in Spanien erlaubt - im Blut.

"Es ist nicht schlecht für mich gelaufen"

Alonsos Familie und Real versuchten vergeblich, die Tragödie zu vertuschen. Es gab wochenlang kein anderes Thema mehr in den spanischen Medien. Alonso wurde unter anderem der fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Körperverletzung und des Fahrens unter Alkoholeinfluss angezeigt, kam am Ende aber glimpflich davon.

Er musste nicht ins Gefängnis, sondern nur seinen Führerschein für drei Jahre und vier Monate abgeben. Bis heute verlor er in der Öffentlichkeit kein Wort darüber.

Für Alonso war nach dem Vorfall aber klar: Er hat keine sportliche Zukunft mehr in Spanien. Real wollte ihn ohnehin nicht mehr zurück. Also versuchte er sich noch zwei Jahre bei Bolton, ehe ihn Florenz unter Vertrag nahm. In der Toskana schaffte er es endlich, sich nur auf den Fußball zu konzentrieren und sein Talent mit harter Arbeit zu vereinen.

2016 wurde Antonio Conte auf ihn aufmerksam - und holte ihn zu Chelsea. Mit dem Wechsel nach London gelang ihm der späte Durchbruch. "Es ist nicht schlecht für mich gelaufen", sagte Alonso zuletzt in einem Interview mit der Marca. "Ich bin stolz auf meine Karriere und zufrieden mit dem, was ich bisher als Fußballer geleistet habe." Als Mensch hätte er aber wohl einiges anders gemacht.

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