Ellwangen und die Folgen

Zwei Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen werden bei der Großrazzia am Donnerstag abgeführt (Bild: AFP Photo/Stefan Puchner)
Zwei Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen werden bei der Großrazzia am Donnerstag abgeführt (Bild: AFP Photo/Stefan Puchner)

In einem Flüchtlingsunterkunft eskaliert ein Abschiebeversuch. Die Reaktionen in Politik und Medien sind so empört wie absehbar. Doch was droht den Beteiligten nun eigentlich?

Die zunächst vereitelte Abschiebung im baden-württembergischen Ellwangen hat in den vergangenen Tagen hohe Wellen geschlagen. Politik und Medien reagierten sofort und kommentierten den Vorfall aufgeregt. Unions-Politiker forderten härter Gesetze und schnellere Abschiebungen. Der Boulevard sieht gleich ganze Städte, die sich angstvoll hinter ihren Vorhängen verbarrikadieren.

Hintergrund: Am vergangenen Montag hatten 150 bis 200 Geflüchtete zum Teil mit Gewalt gegen die Abschiebung eines 23-jährigen Togoers protestiert, nach der Auseinandersetzung musste sich die Polizei unverrichteter Dinge wieder zurückziehen. Am Donnerstag reagierte der Staat dann mit seiner ganzen Härte. Sondereinheiten stürmten die Unterkunft, der gesuchte Togoer wurde festgenommen. Von den fast 500 Bewohnern der Unterkunft wurden 292 kontrolliert, 27 vorläufig festgenommen. Laut Polizeibericht hatten sich 20 von ihnen den Kontrollen aktiv widersetzt. Doch welche Konsequenzen droht den Verhafteten nun eigentlich?

Togoer droht Abschiebung aber keine weiteren Strafen

Der Auslöser war die drohende Abschiebung des 23-Jährigen. Dazu muss klargestellt werden, wie auch mehrere Flüchtlings-Aktivisten betonten: Der aus Togo stammende Geflüchtete hat sich nach deutschem Gesetz nicht strafbar gemacht. Auch die Polizei bestätigte, dass er sich der Verhaftung nicht widersetzt, sondern lediglich Verzögerungen verursacht habe. Ihm droht nach wie vor die Abschiebung im Rahmen des Dublin-Abkommens. Das Abkommen ist auch in der Politik durchaus nicht unumstritten, da es naturgemäß die Länder mit außereuropäischen Grenzen höher belastet – nach Griechenland wird derzeit etwa nicht abgeschoben, da die dortigen Behörden völlig überfordert sind. Da der Togoer Europa zuerst in Italien betreten hatte und dort auch registriert wurde, soll er aufgrund der innereuropäischen Vereinbarung dorthin zurückgeführt werden.

Anders sieht es im Falle der Bewohner der Einrichtung aus, die am Montag versucht hatten, die Festnahme des Togoers zu verhindern. Im Polizeibericht wurde um 2:40 während des Einsatzes folgender Satz protokolliert: “Es liegt eine Gefangenenbefreiung vor.” Sollte dieser Straftatbestand von einem Gericht bestätigt werden, würden denjenigen, die sich dem Polizeieinsatz widersetzt haben, relativ hohe Strafen drohen. Nach Paragraf 120 StGB wird eine Gefangenenbefreiung mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet. Dabei kann man sich schon durch den Versuch strafbar machen. Der Straftatbestand könnte durchaus erfüllt sein, da der 23-Jährige bereits im Polizeiwagen saß als die Situation eskalierte.

Dazu kommt für einige der nun festgenommen Geflüchteten ein weiterer Vorwurf. Denn nach Paragraf 113 des Strafgesetzbuches droht bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte eine Freiheitsstrafe ebenfalls von bis zu drei Jahren. Sollte nachgewiesen werden, dass die Tat mit anderen Beteiligten gemeinschaftlich geplant und begangen wurde, drohen sogar bis zu fünf Jahre Haft.

Auch wurden aufgrund der Ergebnisse der Kontrollen weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch wenn die Behörden zunächst selbst einen entsprechenden Verdacht äußerten, sind in der Unterkunft allerdings keine Waffen gefunden worden. Dafür verdächtigt die Polizei fünf Bewohner, Drogendelikte oder Diebstähle begangen zu haben. Bei mehreren der Durchsuchten wurden zudem Geldbeträge sichergestellt, die über der sogenannten Selbstbehaltsgrenze von 350 Euro lagen. 17 der mutmaßlichen Rädelsführer, die den Widerstand gegen die Abschiebung organisiert haben sollen, sollen nun zudem in andere Einrichtungen verlegt werden. “Solche Maßnahmen zur Trennung von Unruhestiftern haben bereits in der Vergangenheit zum Erfolg der Befriedung in der Landeserstaufnahmeeinrichtung geführt”, erklärte die Polizei in Aalen dieses Vorgehen.

Widerstand kann sich auf Asylverfahren auswirken

Darüber hinaus drohen aber allen Beteiligten mit einem laufenden Asylverfahren weitere Konsequenzen. Die veränderte Rechtsprechung ermöglicht inzwischen eine schnellere Abschiebung, sollte der Antragsteller straffällig werden. Dieser muss das Land verlassen, wenn eine Freiheitsstrafe urteilskräftig wird. Dabei ist die Abschiebung unabhängig davon, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Daraus ergibt sich hier eine schwierige juristische und moralische Fragestellung, denn der Strafbestand liegt ja eben in der drohenden Abschiebung begründet. So könnten die Vorfälle in Ellwangen durchaus auch eine Diskussion anstoßen, wie mit den Abschiebeverfahren gegenüber den Menschen in laufenden Asylverfahren umgegangen wird. Und warum sich deren Situation in dieser Form von Widerstand äußerte.

Was weiterhin fraglich bleibt, ist, inwieweit nicht nur die aktuelle Rechtsprechung, sondern auch das Verhalten der Polizei zu einer Eskalation diesen Ausmaßes beigetragen hat. Der Vizepräsident der Polizei Aalen, Bernhard Weber, sprach seine Kollegen von jedem Zweifel frei. Die Beamten hätten “sehr überlegt gehandelt” und so eine weitere Eskalation verhindert. “Die Bewohner haben sich organisiert, behördliche Maßnahmen zu unterbinden”, so Weber weiter in der Pressekonferenz. “Das kann man nicht zulassen, das wollten wir nicht zulassen.”

Im Polizeijargon sprach Weber in Bezug auf den massiven Einsatz vom Donnerstag: “Die Strukturen wurden aufgebrochen.” Weber weiter: “In der LEA gibt es Menschen, die sehen die Polizei als Gegenspieler und formieren sich dagegen.” Die Reaktion soll nun eine Aufstockung der Polizeikräfte vor Ort sein. Ob das die Lage beruhigt oder im Gegenteil die Stimmung unter den Geflüchteten noch weiter anheizt und für mehr Verunsicherung bei der Bevölkerung sorgen wird, bleibt abzuwarten.