Erste Hürde muss man überwinden - Nicolas wandert nach Irland aus - und macht eine entscheidende Erfahrung

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Nicolas Kreutter (42)privat

Der TV-Formatentwickler und -Produzent Nicolas Kreutter (42) stellt in seinem Podcast Woche für Woche Menschen vor, die ein neues Leben im Ausland begonnen haben. Was treibt Menschen an, die Deutschland verlassen?

FOCUS online: Ihren Podcast gibt es jetzt seit ziemlich genau vier Jahren. Was gab damals den Anstoß?

Nicolas Kreutter: Das waren zwei Dinge. Zum einen bin ich vor Jahren ausgewandert, mit Anfang 20. Aus einem kleinen Dorf in der Schweiz in die Millionenmetropole Berlin. Ich kenne also das Gefühl, an einem anderen Ort ganz neu anzufangen. Aber mich hat noch etwas anderes getrieben.

Es gab damals zwar schon viele Reise-Podcasts, aber kein explizites Auswander-Format. Und ich wollte gerne einen Gegenpol zu diesen „Goodbye-Deutschland“-Geschichten aus dem Fernsehen setzen.

Warum das?

Kreutter: Weil dort ein sehr einseitiges Bild gezeichnet wird. Es werden ja in erster Linie gezeigt, wie Menschen scheitern. Leute, die ausgewandert sind und bei denen es nicht geklappt hat. Beziehungsweise, die am Kämpfen sind.

Stolpern, aufstehen, stolpern… klar, fürs Publikum ist so was spannend. Aber es ist nicht die Realität der meisten Auswanderer.

Was ist denn die Realität?

Kreutter: Ich wollte Geschichten von Leuten zeigen, bei denen es funktioniert hat. Die ein erfülltes Leben gefunden haben. Solche Beispiele gibt es zuhauf.

Übrigens, als ich mit dem Podcast losgelegt habe, gab es bereits den Plan, dass auch ich nochmal auswandern werde. Wohin, das stand damals noch nicht fest. Aber meine Frau und ich waren uns einig, dass wir das für unsere kleine Familie – wir haben einen Sohn – wollten.

Später haben wir dazu einige Folgen gemacht. Heißt: Unser eigenes Auswandern ist mit dem Podcast parallel mitgelaufen.

Auswanderer über das Leben in Irland

Wohin ging es für Sie beim zweiten Mal?

Kreutter: Nach Irland, wo wir bis heute geblieben sind. Davor haben wir uns mehrere andere Länder in Europa angeschaut. Südengland unter anderem. Irland war dann so ein Wow, dass wir geblieben sind. Ein Urlaub, aus dem wir nicht zurückgekehrt sind.

Was gefällt Ihnen so an der Insel?

Kreutter: Du hast Platz. Wir haben ein Haus gekauft mitten in der Natur auf dem Land, unser Grundstück ist 2500 Quadratmeter groß und im Vergleich zu anderen Grundstücken hier noch eher klein.

Die Weitläufigkeit macht das Leben in Irland entspannt. Es gibt wenig Verkehr, keine Staus. Die Leute sind nicht so in Hektik. Sie machen sich selbst nicht so einen Stress.

Kann man also aus Ihrer Sicht in Irland besser leben als in Deutschland?

Kreutter: Für uns ist es im Moment genau richtig so, wir haben unseren Platz gefunden. Ganz generell geht es beim Auswandern für viele natürlich schon um ein erfüllteres Leben…

Klingt da ein Aber durch?

Kreutter: Mit dem Wort „besser“ bin ich jedenfalls vorsichtig. Man darf nicht zu sehr idealisieren. Es ist nicht einfach nur grüner auf der anderen Seite. Deutschland ist kein schlechtes Land. Aber für mich waren 17 Jahre Berlin einfach genug. Ich hatte alles mitgenommen, was es dort gab. Ich wollte eine Veränderung.

Wichtige Erkenntnis: „Nach der ersten Hürde kommt viel in Bewegung“

Ist das ein zentraler Aspekt beim Auswandern: sich zu verändern?

