Ernährungswissenschafter erklärt - Dicke leben länger als Dünne? Was es mit dem Adipositas-Paradoxon auf sich hat

Die Studienergebnisse zeigen, dass kein Unterschied in puncto Gesamtsterblichkeit bei gesunden Nicht-Fettleibigen und gesunden Fettleibigen beobachtet werden konnte.<span class="copyright">Getty Images/miljko</span>
Die Studienergebnisse zeigen, dass kein Unterschied in puncto Gesamtsterblichkeit bei gesunden Nicht-Fettleibigen und gesunden Fettleibigen beobachtet werden konnte.Getty Images/miljko

Es gilt inzwischen als Binsenweisheit: „Fettleibige sterben früher“. Aber ist das überhaupt erwiesen? Ernährungswissenschaftler Uwe Knop hat sich die Studienlage angesehen.

Was hat es mit dem „Adipositasparadoxon“ auf sich?

Den Begriff „Adipositasparadoxon“ gibt es schon sehr lange. Er kommt daher, dass in den letzten zehn bis 20 Jahren mehrere  große Beobachtungsstudien immer wieder aufs Neue bestätigt haben: Bei vielen Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes und Krebs, leben Dicke länger als Schlanke. Warum das so ist, darüber wird noch immer wild und kontrovers spekuliert - und viele „Hardliner“ wollen es auch nicht wahrhaben, sodass diese Paradoxon auch viele Kritiker hat, die Zweifel an den Daten hegen und andere Auswertungsmethoden als möglichen Gegenbeweis heranziehen. Wer auch immer Recht haben mag – Fakt ist, die „Pro-Paradoxon-Phalanx“ erhielt in diesem Jahr (2024) erneut glasklare Unterstützung eines Autorenteams, deren Publikation im renommierten Medizinfachjournal nature erschien.

Was haben die Forscher in der Studie untersucht?

Die Forscher haben in der Studie  mehr als 50.000 Patienten in vier unterschiedliche Typen aufgeteilt:

  • gesunde Nicht-Fettleibige (1)

  • gesunde Fettleibige (Adipöse) (2)

  • Nicht-Fettleibige mit krankhaftem Stoffwechsel (3)

  • und Fettleibige mit krankhaftem Stoffwechsel (4).

Bei allen vier Gruppen beobachteten die Wissenschaftler die Gesamtsterblichkeit. Das ist der härteste aller klinischen Endpunkte, also der stärkste Parameter, den Studien untersuchen können: Wer lebt wie lange? Diese „Mortalität“ ist von großer Relevanz, das wollen alle Forscher wissen.

Welche Ergebnisse lieferten Wissenschaftler?

Die Studienergebnisse zeigen, dass  kein  Unterschied in puncto Gesamtsterblichkeit bei gesunden Nicht-Fettleibigen und gesunden Fettleibigen beobachtet werden konnte. Nicht-Fettleibige mit Stoffwechselstörungen hingegen hatten das höchste Risiko insgesamt, früh zu versterben.

Ein weiteres, sehr interessantes Fazit lautet daher: „Insbesondere stellten wir fest, dass  Adipositas  das Risiko der  Gesamtmortalität  bei Menschen mit Stoffwechselstörungen  verringerte .“ Das heißt wer einen krankhaft veränderten Stoffwechsel hat und nicht adipös ist, der stirbt offenbar früher als stoffwechsel-gestörte Fettleibige. Woher dieses „Fettleibigkeitsparadoxon“ kommt, ist nicht gesichert zu erklären. Nichtsdestotrotz konstatiert das Autorenteam unmissverständlich:

„Unser Ergebnis unterstützt die Existenz des „Fettleibigkeitsparadoxons“, über das bereits in mehreren Studien berichtet wurde.“ Die Wissenschaftler weisen insbesondere aufgrund dieser erneut polarisierenden Ergebnisse eindringlich auf folgendes hin: „Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Gewichtszunahme gefördert werden sollte, um das Risiko der Gesamtsterblichkeit zu senken.“ Die Wissenschaftler warnen also klar davor, dass aus dieser  Korrelation keine Kausalität  abgeleitet werden kann. Diese Grundsatz-Warnung sollten sich alle Ernährungswissenschaftler an den Kühlschrank pinnen.

Warum sollten sich gerade die Ernährungsforscher diese Warnung merken?

Ganz einfach: Weil die „Umdeutung“ von Korrelationen in Kausalitäten der Kardinalfehler beim Thema gesunde Ernährung ist. Die Ernährungswissenschaften sind in einer sehr bemitleidenswerten Lage, weil sie keine Kausalitäten (also keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen, keine Beweise) liefern können, sondern nur Korrelationen, also banale statistische Zusammenhänge. Und diese lassen maximal Hypothesen und Vermutungen zu.  Daher gleichen Ernährungswissenschaften dem Lesen einer Glaskugel .

Das wollen viele „Player im Ernährungsbusiness“ aber nicht wahrhaben - und daher werden gerne Korrelationen in Kausalitäten umgedeutet, um wichtiger zu erscheinen, als man wirklich ist. Das machen auch Politiker gerne: Bei  Karl Lauterbach fragt man sich immer wieder, ob er den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht kennt . Aber das ist nicht die einzige Schwäche dieses Forschungszweigs, es gibt zahlreiche mehr - sodass letztlich bis heute niemand weiß, was genau gesunde Ernährung sein soll.