Erstaunlich problemlos - Briten beenden ihre Kohle-Ära - was Deutschland daraus lernen kann

Bald nicht mehr am Netz: Das britische Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar in einer Aufnahme vom letzten Donnerstag<span class="copyright">OLI SCARFF/AFP</span>
Bald nicht mehr am Netz: Das britische Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar in einer Aufnahme vom letzten DonnerstagOLI SCARFF/AFP

Als erstes Industrieland überhaupt begann Großbritannien im 19. Jahrhundert die Kohle-Energie zu nutzen. Doch damit ist jetzt Schluss: Das Königreich schaltet sein letztes Kohlekraftwerk am 30. September ab - während Deutschland womöglich erst in einem Jahrzehnt aussteigen wird. Warum sind uns die Briten einen Schritt voraus?

Was die Briten und die Deutschen unterscheidet? Earl-Grey-Tee am Morgen. Und dass Deutschland Kohle noch immer für 20 Prozent der gesamten Stromerzeugung nutzt. Kohlekraftwerke werden in Deutschland noch voraussichtlich bis 2035 am Netz bleiben. Das Vereinigte Königreich kommt der Bundesrepublik zehn Jahre zuvor und stellt sein letztes Kohlekraftwerk – Ratcliffe-on-Soar nahe der Großstadt Nottingham – Ende des Monats ab. Sogar mehr als ein Jahr vor dem geplanten Ausstieg 2025.

Britische Kohle von deutschem Betreiber

Dabei waren es die Engländer selbst, die als erstes Land weltweit mit der Kohlestromversorgung begonnen haben. 1882 begann die Reise mit fossilen Brennstoffen. Im Jahr 1968 startete Ratcliffe-on-Soar, Betreiber ist der deutsche Energieversorger Uniper. Im Laufe seiner Betriebszeit hat das Kraftwerk genug Energie erzeugt, um mehr als 21 Billionen Tassen Tee zu kochen - ungefähr 1 Milliarde Tassen pro Tag, so das Unternehmen. Kein Wunder: Mit einer Kapazität von zwei Gigawatt und acht Kühltürmen ist Ratcliffe eine der größten Anlagen seiner Art gewesen.

Doch mit dem Kraftwerk südlich von Nottingham endet die gesamte Kohle-Ära Englands. In Deutschland hingegen sind noch Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 26 Gigawatt (GW) in Betrieb. Der Kohle-Anteil am deutschen Strommix ging vor allem dank des Ausbaus der Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren stark zurück und sank auf den niedrigsten Stand seit den 1960ern. Dennoch bleibt die Kohle mit einem Anteil von 20 Prozent noch eine wesentliche Säule der deutschen Stromerzeugung.

Warum also dauert es in Deutschland so viel länger?

Klare Strategie seit Jahrzehnten

England hat eine klare politische Strategie zur Reduzierung von Kohlenutzung verfolgt. Unter der neuen Labour-Regierung um Premierminister Keir Starmer sind erneuerbare Energien eine der fünf Prioritäten im Wahlprogramm. Der „Coal Phase Out“ wurde durch das UK Climate Change Act von 2008 und weitere Initiativen gefördert.

Deutschland tut sich damit schwerer: Über Jahrzehnte war Kohle die Hauptquelle für Strom, dank Kraft-Wärme-Kopplung liefern viele Kohlekraftwerke auch Wärme an deutsche Haushalte. Die bestehenden Infrastrukturen für Kohle- und Kernkraftwerke müssen umgebaut oder stillgelegt werden. Ganze Regionen wie die Brandenburger Lausitz sind wirtschaftlich im hohen Maße vom Kohlebergbau abhängig. Das erschwert einen schnellen Ausstieg.

Ein weiterer Unterschied: Die Kosten für erneuerbare Energien sind in Großbritannien schneller gesunken. Auch die Co2-Steuern im Vereinigten Königreich haben höhere Sätze als in Deutschland und werden weiterhin regelmäßig angehoben. Das schafft stärkere Anreize für Unternehmen und Verbraucher, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren.

Die Wasserstoff-Zukunft

Dass die Briten ihr letztes Kohlekraftwerk schließen, hat aber noch einen anderen Grund: Gas. Mit fast 40 Prozent ist Gas der wichtigste Energieträger in der britischen Energieversorgung. In Deutschland sind es laut Fraunhofer-Institut (ISE) gerade mal 10 Prozent. Erdgas ist alles andere als klimaneutral, aber es setzt bis zu 50 Prozent weniger CO2 frei als Kohle. Erdgas wird aus diesem Grund oft als Brückentechnologie betrachtet, ein Weg, um die Lücke zwischen Kohle und vollständig erneuerbaren Energien zu schließen.

Ihr Ende könnte die Brücke dann beim Wasserstoff finden. Betreiber Uniper plant, in Ratcliffe-on-Soar zukünftig CO2-neutralen grünen Wasserstoff statt Kohle zu produzieren. Das kann allerdings noch etwas dauern - um die zwei Jahre, bis die Anlage komplett außer Betrieb ist. Die Richtung ist jedoch klar, sagte Kraftwerksdirektor Nigel Bates dem britischen „Guardian“: „Mit Kohle hat alles angefangen, bald ist es damit zu Ende.“

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