"Er wirft mit Worten um sich, die man nicht hören will"

War am Ende alles nur ein Versehen - zumindest in diesem Fall?

Der Rempler von Alistair Brownlee an Jan Frodeno, als dieser gerade beim Sieger-Interview für seinen Triumph beim Ironman auf Hawaii stand, sorgte für große Empörung. Frodeno fluchte, dass sein englischer Rivale "immer schon ein Penner" gewesen sei.

Am Montag erklärte sich Brownlee über seinen Instagram-Kanal: Der Stoß sei keine Absicht gewesen, er habe schlicht keine Kontrolle mehr über seinen Körper gehabt und sei wenige Meter später zusammengebrochen.

Dieser Meinung ist auch Daniel Unger, Triathlon-Weltmeister 2007 über die Kurzdistanz und ehemaliger Konkurrent von Brownlee. "Er kann im Rennen so weit gehen, dass er teilweise keine Kontrolle mehr über seine Koordination hat. Das wird auch auf Hawaii sicherlich so gewesen sein. Er ist oft im Grenzbereich unterwegs. Ich glaube nicht, dass er so unklug ist und Frodeno im Ziel offensichtlich anrempelt", erzählt der 41-Jährige im Gespräch mit SPORT1.

"Im Wettkampf ist er zwar extrem aggressiv und hasst es zu verlieren, in der Szene war es aber der Verlust der Sinne und nicht boshaft. Ich glaube, das im Ziel auf Hawaii war keine Absicht."

Alistair Brownlee eilt ein Ruf voraus

Der gegenteilige Verdacht kam dennoch schnell auf, denn Brownlee ist kein unbeschriebenes Blatt: Der 31-Jährige, 2012 und 2016 Olympiasieger, ist ein Mann, dem ein gewisser Ruf vorauseilt.

Bei der Europameisterschaft 2011 im spanischen Pontevedra wurde ein Teamkollege auf seinen ärgsten Konkurrenten Javier Gomez angesetzt, um diesen beim Schwimmen zu behindern. Mit Erfolg, Brownlee gewann das Rennen. "Das war damals ein handfester Skandal in der Szene, obwohl man ihm die Anschuldigung nie offiziell beweisen konnte", meint Unger. In die gleiche Richtung urteilte schon Ex-Ironman-Sieger Faris Al-Sultan bei SPORT1: "Das ist schon eine besondere Qualität und ein Zeichen großer Unsportlichkeit."

Unsportlich waren auch die Beleidigungen von Brownlee, weil Frodeno in der Nacht auf Sonntag nicht auf ihn gewartet habe, als er mit einem Platten auf dem Fahrrad viel Zeit und Kraft einbüßte.

"Es ist Humbug zu sagen, dass man bei einer Panne eines anderen auf ihn wartet", sagt Unger dazu: "Im Radsport ist das bei großen Rundfahrten ein ungeschriebenes Gesetz, aber im Triathlon gilt diese Regel nicht. Das ist dann sein Problem, da muss niemand auf ihn warten. Nur weil er ein außergewöhnlich erfolgreicher Athlet und zweimal Olympiasieger ist, muss sich nicht das Feld nach ihm richten. Das funktioniert natürlich nicht."

Bruder Jonathan gilt als der Nettere

Brownlee arbeite "am Rande dessen, was gerade noch geht. Dabei ist er ein überragender Athlet, der das gar nicht nötig hätte. Er ist ständig am Kommunizieren und wirft mit Worten um sich, die man teilweise einfach nicht sagen muss und vor allem nicht hören will", ergänzt Unger: "Das Schlimme ist: Oftmals gab es auch keinen Grund. Man muss seine Gegner nicht mit Schimpfworten bewerfen. Bei Brownlee kann man den Eindruck gewinnen: Sobald er eine Startnummer anhat, vergisst er seine gute Erziehung, die er sicherlich einst mal genossen hat. Wenn das Rennen dann vorbei ist, ist er wieder lammfromm." Im Wettkampf dagegen habe er "das Messer zwischen den Zähnen" und lasse den Respekt zeitweise vermissen.

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Woher die Einstellung kommt bei einem Mann, der für eine Weile an der Elite-Universität Cambridge studiert hat und seit 2013 Mitglied des ehrwürdigen Order of the British Empire ist?

Der am 23. April 1988 in der Stadt Dewsbury in der Grafschaft West Yorkshire geborene Brownlee hat in jedem Fall ein ausgeprägtes Wettkampf-Gen, Vater Keith war Läufer, Mutter Cathy Schwimmerin. Auch Bruder Jonathan ist erfolgreicher Triathlet, gewann 2012 Olympiabronze und 2016 Silber.

Jonathan gilt als der nettere Bruder, der nicht negativ auffällt, in der Szene ist er nach Ungers Angaben sehr beliebt. Der zwei Jahre ältere Jonathan allerdings ist der erfolgreichere. Mag das eine mit dem anderen zu tun haben?

"Total auf Sieg programmiert"

Brownlee ist ein extremer Wettkampftyp, der sich im Rennen komplett auspowert und seinen Körper ans Limit bringt. Diese Herangehensweise kostete den Mitfavoriten bei seiner Premiere in der Ironman-Distanz auf Hawaii eine vordere Platzierung, nach einem Einbruch beim abschließenden Marathon landete er mit über 34 Minuten Rückstand auf Sieger Frodeno nur auf Platz 21.

"Auf Hawaii hat er durch die Hitze und die Dauer des Rennens sicherlich Lehrgeld bezahlt, aber auch die offensive Renngestaltung war absolut abzusehen. Er wollte nicht abwarten, sondern war auch in diesem Triathlon total auf Sieg programmiert", erklärt Unger. Auch Brownlee selbst meinte bei Instagram, dass er nach der Hälfte der Laufdistanz am Ende war, eine Aufgabe jedoch nicht in Frage gekommen sei.

Die 2017 begonnene Umstellung auf die Ironman-Distanz erfordert anscheinend noch strategische Anpassungen. Auf der olympischen, wo er früher von Erfolg zu Erfolg eilte, kennt Unger seine Stärken nur zu gut.

"Er hatte so gut wie keine sportlichen Schwächen und war im Rennen extrem aggressiv unterwegs. Er gestaltete die Rennen immer offensiv und hat beim Schwimmen und Radfahren schon das Tempodiktat an sich gerissen", erinnert er sich: "Er hat sich selbst in den Wind gestellt und ist immer vorneweg gefahren. Beim Laufen war er dann oftmals auch noch der Schnellste. In allen drei Disziplinen war er extrem gut und am Ende der Rennen meistens eine Nummer besser als alle anderen."

Brownlee lässt Respekt vermissen

Die aggressive Art scheint einen gewissen Anteil an Brownlees Erfolgsgeschichte zu haben. Auch seinen Kumpel Frodeno beschreibt Unger im Wettkampf als Hitzkopf, der sich von seinen Konkurrenten nichts sagen lässt.

Und dass zwei temperamentvolle Weltklasse-Athleten wie Brownlee und Frodeno aneinandergeraten, sei deshalb nicht verwunderlich. "Frodenos 'Penner'-Spruch war sicherlich in dem Moment auch dem Wettkampf-Adrenalin geschuldet", glaubt Unger.

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Bei den kommenden Hawaii-Rennen dürfte Brownlee nach seinem missglückten Auftritt nun umso motivierter sein, die deutsche Dominanz auf der Insel zu brechen. Auch in den kommenden Jahren wird Zündstoff garantiert sein.