Ein Autist findet seinen Traumjob

Leif Petersen hat das Asperger-Syndrom und absolviert derzeit eine Ausbildung in einem Reformhaus. Foto: Daniel Reinhardt

Leif Petersen steht an der Kasse eines Reformhauses in Hamburg und verkauft Bio-Brot. Wer den freundlich lächelnden jungen Mann beobachtet, dürfte kaum bemerken, dass an einer schweren Entwicklungsstörung leidet: Der 29-Jährige ist Autist. Petersen verkauft nicht nur, sondern berät Kunden, räumt Waren ein oder bringt sie den Käufern mit seinem Auto nach Hause. Zweimal pro Woche geht er zur Berufsschule. Sein Ziel: Verkäufer für Reform- und Diätwaren.

«Ich brauche eine Chefin, die mir klare Anweisungen gibt, die auch Verständnis für meine Situation hat», sagt Petersen. Tanja Parker hat Verständnis. «Herr Petersen ist über ein langes Praktikum gekommen. Da hat er sich so gut gezeigt», berichtet die Reformhaus-Inhaberin. «Das ist ein junger Mann, der wahnsinnig freundlich ist und auf den man sich total verlassen kann.»

Parker kennt aber auch die Schwächen ihres Azubis. Er könne nicht mehrere Sachen gleichzeitig machen, etwa einen Kunden beraten und gleichzeitig die Kasse im Blick behalten. Schwierigkeiten habe er auch, wenn es mehr um Zahlen und Schriftliches geht. Und sie gibt ihm klare Anweisungen, auch was die persönliche Hygiene angeht.

Fachlich seien Autisten am Arbeitsplatz oft gar nicht eingeschränkt, sagt Friedrich Nolte vom Bundesverband Autismus Deutschland. Sie hätten eher Probleme im informellen Bereich. Manche kämen regelmäßig zu spät, sprächen sich nicht mit Kollegen ab, beteiligten sich nicht am Small Talk und gälten unter Umständen als arrogant. «Durch solche Dinge kann es dann schwierig werden», sagt Fachreferent Nolte.

Petersens Chefin ist bereit, ihrem Schützling mehr Zeit und Unterstützung bei der Bewältigung seiner Aufgaben zu geben. Sie erwähnt dabei, dass sie selbst ein Kind mit einer Entwicklungsverzögerung hat und sich über die nicht funktionierende Inklusion in der Schule ärgert. In ihrem Geschäft sei es eine Freude mit so einem Menschen wie Petersen zusammenzuarbeiten, betont sie.

Ihre Einstellung wird offenbar von nicht so vielen Arbeitgebern geteilt. Der Bundesverband Autismus beklagt zum Welt-Autismus-Tag am 2. April eine Diskriminierung der Betroffenen. Kindern mit einer autistischen Störung werde der Zugang zur angestrebten Schulform verweigert, Erwachsene hätten meist keine Chance auf eine Wohngruppe oder einen Arbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt. Eine «Benachteiligungsspirale» von unzureichender Schulbildung über fehlende Arbeit und geringes Einkommen dränge Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, kritisiert die Vereinsvorsitzende Maria Kaminski.

Autisten, die sich um eine Stelle bewerben, würden zu 80 bis 90 Prozent schon im Vorstellungsgespräch scheitern, sagt Astrid Grothe von autWorker, einer Hamburger Genossenschaft, die Menschen wie Leif Petersen bei der beruflichen Integration unterstützt. Einige IT-Firmen stellen inzwischen aber gezielt qualifizierte Menschen mit dem Asperger-Syndrom, einer leichteren Form des Autismus, ein.

Auch Petersen ist qualifiziert. Er hat schon eine Ausbildung als Sozialtherapeutischer Assistent und eine als Gärtner im Obstanbau abgeschlossen. Auch ein längeres Praktikum in einer Karosseriebau-Firma hat er hinter sich. «Diese Arbeit war nicht so mein Ding», sagt Petersen. Er sei mit den Kollegen nicht gut zurechtgekommen. Im Reformhaus fühlt er sich dagegen wohl: «Das ist eine wunderbare Arbeit.» Nach der Ausbildung möchte er dort bleiben.

autWorker

Informationen zum Autismus

Checkliste zur Früherkennung

Was ist Autismus?

Autismus ist eine Entwicklungsstörung mit einem ganzen Spektrum an Symptomen. In der frühen Kindheit können vor allem sprachliche Defizite und besondere Verhaltensweisen auffallen. Betroffene Kinder vermeiden zum Beispiel Körper- oder Blickkontakt. Autisten haben ein Problem mit der Dechiffrierung von Gestik und Mimik, sie verstehen oft nicht, was der andere meint, wie Daniel Schöttle, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, erläutert.

Ihr Kernproblem sei, dass sie nicht zwischen den Zeilen lesen könnten. Der Experte schildert ein Beispielszenario: «Wenn jemand in mein Büro kommt und sagt: "Hier ist es aber frisch!", dann würde ich das als Aufforderung verstehen, das Fenster zu schließen. Ein Autist würde nur antworten: "Ja, hier ist es frisch."» Der Begriff Autismus («Selbstbezogenheit») geht auf den Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1857-1939) zurück.

Autisten oder Menschen mit dem milderen Asperger-Syndrom seien oft sehr zuverlässig und loyal, mitunter geradezu verletzend ehrlich, lösten Aufgaben mit Perfektionismus und verfügten manchmal über ein hohes Spezialwissen, sagt Schöttle. Von der Struktur her seien sie aber zwanghaft und unflexibel. Mit einer spontanen Planänderung könnten sie schlecht umgehen.

Die Diagnose erfolge nach sehr ausführlichen Interviews, auch mit den Eltern oder Partnern. Den Betroffenen werden Aufgaben gestellt und die Ergebnisse nach festgelegten Skalen bewertet. Bei Kindern ist auch eine körperliche Untersuchung wichtig.

Die Ursache von Autismus ist nicht geklärt. Ein Gendefekt ist bislang nicht entdeckt worden. Die Wissenschaft geht aber davon aus, dass es teilweise eine genetische Wurzel gibt, wie Schöttle sagt. Autismus trete häufig in Familien auf, in denen auch schon Fälle von Schizophrenie oder manisch-depressive Erkrankungen vorgekommen sind.

Heilen kann man Autismus nicht. Die Betroffenen müssen lernen, mit den Symptomen umzugehen. Gestik und Mimik müssen sie sich wie Vokabeln einprägen. Es gibt Menschen, die unter dem Asperger-Syndrom leiden und es trotzdem bis zum Professor gebracht haben.