Endlose Suche nach Endlager - Geheimes Gutachten zeigt, warum Deutschland seinen Atommüll einfach nicht los wird
Eigentlich sollte es unter Verschluss bleiben: Bestenfalls 2074 wird Deutschland einen endgültigen Standort für seinen radioaktiven Atom-Müll gefunden haben, zeigt ein behördliches Gutachten. Das wäre mehrere Jahrzehnte später als geplant. Einen Grund zur Hektik sehen deutsche Behörden nicht.
Wie findet man eine Müllkippe, die eine Million Jahre lang bestehen soll? Insgesamt 27.000 Kubikmeter hochradioaktiven Müll in 1750 sogenannten Castor-Behältern hat die Bundesrepublik in mehr als 60 Jahren Atomkraft angesammelt. Nach Angaben des zuständigen Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) sind das fünf Prozent der radioaktiven Abfälle in Deutschland, die aber rund 99 Prozent der gesamten Radioaktivität aller Abfälle enthalten.
Wer will den Müll?
Und diese 1750 hochgiftigen Fässer werden zum immer größeren Problem. Momentan lagern die Behälter noch oberirdisch, in 16 sogenannten Zwischenlagern in verschiedenen Bundesländern, meist auf dem Gelände ehemaliger Atomkraftwerke. Hundertprozentig sicher ist diese Lösung nicht, alleine schon weil die Castor-Fässer nicht darauf ausgelegt sind, länger als ein paar Jahrzehnte zu halten. Auch deswegen sind die Zwischenlager nur für 40 Jahre genehmigt.
Eine finale Lösung muss also dringend her, es braucht ein sogenanntes Endlager unter der Erde, das den radioaktiven Müll eine Million Jahre lang lagern kann. So lange dauert es ungefähr, bis sich die radioaktiven Elemente des Mülls von selbst zersetzen. Doch die Suche nach diesem Endlager gestaltet sich nicht nur geologisch schwierig, sondern vor allem politisch. Die Anwohner der 16 Endlager wollen den Müll so schnell wie möglich loswerden. Der Rest der Bundesrepublik hat hingegen nicht so viel Lust darauf, eine unterirdische Deponie für radioaktive Abfälle vor die Nase gesetzt zu bekommen. Die bayerische Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern, in den letzten Jahren betont begeistert von der Atomkraft, hat sogar in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass Bayern „kein geologisch geeigneter Standort für ein Atomendlager“ sei.
Im 22. Jahrhundert immer noch nicht fertig?
Um endlich mal voranzukommen, stellten die Behörden und die damals regierende Große Koalition aus Union und SPD im Jahr 2017 den Endlager-Prozess auf komplett neue Füße. Und das damals verabschiedete Standortauswahlgesetz (StandAG) gab auch gleich einen Zeitrahmen vor: Bis 2031, so steht es im Gesetzestext, soll die Suche endgültig abgeschlossen sein. Damit spätestens 2050 das fertige Endlager in Betrieb gehen kann.
Expertinnen und Experten hielten den Zeitrahmen schon damals für ambitioniert. Jetzt zeigt ein Gutachten, wie sehr sich der Gesetzgeber verschätzt haben könnte - nämlich gleich um mehrere Jahrzehnte. Unter „idealen Bedingungen“ sei frühestens 2074 mit einer Standortentscheidung zu rechnen, heißt es in einer Untersuchung des Öko-Instituts im Auftrag von BASE, die am Dienstag auf der Website der Behörde veröffentlicht wurde. Das wäre 43 Jahre später als ursprünglich anvisiert, mindestens. Weil es danach auch noch Jahrzehnte dauern dürfte, den gefundenen Standort als Endlager aufzubereiten, könnte sich die Einlagerung sogar bis ins 22. Jahrhundert ziehen.
Pikant: Das Gutachten ist auf den 29. Februar 2024 datiert, war aber nie veröffentlicht worden. Erst nach einer Anfrage des Deutschlandfunks , wann der lange erwartete Bericht denn publiziert werde, lud das BASE den Bericht plötzlich auf seiner Website hoch - mit einem Vorwort, das auf den Juli datiert ist. Und erst dann sei das Gutachten auch an das Bundesumweltministerium übergeben worden, berichtet der Deutschlandfunk.
