Dürfen leer stehende Häuser besetzt werden? Das Netz diskutiert #besetzen

Ist Besetzen ein legitimes Mittel, um auf akute Fehlentwicklungen in der Wohnungspolitik hinzuweisen? (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)
Ist Besetzen ein legitimes Mittel, um auf akute Fehlentwicklungen in der Wohnungspolitik hinzuweisen? (Bild: AP Photo/Markus Schreiber)

Die Wohnungsnot in Berlin ist groß, gleichzeitig stehen viele Wohnungen über Jahre hinweg leer. Nach einer Besetzung in Neukölln wird neu diskutiert, ob das legitim ist.

Am Pfingstsonntag hat eine kleinere Gruppe im Berliner Stadtteil Neukölln mehrere leer stehende Häuser besetzt. Eines davon wurde letzten Endes von der Polizei gewaltsam geräumt, gegen 56 Personen wird wegen Hausfriedensbruch ermittelt. Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie Wohnungsnot und leer stehende Häuser zu bewerten sind, und was als Protestform dagegen eingesetzt werden darf.

Die Aktion ging von der Initiative #besetzen aus, die gegen 15 Uhr über Twitter verbreitete, dass neun leer stehende Häuser in Neukölln und anderen Stadteilen besetzt worden waren. Darauf reagierte die Polizei unmittelbar und rückte aus, um dann in sieben Gebäuden außer Transparenten, die aus dem Fenster gehängt worden waren, niemanden anzutreffen.

Nach diesen Scheinbesetzungen traf man in zwei Häusern in Neukölln und Kreuzberg auf Menschen, die sich tatsächlich in den Gebäuden und auch davor versammelt hatten. Diese versuchten zunächst, die Beamten am Eintreten zu hindern. Laut Polizei wurden fünf Polizisten dabei leicht verletzt. Der Eigentümer der Häuser, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ (SuL) hatte laut Polizei die Räumung des Hauses in der Bornsdorfer Straße verlangt und einen Strafantrag gestellt. Ihr Geschäftsführer, Ingo Malter, sagte gegenüber dem „Rundfunk Berlin-Brandenburg“: „Ich hatte gesagt, eine halbe Stunde. Die war tatenlos vergangen.“

Einer alten Milchmädchenrechnung zufolge sollte nicht mehr als ein Drittel vom Einkommen für Miete draufgehen, wenn man verhältnismäßig zu seinen Einkünften wohnen will. Von vielen Vermietern werden nach wie vor Belege über ein dreifaches Nettoeinkommen verlangt, das immer weniger Menschen verdienen. Zehntausende seien in Berlin derzeit ohne Wohnung, so die Initiative #besetzen, die findet, dass es unter derartigen Umständen nicht legitim sei, dass Häuser über lange Zeit hinweg leer stehen.

Unter dem Motto „Karneval der Besetzungen“ wollte die Initiative daher zeitgleich zum Berliner „Karneval der Kulturen“ auf die Wohnungsnot aufmerksam machen – und das ist ihr gelungen. Außerdem ist damit eine Diskussion darüber entbrannt, unter welchen Umständen es legitim ist, fremdes Eigentum zu besetzen.

Zunächst hatten sie versucht, Mietverträge für die leer stehenden Wohnungen zum Preis von 4 Euro pro Quadratmeter sowie ein Mitspracherecht zu bekommen. Der Eigentümer bot einen Quadratmeterpreis von 6,50 Euro für ein selbstverwaltetes Wohnprojekt an, das die Initiative als „lächerlich“ zurückwies. Zum Vergleich: Der Medianwert des Quadratmeterpreises für Mietwohnungen in Neukölln liegt derzeit bei über 10 Euro Kaltmiete. Noch während der Verhandlungen mit den Besetzern durch zwei Anwältinnen hatte die Polizei das Haus gestürmt.

Das Haus in der Bornsdorfer Straße hatten die Aktivisten bewusst gewählt: Es befindet sich im öffentlichen Besitz und steht seit mehr als fünf Jahren leer. Die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, erklärte dazu, man habe das Haus vor drei Jahren von einem privaten Investor erworben, um darin Wohnungen zu errichten. Der Umbau sei vorbereitet und solle noch dieses Jahr beginnen, derzeit befinde sich das Gebäude aber in einem schlechten baulichen Zustand und die Statik sei gefährdet.

Warum dauert es drei Jahre, um die Sanierung eines Wohnhauses auf Schiene zu bringen? Für die Stadt Berlin gibt das kein gutes Bild ab. Ein „Indikator für den Grad der Verzweiflung“ seien Aktionen wie jene am Pfingstsonntag laut „Berliner Tagesspiegel“. Auch die Parteien, mit Ausnahme von CDU und AfD, äußerten sich daher verständnisvoll gegenüber der Aktion.

„Bei spekulativem Leerstand sollten Hausbesetzungen zukünftig geduldet werden, statt Wohnraum verfallen zu lassen“, meinte die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, in der „Berliner Zeitung“. Der Grünen-Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg sagte in einer Mitteilung, Initiativen wie jene in Neukölln sehe man angesichts der Lage „in allen deutschen Großstädten als ein legitimes Mittel an. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Stadtgesellschaft aktiv geworden ist und so auf ihre durchaus berechtigten Anliegen aufmerksam gemacht hat. Auf die Berliner Politik muss weiter Druck ausgeübt werden, hierzu aktiv zu werden und politische Lösungen herbeizuführen.“

Die Berliner Stadtregierung bleibt bislang aber dabei, dass „die Besetzung von Gebäuden einen Eingriff ins Eigentumsrecht dar[stelle]“ und strafrechtliche Konsequenzen haben könne. Man bemühte sich dennoch, Verständnis zu signalisieren und gab bekannt, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Stadt und Land gebeten habe, „die Strafanzeige gegen diejenigen zurückzuziehen, die das Gebäude ohne Widerstand verlassen haben.“

Um gegen den Wohnungsnotstand tatsächlich und längerfristig etwas ausrichten zu können, brauche es aber mehr, als selbst die Stadt Berlin tun könne, so Lompscher. „Die Mietpreisbremse muss endlich scharf gestellt, Bestandsmietenerhöhungen und die Modernisierungsumlage müssen gekappt werden und auch der Bund muss seinen Umgang mit den eigenen Liegenschaften ändern. Statt einem Verkauf zum Höchstpreis müssen Grundstücke an landeseigene und gemeinwohlorientierte Träger gehen. Nur dann kann mehr preisgünstiger Wohnraum entstehen.“