EU-Kommissare: Wie wird von der Leyens nominiertes Team geprüft?
Ursula von der Leyen hat die 26 designierten EU-Kommissare in ihre neuen Ämter eingeführt. Doch bevor sie ihr Amt offiziell antreten können, müssen noch zahlreiche Hürden überwunden werden.
Die einzige direkt gewählte Institution der EU, das Europäische Parlament, wird nun den Prozess der rechtlichen Überprüfung der Kandidaten einleiten, bevor diese in öffentlichen Anhörungen von den Abgeordneten befragt werden. Das bietet zahlreiche Gelegenheiten, potenzielle "Leichen im Keller" der Nominierten ans Licht zu bringen.
Kontroversen, umstrittene politische Positionen, Interessenkonflikte oder mangelnde Kompetenz haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass Kandidaten vom Europäischen Parlament abgelehnt wurden. Angesichts der heutigen, stärker polarisierten und politisch zersplitterten Zusammensetzung des Parlaments gewinnen die Anhörungen noch mehr an Bedeutung.
Dennoch könnte der Druck, das neue "Kollegium" der Kommissare so schnell wie möglich arbeitsfähig zu machen, die Abgeordneten dazu veranlassen, von politisch motivierten Einwänden abzusehen.
"Auf dem Papier ist es möglich, dass das nächste Kollegium am ersten November seine Arbeit aufnimmt", erklärte ein hochrangiger Beamter der Kommission. "Das Europäische Parlament möchte zwar ausreichend Zeit für die Prüfung der Kandidaten, strebt jedoch gleichzeitig einen zügigen Ablauf des Verfahrens an."
Der Beamte fügte hinzu, dass die mögliche Wiederwahl von Donald Trump im November und die Sorge, dass dies die westliche Unterstützung für die Ukraine gefährden könnte, bestimmten pro-europäischen Fraktionen im Parlament zusätzliche Dringlichkeit verleiht.
Euronews erklärt den wochenlangen Prozess, der noch bevorsteht, bevor das neue Kollegium der Kommission seine Arbeit aufnehmen kann.
Interessenkonflikte
Die 26 Nominierten müssen zunächst Formulare zu möglichen Interessenkonflikten ausfüllen und einreichen, in denen sie sämtliche früheren Tätigkeiten, Nebentätigkeiten oder finanziellen Vermögenswerte offenlegen müssen, die ihre unvoreingenommene Ausübung des Amtes behindern könnten.
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Dabei müssen alle finanziellen Vermögenswerte wie Aktien, Anleihen, Kredite und Investmentkonten angegeben werden, ebenso die ihrer Partner und Kinder, falls diese ihre Unparteilichkeit beeinträchtigen könnten.
Die Rechtsabteilung des Parlaments (JURI) wird die 26 Erklärungen in einem äußerst knappen Zeitrahmen von 24 bis 48 Stunden prüfen. Für jeden Kandidaten muss anschließend schriftlich bestätigt werden, dass keine Interessenkonflikte bestehen, bevor die Anhörungen fortgesetzt werden können.
Die Abgeordneten haben jedoch keine Ermittlungsbefugnisse, um tiefergehende Nachforschungen anzustellen, falls sie Zweifel an der Stichhaltigkeit der Angaben in den Erklärungen haben. Sie sind bei ihrer Bewertung auf die Informationen in den Formularen angewiesen, die zudem erst durch die Hände der Kommission gehen, bevor sie auf den Tischen der JURI-Mitglieder landen.
Bei Verdacht auf Falschangaben können die Gesetzgeber die Kandidaten zu einer Anhörung durch den Ausschuss vorladen.
Obwohl dieser Teil des Prozesses oft als juristische Formalität betrachtet wird, kann er für die Kandidaten durchaus zum Stolperstein werden. So scheiterte 2019 der ungarische Kandidat László Trócsányi, weil er es versäumte, seine Verbindungen zu einer von ihm gegründeten privaten Anwaltskanzlei offenzulegen.
