Emotionale Gewalt - Was im Gehirn von Kindern passiert, wenn Eltern schimpfen

Was es mit Kindern macht, wenn ihre Eltern sie anschreien<span class="copyright">Getty Images/Westend61</span>
Was es mit Kindern macht, wenn ihre Eltern sie anschreienGetty Images/Westend61

Schimpfen, schreien, strafen – wahrscheinlich haben die meisten Eltern schon emotionale Gewalt gegen ihre Kinder eingesetzt, ohne dass es ihnen bewusst war. Doch es ist wichtig, dass wir bei diesem Thema genau hinsehen. Denn auch Worte können Narben hinterlassen.

Sich mit den neurowissenschaftlichen Grundlagen unseres Selbstbildes und unseres inneren Erlebens sowie der Macht von Worten vertraut zu machen, hilft zu verstehen, welchen Einfluss das Gesagte auf Kinder haben kann. Worte können ein Kind erschüttern, tief verletzen, können seine Entwicklung verändern, nachhaltig beeinflussen oder sogar zum Stillstand bringen.

Seit rund zwanzig Jahren ist die Neurowissenschaft mithilfe sogenannter fMRT-Scans dabei, nach dem Sitz der Sprache in unseren Gehirnen zu suchen. Abschließend bestimmen konnte man ihn noch nicht, doch es zeigt sich, dass zwischen einem tatsächlichen Erlebnis und einem solchen, von dem wir nur hören oder über das wir reden, in den Reaktionen unseres Gehirns kein Unterschied besteht.

Verbale Gewalt erzeugt Stress im Gehirn

Die für Angst, Aufregung, Stress oder Vorfreude zuständigen Areale leuchten im Scanner auf, gefolgt von den entsprechenden körperlichen Reaktionen. Verbale Gewalt erzeugt also Stress im kindlichen Gehirn und Körper. Kinder erleben verbale Attacken genauso bedrohlich wie körperliche Gewalt. Das dürfen wir niemals vergessen. Wenn ein Kind angeschrien, beschämt oder erpresst wird, ist das Gewalt. Für Kinder findet dann immer ein „Angriff“ statt, sie erleben eine gefährliche und bedrohliche Situation, aus der sie nicht entfliehen können: Das kann traumatisieren.

Martin Teicher von der Harvard Medical School und sein Team haben in mehreren Studien nachgewiesen, dass der Hippocampus bei Heranwachsenden und Erwachsenen, die als Kinder immer wieder Stress durch emotionale Gewalt ausgesetzt waren, kleiner ist im Vergleich zu den Menschen, die keine Gewalterfahrungen gemacht haben. Die Ursache für den zu kleinen Hippocampus liegt vermutlich in der hormonellen Stressverarbeitung, die vor allem bei Kindern unter fünf Jahren störungsanfällig ist.

Dieser Teil des Gehirns spielt eine besonders große Rolle für die Bewertung und Steuerung von Emotionen und die Fähigkeit, mit Emotionen umzugehen. Er ist maßgeblich für die Entstehung psychischer Erkrankungen verantwortlich und, Sie ahnen es – eine Basiskompetenz für die Stressbewältigung.

Verbale Gewalt kann zu psychischen Erkrankungen führen

Der Umgang mit Kindern und ihren starken Emotionen, wie beispielsweise Wut, löst sehr häufig Stress bei Erwachsenen aus. Wenn Erwachsene als Kinder selbst Gewaltopfer waren, fällt es ihnen höchstwahrscheinlich schwer, entspannt zu bleiben, wenn ein Kind wütend ist – klingt logisch, nicht wahr?

In den genannten Forschungen wurden alle denkbaren Arten von Missbrauch untersucht, dies geschah durch Befragungen und anschließende Hirnscans der Probanden. Es kamen bei den Versuchspersonen alle Gewaltvarianten vor, dazu zählen physischer, sexualisierter, emotionaler Missbrauch wie auch emotionale Vernachlässigung.

Die Ergebnisse belegen, dass wiederholt erlebte verbale Gewalt, wie Beleidigungen, Demütigungen und Drohungen sich als die hauptsächlichen Risikofaktoren für Angsterkrankungen, Posttraumatische Belastungsstörungen, Borderline-Störungen und Depressionen erwiesen haben.

Stellen Sie sich vor: Da steht der übergroße Erwachsene, nimmt eine bedrohliche Körperhaltung ein, schreit und benutzt Worte, die verletzen. Was passiert im Kinderkörper? Der Puls steigt, die Oberflächenspannung der Haut nimmt ab, die Wahrnehmung verengt sich. Der Körper schaltet auf Gefahr um und schüttet Stresshormone aus, bereitet sich auf Flucht, Kampf oder Erstarren vor.

Die Wirkung der Worte in der Erziehung

Vor einigen Jahren belegte die Molekularbiologin Elizabeth Blackburn, dass Stress der Hauptauslöser für die Aktivierung nachteiliger Gene in der Epigenetik ist – und dieser Stress beginnt leider schon in der frühesten Kindheit. Hinzu kommt die Wirkung der Worte. Worte bringen etwas in uns zum Klingen, ähnlich wie Musik. Sie erzeugen Bilder, Assoziationen, Gefühle, unbewusst und ohne unser Zutun. Wir können nicht verhindern, dass das, was ein anderer sagt, in uns etwas zum Schwingen bringt.

Das beginnt bereits, bevor wir sprechen lernen. Wenn also jemand mit einem jungen Kind schimpft, was nahezu jeder irgendwann tut, oder eine der anderen genannten Formen verbaler Gewalt anwendet, wird eine ganze Kette in Form von Gefühlen und körperlichen Reaktionen in Gang gesetzt. Auch wenn ich mich wiederhole: Kinder sind dem schutzlos ausgeliefert, und wir Erwachsenen tragen zu hundert Prozent die Verantwortung für unseren Umgang mit Kindern!

Erwachsene sind aber auch nur Menschen, und da Kinder weder perfekte Eltern noch perfekte Fachkräfte brauchen, kann man gelegentliche Ausraster ganz sicher wiedergutmachen, indem man sich beim Kind entschuldigt. Ganz egal, wie alt das Kind ist; wenn es spürt, dass durch das harsche Verhalten des Erwachsenen die Beziehung gerade abgebrochen wurde, spürt es auch, dass sie durch eine liebevolle und ernst gemeinte Entschuldigung wieder verbunden wird.