Erste Hilfe für die Seele

Psychische Probleme sind in unserer Hochleistungsgesellschaft weit verbreitet. Die Methode MHFA will zu einer Entstigmatisierung beitragen.
Psychische Probleme sind in unserer Hochleistungsgesellschaft weit verbreitet. Die Methode MHFA will zu einer Entstigmatisierung beitragen.

Auch die Seele benötigt manchmal die stabile Seitenlage: Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim organisiert Erste-Hilfe-Kurse, die bei psychischen Notfällen helfen sollen.

Mannheim (dpa) - Was tun, falls ein Kollege oder ein Angehöriger Suizidgedanken äußert oder plötzlich eine Panikattacke erleidet? «Die Konfrontation mit einem Menschen, der psychisch erkrankt ist, stellt die meisten von uns vor ein schwieriges Problem», sagt Michael Deuschle.

Der leitende Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) möchte das ändern. Deshalb hat Deuschle auch maßgeblich daran mitgewirkt, dass es mittlerweile diese Kurse in Deutschland gibt, in denen Laien lernen, Menschen bei psychischen Problemen und Krisen beizustehen.

Erste Hilfe für die Seele - ganz wörtlich gemeint. Zusammen mit Tabea Send und Simona Maltese leitet er MHFA Ersthelfer und möchte das Programm in Partnerschaft mit der Beisheim-Stiftung deutschlandweit etablieren. Mittlerweile gebe es inzwischen 86 Instruktoren - Ausbilder sozusagen - und 606 Ersthelfer in der Republik, fügt Simona Maltese vom ZI hinzu.

Viertägige Workshops

Die Lehrgänge für Ersthelfer richten sich an Erwachsene und werden besonders nachgefragt von Angehörigen und Freunden psychisch Erkrankter, wie der 57 Jahre alte Mediziner sagt. Geeignet seien die Schulungen, die an vier Tagen jeweils einen dreistündigen Workshop bieten, aber auch für Rettungssanitäter, Polizisten und Feuerwehrleute aber auch für Mitarbeiter von Notaufnahmen oder Seniorenheimen. Personen also, die täglich mit Menschen zu tun haben, die sich in einer psychischen Krise befinden können.

Projekt nach australischem Vorbild

Betitelt ist das Projekt nach dem australischen Vorbild als «Mental Health First Aid» (MHFA). In Down Under ist MHFA bereits vor zwei Jahrzehnten entstanden und wird seitdem wissenschaftlich begleitet. Das Programm wird mittlerweile in 24 Ländern wie etwa in Großbritannien, in den USA oder auch in den Niederlanden praktiziert. Derzeit wird MHFA in der Schweiz, Österreich, Frankreich und Luxemburg eingeführt. Angelehnt an die Erste-Hilfe-Kurse, mit denen Unfallopfer oder Menschen nach einem Infarkt behandelt werden, gehe es darum, schnell und effektiv zu helfen. Wie auch bei anderen Lehrgängen üblich, gibt es auch für diesen Lehrgang Handbuch und Übungsheft.

Menschliche Unterstützung und Wege in eine Beahndlung

«Ein Ersthelfer macht keine Behandlung und er stellt keine Diagnose. Er bietet zunächst einmal menschliche Unterstützung und weist dem Betroffenen - sozusagen als Lotse - den Weg ins Behandlungssystem», beschreibt Deuschle die Aufgabe. Das klinge einfach, setze aber etwa eine treffende Einschätzung der akuten Situation voraus. Bei den Kursen erfahren Ersthelfer, wie etwa Angehörige und Arbeitskollegen daher auch, wie sich beispielsweise eine Depression äußert, wie man Betroffene anspricht, welches Unterstützung bei psychischen Problemen, wie bei einer Angststörung, möglich ist und wo die persönlichen Grenzen der Helfer liegen.

Dabei geht es auch darum, auf Krisen von Betroffenen vorbereitet zu sein. In Rollenspielen üben die Teilnehmer daher beispielsweise was zu tun ist, wenn jemand am Arbeitsplatz oder in der Kneipe plötzlich über Sinnestäuschungen berichtet oder angespannt wirkt. Der Erste-Hilfe-Kurs konzentriert sich darauf, Menschen mit den häufigen psychischen Problemen Angststörungen, Psychosen oder Suchterkrankungen zu helfen. Nicht zu vergessen, die Depressionen, die mittlerweile von manchen Experten als Volkskrankheiten eingeordnet werden. Doch obwohl seit Jahren mehr solcher psychischen Erkrankungen registriert werden, handelt es sich noch immer um Themen, die von vielen Betroffenen lieber umschifft werden. Es sei aber niemandem damit gedient, ein weit verbreitetes Problem wie eben psychische Erkrankungen zu tabuisieren, ist Deuschle überzeugt.

Entstigmatisierung von psychischen Krisen

Wie Sozialpädagogin Karin Dombrowski sagt, war das auch eine Triebfeder für ihre Beschäftigung mit dem Thema und der Ausbildung zur Ersthelferin und Instruktorin. Die 62 Jahre alte Sozialpädagogin aus Siegen ist davon überzeugt, dass die Methode MHFA zu einer Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten beitragen kann. «Ich habe die Beobachtung gemacht, dass Teilnehmer der Schulung mehrfach ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass psychische Probleme so weit verbreitet sind», erinnert sich. In dem Ersthelfer-Kurs vermittelt sie, dass es viele Hilfsmöglichkeiten bei einer psychischen Krise gibt. «Und dass die Unterstützung umso wirkungsvoller ist, je früher sie genutzt wird», fügt sie hinzu.

Die Nachfrage nach dem Angebot sei mittlerweile groß, sagt Deuschle. So buchten nicht nur soziale Einrichtungen und Privatleute diese Kurse, sondern auch große Unternehmen und Behörden für die Mitarbeiter. Auch die interaktiven Online-Schulungen, die unter Corona-Bedingungen stattfinden, seien gut besucht. Die Teilnahme kostet in der Regel etwa 200 Euro.