Kreutter: Ich glaube ja. Es gibt ja ganz viele, die vom Auswandern träumen – aber den konkreten Schritt nie tun. Was wäre, wenn… ich es gemacht hätte? Diese Frage stellen wir uns nicht. Wir können einen Haken dahinter machen, wir haben es getan.

Wer im Träumen verhaftet bleibt, neigt dazu, immer wieder dieses Hätte-Wäre-Würde durchzuspielen. Ich glaube, das kann sehr belastend sein. Bereits mit dem Entschluss, sich verändern zu wollen, passiert dagegen ganz viel.

Nämlich?

Kreutter: Ich habe mittlerweile mit rund 200 Menschen gesprochen, die ausgewandert sind, und mir fällt immer wieder auf: Wenn man die erste Hürde schafft und sich entschließt, an einen anderen Ort zu gehen, kommt schon ganz viel in Bewegung. Allein die Idee des Neuen und dass man diese Möglichkeit hat, macht was mit einem.

Was denn? Man wird ein anderer, meinen Sie?

Kreutter: Ja, der neue Ort verändert einen automatisch. Ich habe mich am Anfang als Schweizer in Berlin schwergetan. Weil einfach die Mentalität eine ganz andere ist.

Die Menschen in Berlin leben viel temporeicher. Kommen schneller auf den Punkt. Sind ehrlicher. Ich habe mich dann angepasst und als ich später einmal in der Schweiz Urlaub gemacht habe, ist mir aufgefallen, wie das Berliner-Umfeld auf mich abfärbte.

Ich war selbst ungeduldig, auch weniger freundlich. Vieles in der Schweiz fühlte sich plötzlich fremd an – man nennt das auch den umgedrehten Kulturschock.

Grundmotivation: „Sie wollen das, was sie haben, nicht mehr“

Und wie hat Irland sie verändert?

Kreutter: Meine Mutter sagt, ich sei ruhiger geworden. Aber ich fühle mich in der Tat entspannter. Ich bin viel mehr draußen in der Natur, habe eine gesündere Gesichtsfarbe, ernähre mich besser und habe allein durchs Rasenmähen mehr Bewegung. Für viele Auswanderer ist der Wunsch nach Veränderung übrigens die Grundmotivation: Sie wollen das, was sie haben, nicht mehr.

Allerdings bekommen sie nicht unbedingt etwas Besseres, wenn ich Sie richtig verstehe?

Kreutter: Aber was sie bekommen, ist Freiheit. Dieses Gefühl: Ich habe es in der Hand, kann wählen, ich selbst bin die Veränderung.

Für viele ist es auch ein großer Reiz, sich noch einmal neu zu erfinden, von vorn anzufangen, sich auch ein Umfeld aufzubauen, in einem Land, wo einen keiner kennt. Diese Erkenntnis ist oft ein richtiger Bewusstseinssprung. Zu sehen, dass man Möglichkeiten hat, die man gestalten kann.

„Es bringt auch viel Freude und Genugtuung, wenn man sich im Ausland etwas Neues aufbaut“

So wie Sie, als sie von Berlin schließlich nach Irland gegangen sind?

Kreutter: Ja, in Berlin war ich in der Komfortzone. Ich hatte einen Job, ein festes Einkommen, wir haben in einem Reihenhaus gewohnt. Wenn man auswandert, setzt man all das auf Null.

Sie müssen sich plötzlich um Dinge kümmern, um die sie sich vorher in der Heimat keine Gedanken gemacht haben: Wer holt den Müll? Woher bekomme ich den Strom her? Welche Versicherungen brauche ich?

All diese Dinge müssen am neuen Ort geklärt werden. Das ist anstrengend, aber wie gesagt: Es bringt auch viel Freude und Genugtuung, wenn man sich im Ausland etwas Neues aufbaut.

Für meinen Podcast habe ich mit einem deutschen Gärtner gesprochen, der jetzt in Kanada als Cowboy lebt. Oder mit einem Maschinenbauingenieur, der sich in Sri Lanka verliebt und dort eine Eco Lodge im Dschungel aufgebaut hat.

