Die Erotikbranche fürchtet das Total-Verbot

Während Tattoo-Studios wieder öffnen, bleiben Bordelle auf unbestimmte Zeit geschlossen. Einblicke in eine Branche, die fürchtet, nebenbei verboten zu werden.

Menschenleer und nahezu unbeleuchtet ist der Eingang zu einem Bordell an der Hamburger Reeperbahn. Prostitution bleibt erst mal verboten. Foto: dpa
Menschenleer und nahezu unbeleuchtet ist der Eingang zu einem Bordell an der Hamburger Reeperbahn. Prostitution bleibt erst mal verboten. Foto: dpa

Anna ist 50 Jahre alt und arbeitet in Berlin als Prostituierte. Ihren letzten Kunden hatte sie im März. Eine Dienstleistung, die aus Nähe Profit macht, verkauft sich nicht gut in Zeiten einer Pandemie.

Schon damals war die Verunsicherung groß: „Wir haben viel mit den Kunden über Corona geredet und geschaut, ob sie Fieber haben“, erinnert sich Anna an die Zeit vor dem Shutdown. Kurz danach musste sie aufhören zu arbeiten. Seitdem verbringt sie ihre Zeit mit Hoffen. Darauf, dass sie irgendwann wieder wird arbeiten können.

Anna widerlegt in vielerlei Hinsicht das Bild, das häufig von der Sexarbeit gezeichnet wird. Sie ist nicht jung und wird nicht zu dem, was sie tut, gezwungen. Sie sagt: „Ich liebe meine Arbeit.“ So schnell wie möglich will sie wieder einsteigen. Unter den bestehenden Hygieneregeln versteht sich.

Vor allem will sie aber eines: ernst genommen werden. „Viele haben ein falsches Bild von uns“, sagt sie. „Entmündigt“ fühle sie sich – vor allem angesichts eines Briefes, der das gesamte Erotikgewerbe in Angst versetzt, zurück in die Illegalität zu müssen.

Wie Anna arbeiten in Deutschland viele Tausend Frauen in der Prostitution. Wie viele es genau sind, darüber wird gestritten. Sechzehn Bundestagsabgeordnete aus CDU und SPD, darunter Karl Lauterbach und Herrmann Gröhe, sprechen in einem offenen Brief an die Ministerpräsidenten der Länder von 400.000 Prostituierten.

Bundesverband fordert: Prostitutionsstätten wieder öffnen

Sie rufen dazu auf, Sexarbeit auf keinen Fall wieder zu ermöglichen. „Es dürfte auf der Hand liegen, dass Prostitution die epidemiologische Wirkung eines Super-Spreaders hätte“, heißt es in dem Schreiben. Die Abgeordneten fordern außerdem die Einführung des sogenannten „nordischen Modells“, um die Frauen vor den „menschenunwürdigen“ und „zerstörerischen“ Zuständen in der Prostitution zu schützen.

Das Modell stammt aus Skandinavien. In Schweden, Norwegen und Island und inzwischen auch in einigen anderen Ländern werden nicht die Frauen, sondern die Freier für die sexuelle Dienstleistung bestraft. In Deutschland hingegen ist Sexkauf legal, solange es sich bei den Prostituierten nicht um Minderjährige oder Zwangsprostituierte handelt. Das „nordische Modell“ käme einem Verbot gleich. Ein Verbot, dem Corona als Vorwand dienen könnte.

Die Sozialarbeiterin

Die Zahl von 400.000 Prostituierten ärgert Juanita Henning. Die Sozialarbeiterin geht von höchstens 90.000 Frauen aus, die in Deutschland ihr Geld mit Sexarbeit verdienen. Die Zahl beruht auf Recherchen ihres Vereins Doña Carmen, der mitten im Frankfurter Rotlichtbezirk Prostituierte in drei Sprachen berät.

Unstrittig ist nur, dass 33.000 Frauen offiziell bundesweit registriert sind. Dass um die Dunkelziffer so heftig gestritten wird, liegt auch daran, dass an der Zahl die Deutungshoheit über die Branche hängt. Wie viele Frauen üben tatsächlich aus Zwang diesen Beruf aus?

Juanita Henning kümmert sich seit über 30 Jahren um Prostituierte in Frankfurt – sie kennt das Milieu. Die Darstellung, viele der Frauen seien macht-, mittel- und obdachlos, ärgert sie. Momentan ärgert sie einiges: das Berufsverbot, die langsame Arbeit der Behörden und die drohende Kriminalisierung der Erotikbranche. „Illegale Strukturen sind noch schwieriger zu kontrollieren“, sagt sie. Sie sehe schon jetzt, dass manche Frauen ihre Stammfreier weiterhin bedienen. Jenseits aller behördlichen Kontrollen.

