Ergänzung in der Erkältungszeit? - Ernährungsprofi sagt, wer Vitamin-D-Tabletten braucht - und wem sie eher schaden
Unser Körper produziert Vitamin D mithilfe des Sonnenlichts. Im Winter fragen sich daher viele Menschen, ob sie Vitamin D-Pillen benötigen. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop klärt die wichtigsten Fragen rund um das Sonnenvitamin.
Was ist Vitamin D und wozu benötigt unser Körper es?
Vitamin D ist eigentlich gar kein Vitamin im klassischen Sinne, sondern eine Hormonvorstufe, die zu einem hochaktiven „Knochenhormon“ (Calcitriol) umgewandelt wird. Durch UV-B-Strahlen aus Sonnenlicht, das auf die Haut scheint, kann unser Körper aus Cholesterin das Vitamin D in dieser inaktiven Proform selbst herstellen. Daher wird Vitamin D auch oft als „Sonnenvitamin“ bezeichnet.
Die Hormonvorstufe aus der „hauteigenen Produktion“ wird in Leber und Niere weiter in seine aktive Form umgewandelt. Dieses wirksame Hormon nimmt dann eine Schlüsselrolle im Knochenstoffwechsel und bei der Knochenmineralisierung ein.
Darüber hinaus ist Vitamin D an vielen weiteren Stoffwechselvorgängen beteiligt. Da unser Körper etwa 80 Prozent bis 90 Prozent des Vitamins selbst in der Haut herstellt und dafür Sonnenlicht notwendig ist (und zwar nur UV-B-Strahlung, die vor allem im Freien vorhanden ist), wird immer wieder die Frage diskutiert, ob wir Mitteleuropäer im Herbst und Winter einen relevanten Vitamin D-Mangel entwickeln und was kann man dagegen tun kann?
Können wir unseren Vitamin D-Bedarf – wie bei allen anderen Vitaminen – mit der Ernährung decken?
Nein. Über die Ernährung führen wir nur einen kleinen Teil zu. Einige Lebensmittel enthalten zwar Vitamin D, allerdings in relativ geringen Mengen. Dazu gehören beispielsweise die fettreichen Fische Lachs, Makrele und Hering, die wir in unserer mitteleuropäischen Ernährung aber nicht so oft verzehren. Ausreichende Konzentrationen dieser Hormonvorstufe, die zur Erhaltung der Knochengesundheit beiträgt, kann deshalb ausschließlich unser Körper selbst bilden – und das nur mithilfe der Sonnenstrahlen.
Müssen „gesunde Durchschnittsdeutsche“ daher im Winter Vitamin D-Präparate einnehmen?
Nein, grundsätzlich nicht. Hier sind sich die drei führenden medizinischen Fachgesellschaften für Endokrinologie, Allgemeinmedizin und innere Medizin einig: „Für einen `gesunden´ erwachsenen Durchschnittsdeutschen reichen die Vitamin D-Speicher, die in der sonnenreichen Jahreszeit gebildet werden, auch für den Winter aus“, erklärt Stephan Scharla von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).
Sein ärztlicher Kollege Jan Oltrogge von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und Autor der kommenden S3-Ärzteleitlinie zur Vitamin D-Supplementation ergänzt: „Auf Basis vieler Studien sowie internationaler Leitlinien ist davon auszugehen. dass für gesunde Durchschnittsdeutsche weder eine Vitamin D-Spiegelbestimmung noch eine allgemeine Supplementierung mit Vitamin D-Präparaten notwendig ist. Es gibt keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege dafür, dass eine Einnahme von Vitamin D-Tabletten gesunde Menschen `gesünder´ macht.“
Auch Dagmar Führer-Sakel, Endokrinologin und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) stellt klar: „Gerade wurde die Studienlage zum Einsatz von Vitamin D für die Vorbeugung von Krankheiten neu bewertet. Hierzu gehören auch sehr pragmatische Empfehlungen für die Allgemeinbevölkerung vs. Risikogruppen für einen Vitamin D Mangel. Bei Erwachsenen im Alter bis 74 Jahre wird beispielsweise eine Vitamin D-Supplementation grundsätzlich nicht empfohlen.“
Gibt es Personengruppen mit einem hohen Risiko für einen Vitamin D-Mangel, die Vitamin D-Präparate einnehmen sollten?
Ja, dazu gehören beispielsweise Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen, Menschen mit sehr dunkler Hautpigmentierung und Senioren im hohen Alter. Auch wer kaum Sonneneinstrahlung abbekommt, zum Beispiel bei Hauterkrankung oder Schichtarbeit, gehört zur Risikogruppe für einen Vitamin D-Mangel. Denn: Ausreichende Mengen an UV-B-Strahlung gibt es nur im Sonnenlicht im Freien, nicht hinter Glasscheiben.
