Ehemaliger Chef des Ifo-Instituts - „Hochproblematische Lage“: Top-Ökonom Sinn schlägt zwei Renten-Reformen vor

Top-Ökonom Hans-Werner Sinn ist der Ansicht, dass E-Autos dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen<span class="copyright">IMAGO/Eibner</span>
Top-Ökonom Hans-Werner Sinn ist der Ansicht, dass E-Autos dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisenIMAGO/Eibner

Angesichts der steigenden Anzahl von Rentnern bei gleichzeitig immer weniger Erwerbstätigen plädiert der ehemalige Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, in einem Gastbeitrag für tiefgreifende Änderungen am Rentensystem. Das wären die Folgen.

927.969 Personen haben im vergangenen Jahr erstmals eine Altersrente bezogen, die meisten von ihnen konnten nicht mehr bis zum regulären Renteneintritt warten. Nur rund 390.000 Personen gingen zum vorgesehenen Zeitpunkt in den Ruhestand, die Mehrheit von rund 538.000 Personen entschied sich für eine vorgezogene Altersrente. Die Möglichkeit, diese abschlagsfrei nach 45 Arbeitsjahren zu beantragen („Rente mit 63“), nutzten 270.000 Personen, mit Abschlägen schieden rund 207.000 Personen nach mindestens 35 Arbeitsjahren aus dem Arbeitsleben aus.

Die Zahlen für den vorzeitigen Renteneintritt steigen seit Jahren. Für das gesamte Rentensystem ist dies ein Problem, denn es scheiden nicht nur Beitragszahler vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus - deren Beiträge damit wegfallen -, sondern sie erhalten im Falle der abschlagsfreien Rente auch lebenslang mehr Rente, was die Kosten der Rentenversicherung jetzt und in Zukunft erhöht.

Für den ehemaligen Münchner Professor und Präsidenten des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn ist das eine „hochproblematische Lage“, wie er es vergangene Woche in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche formulierte. Das Grundproblem, das er beschreibt, ist dabei nicht neu. Weil die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge der 1960er-Jahre jetzt nach und nach in den Ruhestand eintreten, die Generationen danach aber geburtenschwach waren, gibt es mit jedem Jahr mehr Rentner auf jeden Erwerbstätigen, was die Finanzierung des Rentensystems stetig erschwert. Sinn schlägt deswegen mehrere Maßnahmen vor, um diesem Problem zu begegnen. Keiner seiner Vorschläge ist dabei wirklich neu, andere Ökonomen und Politiker haben sich in den vergangenen Jahren oft ebenso oder ablehnend gegenüber den Vorschlägen geäußert.

1. Frührenten unattraktiver machen

Sinn möchte „Fehlanreize für eine Frühverrentung“ abschaffen. Was er dabei als „Fehlanreiz“ bezeichnet, ist zum einen die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte als auch Abschläge für langjährig Versicherte. Erstere sollen abgeschafft werden, letztere erhöht. Derzeit muss ein Frührentner pro Monat auf 0,3 Prozent seiner Rente verzichten, pro Jahr, das er vor der Regelaltersgrenze in Rente geht, also auf 3,6 Prozent. Genaue Zahlen nennt Sinn nicht, aber der aktuelle Wirtschaftsweise Martin Werding hatte Anfang August Werte von 5 bis 6 Prozent pro Jahr in die Diskussion gebracht. Zur Einordnung: Ein Durchschnittsrentner mit 1663 Euro im Monat müsste dann bei einer vorgezogenen Rente pro Monat, den er früher in Rente geht, auf 8,32 Euro statt bisher 4,99 Euro verzichten. Mit jedem Jahr vor der Regelaltersgrenze würden die monatlichen Zahlungen damit um 100 statt 60 Euro sinken.

Mit seiner Forderung nach Abschaffung der „Rente mit 63“ liegt Sinn auf einer Linie mit der FDP, der diese abschlagsfreie Rentenform ebenfalls ein Dorn im Auge ist. Auch Teile der Union, wie der ehemalige Bundesminister Jens Spahn, fordern die Abschaffung. Auch das Münchner Ifo-Institut und beispielsweise die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände haben die Abschaffung auf ihrer Agenda. Andere, wie die aktuellen Wirtschaftsweisen, plädieren für eine Reform. So sollten körperlich schwer arbeitende Menschen weiterhin abschlagsfrei vorzeitig in Rente gehen können, gesundheitlich weniger belastete Arbeitnehmer aber nicht. Dafür wäre ein neues, flexibleres System notwendig.

2. Renteneintrittsalter erhöhen

Die zweite einfache Möglichkeit, die Ausgaben der Rentenversicherung zu senken und die Einnahmen zu erhöhen, besteht darin, den Renteneintritt grundsätzlich zu verschieben. Bis 2031 steigt das Renteneintrittsalter je nach Geburtsjahrgang noch schrittweise von 65 auf 67 Jahre. Sinn will es entsprechend der Lebenserwartung weiter erhöhen. Auch dieser Vorschlag ist nicht neu. So hatten die Wirtschaftsweisen in ihrem Jahresgutachten im vergangenen Jahr ebenfalls dafür plädiert, die Regelaltersgrenze alle paar Jahre um einige Monate anzuheben. In anderen Ländern beispielsweise ist die maximale Anhebung auf drei Monate alle drei Jahre begrenzt und würde zudem mit einem Vorlauf von mindestens drei Jahren beschlossen.

Auch dafür gibt es Befürworter unter den Parteien. Die FDP und die beiden Unionsparteien fordern dies unisono. Bevor allerdings die Regelaltersgrenzen angehoben und Frühverrentungen abgeschafft oder unattraktiver gemacht werden, plädieren die Wirtschaftsweisen dafür, erst einmal zu verstehen, warum die Mehrheit der Rentner inzwischen nicht mehr bis zur Regelarbeitsgrenze arbeiten will. Denn möglicherweise hat dies wenig mit einer zu attraktiven Frühverrentung zu tun, sondern mit Problemen auf dem Arbeitsmarkt - seien es gesundheitliche Beeinträchtigungen, die eine Weiterbeschäftigung unmöglich machen, seien es Altersdiskriminierungen bei der Arbeitssuche, seien es die Chancen im Betrieb oder anderes.

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