Beeindruckend fand ich auch einen Notfallmediziner, der jetzt als Missionsarzt in Peru arbeitet und die ärmsten Menschen versorgt. In Deutschland hatte er ein üppiges Leben, jetzt lebt er mit seiner Familie extrem einfach. Warum macht jemand so was? Diese Frage interessiert mich jedes Mal wieder neu.

„Menschen sehnen sich nach einem Wandel“

Und wie lautet die Antwort?

Kreutter: Beim Notfallmediziner spielte der christliche Glaube eine Rolle. Generell geht es wohl immer um das Thema Veränderung und darum, dass Menschen sich nach einem Wandel sehnen.

Steckt das in jedem von uns?

Kreutter: Ein Stück weit wohl schon. Schon rein biologisch verändern wir uns schließlich permanent – äußerlich, körperlich. Aber es gibt natürlich auch Menschen, die wünschen sich eher weniger Veränderung. Die wollen lieber in ihrer Komfortzone bleiben.

Finden Sie das gut?

Kreutter: Ich weiß nicht, ob mir da eine Bewertung zusteht. Ich formuliere mal vorsichtig: Vielleicht wird hier und da eine Chance verpasst? Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, was für ein enormer Luxus das ist, einen deutschen oder Schweizer Pass zu haben und einfach ins Ausland gehen zu können.

Noch vor ein paar Jahrzehnten war das nicht möglich. Damals ist man gegangen, wenn man nichts mehr hatte. Irland ist das beste Beispiel: Es waren Hungersnöte, die so viele Iren die USA getrieben haben. Oder denken wir an die vielen Flüchtlingsströme der Zeit…

… Menschen, die ihre Heimat unfreiwillig verlassen.

Kreutter: Eben. Vor diesem Hintergrund wird der Luxus des Auswanderns nochmal besonders deutlich, finde ich. Ich rate jedem, sich das Phänomen zumindest mal genauer anzuschauen und zu überlegen, ob das nicht eine Möglichkeit wäre. Allerdings bitte nicht so wie bei „Goodbye Deutschland“.

Wer Deutschland komplett ohne Fremdsprachenkenntnisse den Rücken kehrt und nicht offen ist für eine neue Kultur, Mentalität und ein neues Leben, braucht sich eigentlich nicht zu wundern, wenn es nicht funktioniert.

Kernfragen: „Was ist mir wichtig? Und auf was kann ich verzichten?“

Was raten Sie Menschen in Deutschland, die unzufrieden sind und deshalb auswandern wollen?

Kreutter: Wie schon gesagt: Deutschland ist kein schlechtes Land. Wer mit sich in der Heimat gänzlich unzufrieden ist, wird wohl auch im Ausland kein sanfter, ausgeglichener Charakter werden. Flucht und auch Angst sind generell schlechte Ratgeber.

Gut, ich kann verstehen, wenn Leute ein Problem mit der aktuellen Politik oder mit der Stimmung im Land haben. Aber wer sich mehr von Deutschland abgestoßen fühlt als vom anderen Land angezogen, dürfte es schwer haben.

Oft sind die Leute dann überrascht, was sie dann im Ausland alles vermissen. Bestimmte Annehmlichkeiten, die man für selbstverständlich gehalten hat, fehlen vielleicht plötzlich. Was ist mir wichtig? Und auf was kann ich verzichten? Das sollten zentrale Fragen sein, bevor man geht.

Werden Sie in Irland bleiben?

Kreutter: Ich sehe uns hier nicht als Rentner leben. Aber fürs Erste werden wir bleiben. Wir haben ein Haus gekauft, uns ein Umfeld aufgebaut, unser Sohn geht hier zur Schule. Wir mögen das Land und die Mentalität sehr, aber die Welt ist groß und so lange wir die Möglichkeit haben, uns und unseren Lebensmittelpunkt zu verändern, werden wir das tun.

„Einfach Aussteigen“ ist Deutschlands größter Auswanderer-Podcast. Der Host Nicolas Kreutter ist selbst zweimal ausgewandert, lebt heute in Irland und spricht im Podcast jede Woche mit mutigen Menschen, die ihr altes Leben in Deutschland aufgegeben haben, um sich ihren Traum vom Neustart in der Ferne zu erfüllen.