Die Bordellbetreiberin

Auch die Inhaberin des Bordells „Lauras Girls“ erlebt, dass Prostitution zu Coronazeiten weiterhin stattfindet: „Frauen in finanzieller Notlage organisieren sich Dates in den sozialen Medien“, sagt sie. Ihr Nachname tue nichts zur Sache, das, was sie zu sagen habe, dagegen schon: „Unser Standpunkt geht in der Hygienediskussion unter.“

Sie betreibt zwei Etablissements in Speyer und Karlsruhe, die anders als viele andere Häuser eine offizielle Betriebsgenehmigung haben. „Wenn man seine Pflichten erfüllt, sollte man auch die entsprechenden Rechte bekommen“, findet sie. Das Recht beispielsweise, den Betrieb unter Auflagen wieder aufnehmen zu können. So wie Restaurants, Hotels und Piercingstudios.

Für Laura geht es um die Existenz, denn die Kosten für etwa den Lohn der Hausdame, Heizung, Steuerberater und Anwalt laufen weiter, während die kompletten Einnahmen wegfallen.

Normalerweise mieten die Frauen bei ihr für einige Tage ein Zimmer, reisen dann weiter. Für wie lange ihr Haus geschlossen bleiben muss, kann niemand sagen. „Anfangs hieß es vier Wochen, daraus wurden sechs und dann acht. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo wir über ein Komplettverbot reden“, beschreibt Laura ihre Situation. Sie habe Angst, „wieder in die illegale Schiene zu rutschen“.

Der Anwalt

In Frankfurt haben sich elf von Lauras Kollegen zusammengetan, um vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel gegen die Komplettschließung ihrer Bordelle zu klagen. Rechtsanwalt Michael Karthal vertritt sie. Seine Normenkontrollklage richtet sich gegen die Verordnung des Landes, Prostitution wegen der Corona-Pandemie komplett zu untersagen.

Karthal erklärt: „Wir beziehen uns auf den Gleichheitsgrundsatz und wehren uns gegen das allgemeine Berufsverbot.“ Auch Bordelle seien in der Lage, Hygienekonzepte vorzustellen und einzuhalten.

Einen Vorschlag, wie das konkret aussehen könnte, hat der Unternehmerverband Erotikgewerbe Deutschland (UEGD) vorgelegt. Das 44 Seiten lange Papier präsentiert Möglichkeiten für Bordelle, die Hygienebestimmung auch bei laufendem Betrieb einzuhalten.

In einer ersten Phase sollen nur erotische Massagen erlaubt sein. Sobald die Politik aber schweißtreibenden Nahkampf wie Ringen oder Boxen wieder freigibt, solle auch käuflicher Geschlechtsverkehr wieder möglich sein. Ansonsten sieht das Dokument dieselben Regeln vor, wie bei anderen Betrieben auch: Mundschutz, Abstand, Desinfektionsmittel und Homeoffice statt Büroarbeit.

Die Aktivistin

Für Stephanie Klee ist es nicht das erste Mal, dass Politiker ihren Beruf verbieten wollen. Sie ist studierte Sozialarbeiterin und Verwaltungswirtin und setzt sich seit den 1970er-Jahren für die Rechte der Sexarbeiterinnen ein, ist Veteranin des langen Kampfes für legale Prostitution. Eigentlich arbeitet sie im Altenheim, kümmert sich dort um die sexuellen Bedürfnisse der Bewohner. Momentan ist sie mal wieder damit beschäftigt, das Bild ihrer Branche geradezurücken.

In einem Brief fordert sie als Vorsitzende des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen die Abgeordneten auf, sich mit der Realität ihrer Arbeit zu beschäftigten. Ein Verbot hätte Sexarbeiterinnen noch nie Schutz gebracht, heißt es. Ihr Vorwurf an die Politiker: „Die wollen Corona für ihre politische Agenda nutzen.“ Die Darstellung der Prostitution als Infektionsherd sei beleidigend. „Wir sind erfahrener mit Hygiene als andere“, sagt Klee.

HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten hätten die Arbeiterinnen sehr sensibel für die Gefahr von Keimen gemacht. „Es gibt immer noch zu viele Vorurteile“, sagt Klee „dabei sind wir doch ein Teil der Wirtschaft und der Gesellschaft.“

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