Ergotherapeutin im Interview - „Schmerz rückt in den Hintergrund“: Wie Kunst chronischen Schmerzpatienten hilft

"Kunst oder auch andere kreative Ausdrucksweisen können eine bedeutende Rolle bei der Schmerzverarbeitung spielen."<span class="copyright">Getty Images/AleksandarNakic</span>
"Kunst oder auch andere kreative Ausdrucksweisen können eine bedeutende Rolle bei der Schmerzverarbeitung spielen."Getty Images/AleksandarNakic

Jeder Dritte entwickelt im Laufe des Lebens eine Gürtelrose. Während sie bei manchen nach kurzer Zeit überstanden ist, leiden andere über Monate oder gar Jahre an anhaltenden Schmerzen. Fachleute sprechen dann von einer Post-Zoster-Neuralgie. Ergotherapeutin Stephanie Leitold unterstützt Betroffene.

Frau Leitold, wie erleben Sie als Ergotherapeutin Personen mit starken chronischen Schmerzen wie bei der Post-Zoster-Neuralgie?

Stephanie Leitold: Menschen mit chronischen Schmerzen erlebe ich auf verschiedene Weise, da die Schmerzen sowohl die Stimmung, ihr Verhalten, aber auch das tägliche Leben beeinflussen. Manche sind eher frustriert und traurig, andere gereizt oder auch zurückgezogen. Sie zeigen Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit und gehen dadurch auch öfter in die soziale Isolation. Ich habe schon oft erlebt, dass Patienten zu Beginn der Therapie Termine absagen, weil sie Angst davor haben, mit Schmerzen in die Therapie zu kommen. Manche möchten sich alles von der Seele reden, andere wiederum erzählen sehr wenig, da sie nicht als Belastung wahrgenommen werden möchten. Die Situationen sind sehr individuell. Es braucht viel Verständnis, da der Schmerz nicht sichtbar und nicht direkt nachvollziehbar für Außenstehende ist.

Vor welchen Herausforderungen stehen Patienten, die schon länger an Schmerzen beziehungsweise an starken Schmerzen leiden?

Leitold: Schmerzpatienten nehmen häufig Medikamente ein, um ihre Schmerzen zu unterdrücken. Das führt dazu, dass sie den Schmerz nicht mehr so präsent wahrnehmen und verlernen, besser auf sich selbst zu achten und ihre Grenzen einzuhalten. Durch die dauerhaften Schmerzen und die damit verbundenen Einschränkungen im Alltag leiden viele der chronischen Schmerzpatienten außerdem unter einer depressiven Stimmung. Sie haben die Hoffnung, dass sich die Schmerzen irgendwann verbessern oder sogar ganz verschwinden, aufgegeben. Andere versuchen, zu ihrem Leben vor dem Schmerz zurückzukehren und suchen nach der einen Therapieform, die ihnen dabei hilft, wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehen, so wie vor der Erkrankung.

Wie unterstützen Sie diese Patienten im Rahmen Ihrer Behandlung?

Leitold: Bei meiner Arbeit lege ich Wert darauf, dass Patienten zunächst lernen, ihre Situation anzunehmen. Ich versuche, ihnen zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, ihre Situation realistisch zu betrachten und sich weder in Hoffnungslosigkeit fallen zu lassen noch Zielen nach einer Wunderheilung nachzujagen. Anschließend unterstütze ich sie dabei, ihren Körper und ihre individuellen Symptome aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, und ihre eigenen Grenzen und Fähigkeiten wahrzunehmen. Hierbei ist es besonders wichtig, hervorzuheben, was möglich ist, statt sich darauf zu konzentrieren, was unmöglich ist. Auf dieser Basis helfe ich ihnen, schrittweise den Umgang mit dem Schmerz im Alltag besser zu bewältigen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Patienten mit Post-Zoster-Neuralgie als Folge einer Gürtelrose gemacht? Wie wirkt sich der Schmerz auf deren Leben aus?

Leitold: Patienten, die an einer Post-Zoster-Neuralgie leiden, beschreiben ihre Schmerzen häufig als brennend oder stechend. Viele empfinden ihn als sehr belastend und er ist meist mit einem starken Leidensdruck verbunden. Viele Patienten stehen zudem durch die Erkrankung vor zusätzlichen Herausforderungen, wie finanziellen Sorgen, Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber, liegengebliebener Arbeit und Familienrollen, die sie nicht mehr so erfüllen können, wie sie und die Angehörigen es gewohnt sind. Es ist wichtig, dass die Patienten lernen, dass Schonung und Ruhe im Behandlungsprozess genauso wichtig sind, wie die Therapie selbst.

Welche Methoden und Therapieansätze wenden Sie am häufigsten an, damit Patienten mit den Schmerzen im Alltag besser umgehen können?

Leitold: Bei meiner Arbeit spielt Achtsamkeit eine zentrale Rolle. Durch Achtsamkeit lernen die Patienten ihre Wahrnehmung zu schärfen, im Moment zu leben und sich auf das Positive zu konzentrieren. Zu den Techniken, die ich verwende, gehören Atemübungen und Sinnesübungen. Auch kreative Ausdrucksmöglichkeiten, wie das Gestalten von Bildern, sind ein wichtiger Bestandteil in meinen Therapiesitzungen.

Wie kann Kunst helfen, Schmerzen besser zu verarbeiten?

Leitold: Kunst oder auch andere kreative Ausdrucksweisen können eine bedeutende Rolle bei der Schmerzverarbeitung spielen. Auf der einen Seite kann Kunst den Patienten dabei helfen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Dazu nutzen sie zum Beispiel bestimmte Farben oder Motive. Auf der anderen Seite können sie im Prozess selbst, also durch die Erschaffung von Kunst, ihren Schmerz in den Hintergrund rücken. Ich sehe immer wieder, dass die Patienten während der kreativen Arbeit die Zeit vergessen. Und so wird durch ihre kreative Arbeit die Schmerzwahrnehmung verringert.

Welche Empfehlungen haben Sie für Schmerzpatienten mit Nervenschmerzen zum Beispiel durch Gürtelrose?

Leitold: Das Wichtigste für chronische Schmerzpatienten ist an erster Stelle eine gute ärztliche Versorgung. Es gibt mittlerweile auch viele stationäre und ambulante Schmerztherapien, die Schmerzpatienten in Anspruch nehmen können. Bei diesen Behandlungen wird ein ganzheitlicher Ansatz angewendet und die Patienten werden durch ein interdisziplinäres Team betreut und darüber aufgeklärt, welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen. Die Behandlung wird häufig durch ambulante Ergotherapie und Physiotherapie ergänzt. Diese Kombination aus Behandlungsansätzen sollte viel mehr Beachtung bei den behandelnden Ärzten bekommen, um die Patienten in allen Aspekten zu unterstützen, die durch ihre Schmerzen beeinträchtigt werden.