Erzieherinnen werfen dem Staat in ZDF-Doku vor, Kinder "komplett fallen" zu lassen

Das System Kita ist am Anschlag: Bundesweit gibt es derzeit über 400.000 Betreuungsplätze zu wenig. Freie Plätze sind schwer zu finden, auch Kindern und Eltern im "laufenden Betrieb" muss öfter abgesagt werden, weil "heute einfach niemand da ist", heißt es in der ZDF-Doku "37°: Kein Kinderspiel! System Kita am Anschlag" (Dienstag, 15. Oktober, 22.15 Uhr, im ZDF und bereits vorab in der Mediathek).

Der Film begleitet Claudia Fuchs, die seit Herbst 2019 den Paul-Gerhardt-Kindergarten in Bruchsal leitet. Sie berichtet von "gruseligen Tagen", von "Unterbesetzung als Dauerzustand". Wenn der Krankenstand zur Erkältungszeit zu hoch werde, sei mit Blick auf die zunehmende Erschöpfung der Angestellten Vorsicht geboten: "Man muss aufpassen, dass das nicht zur Kettenreaktion wird." Nach 20 Jahren im Job glaubt die 59-Jährige heute: "Den Traumberuf Erzieher gibt es in der Realität nicht mehr."

Organisationskram statt Erziehung: Als Kita-Leitung kommt Claudia Fuchs nur noch selten dazu, pädagogisch zu arbeiten. (Bild: ZDF / Julia Knopp)
Organisationskram statt Erziehung: Als Kita-Leitung kommt Claudia Fuchs nur noch selten dazu, pädagogisch zu arbeiten. (Bild: ZDF / Julia Knopp)

 

Auch für Diana Nowak aus Halle war die Arbeit mit Kindern ihr Traumberuf. Heute denkt die zweifache Mutter anders. Nach einem Zusammenbruch im Herbst 2022 erhielt sie die Diagnose "Burnout". Diana Nowaks Kita "Am Stadtpark" in Halle leidet - wie so viele Einrichtungen in Deutschland. "Heute fehlen acht Fachkräfte", sagt sie. "Trotzdem muss dieselbe Anzahl an Kindern betreut werden." Dabei sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Beginn ihrer Berufslaufbahn idealistisch und engagiert: "Das ist ein richtig schlimmes Gefühl, man möchte ja für alle da sein", erzählt Nowak.

Doch nicht nur der Personalmangel stellt viele Kindergärten, Krippen und Kitas vor Herausforderungen. "Auch die Sprachbarrieren, die verschiedenen kulturellen Hintergründe" seien fordernd, sagt Nowak. Die Betreuung von Kindern mit Fluchterfahrung etwa sei äußerst komplex. "Wir kriegen die Geschichten mit. Wir arbeiten das teilweise mit den Kindern auf."

Viele Erzieherinnen und Erziehern seien überfordert, erklärt die 35-Jährige: "Wir bräuchten fast alle eine Weiterbildung in Krisenmanagement, in Trauma-Bewältigung, in Familienarbeit. Wir bräuchten mehr Kollegen, die mehrere Sprachen sprechen." Schließlich gehe es um "die Jüngsten, auf die wir alles aufbauen, die gesellschaftsfähig sein sollen - aber komplett fallen gelassen werden".

Vor zwei Jahren hatte Diana Nowak einen Zusammenbruch, der als
Vor zwei Jahren hatte Diana Nowak einen Zusammenbruch, der als

 

Die Filmemacherinnen Julia Knopp und Hanna Fischer zeigen in ihrer Reportage zwei Frauen am Anschlag. Sie zeigen auch, mit welchen Hilfsmitteln das System Kita versucht, sich am Leben zu erhalten: Zusatzkräfte wie FSJ-ler springen ein, auch Rentnerinnen und Rentner sorgen für Entlastung. Neue gesetzliche Vorschriften, aber auch die modernen Erziehungsmethoden der Eltern erschweren die Arbeit mit den Kindern häufig zusätzlich.

Doch auch wenn der Job hart ist: Diana Nowak "möchte nichts anderes machen". Sie hofft, dass sich wieder mehr junge Menschen dazu entscheiden, Erzieherin oder Erzieher zu werden. Dafür, so macht der Film deutlich, muss sich jedoch so manches ändern.

Eigentlich liebt Diana Nowak ihren Erzieherinnen-Job. Wenn nur die Arbeitsbedingungen nicht so hart wären ... (Bild: ZDF / Thomas Victor)
Eigentlich liebt Diana Nowak ihren Erzieherinnen-Job. Wenn nur die Arbeitsbedingungen nicht so hart wären ... (Bild: ZDF / Thomas Victor)