Darüber hinaus empfehlen internationale Fachgesellschaften eine Vitamin D-Supplementation grundsätzlich auch für Kinder, Jugendliche und für Schwangere. Besprechen Sie dieses Thema auf jeden Fall mit Ihrem Arzt, bevor Sie eigenständig Vitamin D-Produkte schlucken, denn ein Zuviel davon kann gesundheitsschädlich sein.
Sollten auch gesunde Menschen vorsorglich im Winter den Vitamin D-Spiegel messen lassen?
„Die aktuellen und auch schon in vielen Ländern seit längerem etablierten Empfehlungen lauten: Keine Messung bei Gesunden!“, sagt Medizinerin Führer-Sakel (DGIM), „natürlich variieren die Werte in Abhängigkeit von der UV-B Einstrahlung, aber Gesunde müssen sich keine Sorgen um diese jahreszeitlichen Schwankungen machen, denn Vitamin D ist ein fettlösliches Vitamin, wird also unter anderem im Fettgewebe gespeichert. Und unser Körper hat ein ausgeklügeltes System, aktives Vitamin D bereitzustellen.“
Darüber hinaus „gibt es auch keine konkreten Studien, wie hoch der Vitamin D-Wert Ende September (Sommerende) am besten sein soll, um gut durch den Winter zu kommen“, so Scharla (DGE).
Oltrogge (DEGAM) gibt zudem zu bedenken: „Wichtig ist abschließend noch zu betonen, dass bei Vitamin D nicht gilt: `Viel hilft viel!´ Eine zu hohe Einnahmedosis von Vitamin D kann unter anderem zu schweren Verkalkungen der Gefäße und Nierenschädigung führen und korreliert mit erhöhter Sturzneigung. Es gibt immer wieder Patienten, die auf Grund einer fehlerhaften Vitamin D-Überdosierung bleibende Schäden erlitten haben.“
Schützt das Sonnenvitamin vor Erkältung?
„Möglicherweise ein bisschen. Der Effekt dürfte winzig sein. Die Einnahme von Vitamin D könnte vielleicht einen vorbeugenden Effekt gegen Infektionen mit Erkältungs-, Schnupfen- und Grippeviren haben. Dieser scheint allerdings nur minimal zu sein. Ob Betroffene dank Vitamin-D-Tropfen merklich seltener krank werden, ist fraglich.“ So sieht es das internationale Forschungsnetzwerk Cochrane.
In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie zur Rolle von Vitamin D in der Corona-Pandemie konstatierten die Forscher 2021: „Zusammenfassend bleibt die Datenlage ohne eindeutigen Beweis für einen Vorteil von Vitamin D außerhalb der belegten Wirkung auf den Knochen. Darüber hinaus mehren sich die Hinweise dafür, dass viel nicht unbedingt viel hilft und möglicherweise sogar eher nachteilig sein könnte.“
Bereits 2012 ergab eine hochwertige Studie: „Die monatliche Gabe von Vitamin D hat weder das Auftreten, noch die Schwere von Erkältungskrankheiten verhindert“, so die Forscher im Journal of the American Medical Association. Auch danach ließen sich in Studien mit einer Vitamin-D-Supplementierung keine klaren Ergebnisse erzielen.
So ergab 2017 eine Metaanalyse von sieben Studien, publiziert im renommierten Medzinjournal JAMA, dass auch bei Kindern kein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Einnahme und Erkältungen zu beobachten war. „Wahrscheinlich haben wir einen weiteren Vitamin-Mythos zerstört“, sagt der Studienleiter damals, „unsere Daten sprechen nicht für die Vitamin D-Einnahme, um Atemwegsinfekte bei gesunden Kindern zu verhindern.“
Und wie sieht es mit anderen Atemwegserkrankungen wie Asthma und COPD aus - hilft Vitamin D hier?
Ein doppeltes Nein. Die Einnahme von Vitamin D-Produkten erfreut sich zwar zunehmender Beliebtheit, auch wenn ohne bestehenden Mangel ein Nutzen für die meisten Erkrankungen noch immer unbewiesen ist. So hat ein Cochrane Review bereits 2023 bestätigt: Vitamin D verhindert weder, dass sich Asthma akut verschlechtert, noch bessern sich die Symptome. Und ein neuer Cochrane Review aus Oktober 2024 findet weder einen Nutzen noch Einfluss von Vitamin D auf den Krankheitsverlauf und die Symptome einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).
Randnotiz: Cochrane produziert seit über 30 Jahren systematische Übersichtsarbeiten („Cochrane Reviews“) . Diese Übersichtsarbeiten fassen den aktuellen Wissensstand der Forschung zu Fragestellungen aus Medizin und Gesundheit zusammen und bewerten die Belastbarkeit der zugrundeliegenden Studienergebnisse. Damit bilden Cochrane Reviews eine zentrale Grundlage der evidenz(beweis)basierten Medizin.