„Diese Generation hat den Atommüll produziert“
Dass das 2031er-Ziel nicht zu halten ist, geben die zuständigen Behörden schon seit einigen Jahren zu. Wer etwa bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nach einem konkreten Datum fragte, erhielt stets das Jahr 2046 als Antwort, im schlimmsten Fall 2068. Kein Wunder also, dass der bislang unveröffentlichte Bericht des Öko-Instituts für Aufregung sorgt. Er sehe die möglicherweise deutlich länger dauernde Suche mit Sorge, sagte etwa Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) am Mittwoch.
Meyers Befürchtung: Eine Verschiebung der Endlagersuche um weitere Jahrzehnte hätte aber die Verlängerung vieler Zwischenlager in Niedersachsen zur Folge. Das stoße auf erhebliche Sicherheitsbedenken bei der Bevölkerung. „Ich fordere daher vom Bund, endlich mehr Tempo in die Endlagersuche zu investieren und das Thema nicht auf kommende Generationen zu schieben“, sagte Meyer. „Diese Generation hat den Atommüll produziert, ohne ein Endlager zu haben. Daher tragen wir auch die Verantwortung und sind in der Pflicht, nicht um Jahrzehnte zu verschieben, so schwierig das Thema auch ist.“
Optimismus im Ministerium
Das ebenfalls Grünen-geführte Umweltministerium hingegen sieht keinen gesteigerten Anlass zur Sorge. Das Haus von Ministerin Steffi Lemke brachte eine weitere Jahreszahl ins Spiel: Man gehen davon aus, dass bis 2050 ein Endlager gefunden sein wird, teilte das Ministerium am Donnerstag mit. Dabei nehme man Bezug auf Planungen der BGE. In den Planungen seien allerdings noch nicht alle „für möglich erachteten Beschleunigungspotenziale berücksichtigt“ - es könnte also sogar schneller gehen.
Auch um den Zustand der Castor-Behälter, die bislang den Müll lagern, müsse man sich keine Sorgen machen, hieß es in der Mitteilung. Ein Austausch der Behälter sei nicht erforderlich, sie seien auch über vierzig Jahre hinaus geeignet, das radioaktive Material sicher einzuschließen und abzuschirmen. Eine Verlängerung der Zwischenlager über die ursprünglich geplanten 40 Jahre hinaus ließe sich also sicherheitstechnisch gewährleisten.
2031: Absichtlich unmachbar
Egal ob 2050 oder 2074: Bis ein Endlager gefunden ist, bleibt noch einiges zu tun. Die Suche verläuft, so will es das Standortauswahlgesetz, in einem mehrstufigen, langfristigen Verfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit. Nach dem Prinzip „Weiße Landkarte“ wurde von vornherein kein Bundesland ausgeschlossen, auch wenn Länder wie Bayern protestieren.
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Inzwischen ist die Landkarte nicht mehr weiß. Rund 90 Gebiete - mehr als die Hälfte der Landesfläche - wurden als für ein atomares Endlager geologisch geeignet definiert. In den Blick genommen wird bei der Suche neben den Gesteinsschichten auch die Erdbebengefahr oder die Bevölkerungsdichte. Nun müssen diese 90 Kandidaten weiter eingegrenzt werden.
War das im Gesetz vorgegebene Datum 2031 da jemals realistisch? Nur 14 Jahre für einen solchen Mammutprozess? Es sei nie wirklich geplant gewesen, 2031 fertigzuwerden, so stellt es jetzt das Ministerium dar. Das Zieljahr sei „anzustreben, nicht zwingend einzuhalten“ gewesen, heißt es in der Mitteilung vom Donnerstag. Die Zielmarke 2031 sei „nicht aufgrund einer zeitlichen Abschätzung vorgegeben, sondern um das Verfahren mit einem ambitionierten Zieljahr schnell in Gang zu bringen“. Man wird ja wohl noch träumen dürfen.