Erste Klimabilanz - „Nachhaltigstes Turnier aller Zeiten“? Die Wahrheit über die Fußball-EM
Die nachhaltigste Europameisterschaft überhaupt? Groß waren die Versprechen des Fußballverbands Uefa und der Bundesregierung vor der EM in Deutschland. Jetzt liegen erste Daten vor - konnte die EM ihr Versprechen halten?
Während der Gruppenphase der Fußball-Europameisterschaft im Juni flogen die Spanier von Stuttgart nach München, das französische Team nahm einen Flieger zwischen Paderborn und Düsseldorf und die türkische Mannschaft zog einen Flug von Hannover nach Hannover einer zweistündigen Busreise vor. Dabei hatten die Veranstalter des Turniers vor Beginn eigentlich ein ganz anderes Versprechen gegeben.
„Nachhaltigste EM überhaupt“ - das Ziel der Uefa
Im Vorfeld der EM hatte die Uefa mitgeteilt, die „nachhaltigste EM aller Zeiten“ ausrichten zu wollen. Doch nicht nur das: Der Fußballverband wollte auch eine „Vorbildfunktion“ einnehmen und Standards für künftige Sportgroßveranstaltungen setzen.
Das sollte in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) geschehen, der seinerseits bei der Bewerbung um die EM ein Nachhaltigkeitskonzept vorgelegt hatte.
Die Uefa setzte in ihrem Konzept auf drei Säulen: Klimaschutz, eine nachhaltige Infrastruktur und Kreislaufwirtschaft. Beim Klimaschutz ging es vor allem darum, die CO2-Emissionen zu reduzieren - sei es nun durch Verkehrswege der Mannschaften, der Zuschauer oder auch der Veranstalter selbst. Dafür hat sich der Verband unter anderem folgende konkrete Maßnahmen ausgedacht:
Einen Rabatt auf Interrail-Tickets für die EM
Wer ein EM-Ticket besaß, durfte am Spieltag kostenlos mit dem ÖPNV fahren und bekam einen Rabatt auf die Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn
Der Spielplan in der Gruppenphase wurde so angepasst, dass die Mannschaften nur innerhalb einer bestimmten Zone kurze Distanzen zurücklegen mussten, zum Beispiel die Zone Mitte-Süd um Frankfurt, Stuttgart und München.
Der Uefa-Klimafonds: Förderung für Klimaprojekte
Außerdem hat sich die Uefa dazu verpflichtet, einen speziellen Klimafonds zu gründen. Dieser soll Projekte fördern, die unvermeidbare Emissionen aus der EM mildern.
Für eine nachhaltige Infrastruktur sah das Konzept einen Wechsel zu erneuerbaren Energien, gleichzeitig aber auch einen geringeren Energieverbrauch vor. Ein weiteres Ziel: den Wasserverbrauch senken. Konkret sollte das so aussehen:
Weniger Flutlicht vor und nach den Spielen
Strom im IBC reduzieren
Strom aus erneuerbaren Energien in den Stadien verwenden
Zu guter Letzt sollte außerdem eine Kreislaufwirtschaft umgesetzt werden, heißt: Mehr Produkte recyceln oder ihnen gleich eine längere Lebensdauer verpassen, außerdem sollte Abfall optimiert und gerettet werden. Dafür galt:
Wenig Verpackungsmüll
Wiederverwendbare Becher in Stadien
Digitale Zahlungsmöglichkeiten
Doch das Konzept zeigte auch, wie vorsichtig Uefa und DFB hier agieren: Auswirkungen auf die Umwelt sollten „soweit es geht“ reduziert werden. Der Erfolg der Ziele wird in den meisten Fällen daran gemessen, wie hoch der Anteil der erfolgreichen Umsetzung ist. Wie erfolgreich beispielsweise die Kreislaufwirtschaftsziele umgesetzt wurden, wird daran gemessen, wie viele Teams diese in ihren Camps angewandt haben. Die Uefa erklärte außerdem auf Anfrage, dass eine detaillierte Auswertung aller Ziele in den kommenden Wochen erfolgen soll.