Auch die rumänische Kandidatin Rovana Plumb wurde aus dem Rennen genommen, nachdem der Ausschuss Diskrepanzen von rund 800.000 Euro zwischen ihren Vermögenserklärungen auf nationaler Ebene und gegenüber der EU festgestellt hatte.
Das parlamentarische Verhör
Kandidaten, die das juristische Screening erfolgreich durchlaufen, werden anschließend in einer öffentlichen Anhörung im Europäischen Parlament befragt. Diese Gelegenheit nutzen die demokratisch gewählten Abgeordneten, um die designierten Kommissare zu ihren Erfahrungen, Kompetenzen und ihrem Engagement für ihre neuen Aufgaben zu befragen.
Kommissare mit klar umrissenen Zuständigkeiten könnten von einem einzigen Ausschuss angehört werden, wie es bei 15 der 26 Kommissare, die 2019 nominiert wurden, der Fall war.
Die neue Struktur, die von der Leyen für die kommende fünfjährige Amtszeit eingeführt hat, umfasst jedoch breitere Zuständigkeitsbereiche, die mehrere Politikfelder umfassen. Dies ist ein bewusster Schritt, um "starre Silos" abzubauen und eine "interaktive und vernetzte Struktur" zu schaffen.
Das bedeutet, dass Kommissare mit komplexeren Zuständigkeitsbereichen möglicherweise in einer "gemeinsamen" Ausschussstruktur befragt werden. Wenn das Ressort eines Kommissars hauptsächlich von einem Ausschuss, aber auch teilweise von anderen bearbeitet wird, führt ein Ausschuss die Anhörung an und lädt andere Ausschüsse als "eingeladene" Teilnehmer ein.
Die Entscheidung, welcher Ausschuss welche Kandidaten befragt, wird von den politischen Führern des Parlaments getroffen, die sich dabei zunächst mit den Vorsitzenden der jeweiligen Ausschüsse beraten.
Es wird erwartet, dass das Verfahren so abläuft:
Vor den Anhörungen reichen die Kandidaten schriftliche Antworten auf eine Reihe von Fragen ein, die von den zuständigen Ausschüssen formuliert werden.
Die Anhörungen selbst dauern in der Regel drei Stunden, können sich jedoch bei Bedarf auf bis zu vier Stunden verlängern.
Unmittelbar nach der Anhörung beraten sich der oder die Ausschussvorsitzenden sowie die politischen Koordinatoren. Innerhalb von 24 Stunden müssen sie entscheiden, ob der Kandidat zugelassen oder abgelehnt wird.
Für eine positive Entscheidung ist die Unterstützung von zwei Dritteln der Ausschussmitglieder erforderlich.
Die Anhörungen gelten zwar als anspruchsvoll und oft zermürbend, doch die Erfolgsquote der Kandidaten ist in der Regel hoch. Dieses Mal jedoch herrscht bei den zentristischen Fraktionen Vorsicht, da die Tür der Exekutive für ultrakonservative Kandidaten geöffnet wurde.
Besonders harte Befragungen sind für Raffaele Fitto, einen Vertreter der italienischen Rechtspartei von Giorgia Meloni, zu erwarten, der als Vizepräsident der Kommission nominiert wurde. Auch Magnus Brunner aus Österreich, ein Hardliner in Fragen der Migration und als Schengen-Falke bekannt, der das Ressort für Inneres und Migration übernehmen soll, dürfte mit intensiven und kritischen Fragen konfrontiert werden.
Letzte Formalitäten
Nachdem alle Mitglieder des Kollegiums bestätigt wurden, wird Ursula von der Leyen ihr Team dem Plenum des Europäischen Parlaments formell vorstellen.
Das gesamte Kollegium wird dann zur Abstimmung gestellt, wobei eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist, um das Team offiziell zu ernennen.
Angesichts der zahlreichen möglichen Hürden auf dem Weg dorthin könnte sich die endgültige Abstimmung bis zum Jahresende verzögern. Dies würde bedeuten, dass das nominierte Team bis auf Weiteres in der Schwebe bleibt.