Urteil der Uefa: Ein „voller Erfolg“
Vorläufige Zahlen zum Erfolg ihrer Ziele veröffentlichte die Uefa auf ihrer Website, auf der sie von einem „vollen Erfolg“ sprach. Insgesamt hätten 2,6 Millionen Zuschauer aus 190 Ländern die 51 Spiele besucht. Während der Gruppenphase gab es laut Veranstalter 75 Prozent weniger Flüge der Teams als bei der EM 2016 (in Frankreich). Das Turnier vor acht Jahren dient als Vergleich, da die EM 2021 in mehreren Ländern in Europa stattfand und daher nicht den üblichen Veranstaltungsbedingungen entsprach.
Unter den Besuchern wurden mehr als 275.000 EM-Tickets mit Rabatt bei der Deutschen Bahn verkauft. 850.000 Ticketbesitzer haben ihre kostenlosen ÖPNV-Tickets beantragt.
Die Uefa hat insgesamt sieben Millionen Euro in ihren Klimafonds investiert. Davon sollen etwa 4,9 Millionen Euro an 190 regionale Fußballclubs ausgezahlt werden. An 21 Regionalverbände gehen außerdem jeweils 100.000 Euro. In Deutschland erhalten 30 Amateurvereine jeweils 698.000 Euro, um in eine nachhaltige Infrastruktur zu investieren.
Schon seit Anfang des Jahres können Vereine Geld für Klimaschutzprojekte beantragen. Insgesamt werden 161 Projekte gefördert. Die Uefa schätzt, dass durch die Investitionen in die Infrastruktur der Vereine etwa 60.000 Tonnen an Kohlenstoffemissionen eingespart werden. Etwa 41 Prozent der Projekten zielen auf die Installation von Solarpanels ab.
Kritik der DUH: Gar nicht mal so nachhaltig
War die EM in Deutschland also wirklich die nachhaltigste Europameisterschaft der Geschichte? Nein, kritisieren Verbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Bereits vor Ende der EM verkündete der Verband, dass davon keine Rede sein könne.
Die Verwendung von Mehrwegbechern etwa sei löblich, doch da hätte man gleich Nahrungsmittel in Mehrwegbehältern ausgeben können. Hinzu kommt, dass entgegen der selbstauferlegten Vorgabe für weniger Verpackungsmüll sehr viel Merchandise mit übermäßig Plastik verpackt wurde.
Besonders prekär: Die Zonen in der Gruppenphase und das Gebot, doch bitte mit der Deutschen Bahn zu reisen, hielt manche Mannschaften nicht davon ab, trotzdem lieber ins Flugzeug zu steigen - siehe Spanien, siehe Frankreich, siehe die Türkei.
Viele Teams hielten es außerdem wie Spanien und gastierten mit ihren Camps weitab der Austragungsorte ihrer Gruppenspiele. Der spätere Turniersieger absolvierte seine Gruppenpartien in Berlin, Gelsenkirchen und Düsseldorf, gastierte allerdings in einem Quartier in Süddeutschland.
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Das sagen andere
Dabei ging es auch anders. Schon 2022 hat das Öko-Institut eine Machbarkeitsstudie veröffentlicht, die genaue Maßnahmen für eine nachhaltige EM beinhaltete. Einige dieser Vorschläge fanden sich auch im Uefa-Konzept wieder, wie zum Beispiel die kostenlosen ÖPNV-Tickets.
Das Öko-Institut brachte vor zwei Jahren allerdings auch den Vorschlag, diese Tickets auch für den Fernverkehr gelten zu lassen - letztendlich gab es für Tickets im Fernverkehr nur einen Rabatt.
„Auch wenn alle Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasen realisiert werden, wird es Emissionen geben“, warnte die Studie bereits vorab. Die Expertinnen und Experten schlugen damals ein sogenanntes „Klimaverantwortungsbudget“ vor: Alle verbleibenden, nicht vermeidbaren Emissionen sollten mit einem bestimmten, passenden Preis multipliziert werden. Das so entstehende Budget würde anschließend in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden, möglichst „im eigenen Verantwortungsbereich und in Sportvereinen“, so die NGO. Immerhin ist man dabei mit dem Uefa-Klimafonds auf einem guten Weg.
Das Thema reißt auch nach Ende des Turniers nicht ab, im Gegenteil: Am 26. Juli beginnen die Olympischen Spiele in Paris. Das Olympische Kommittee hatte bereits zu Jahresbeginn verkündet, mit dem Ereignis neue Maßstäbe zu setzen - so soll die Seine so sauber werden, dass nach den Spielen auch die Pariser oder Touristen darin schwimmen könnten.