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Die Zeit für die Zeitumstellung läuft ab

Die halbjährliche Zeitumstellung könnte schon bald abgeschafft werden. Foto: Ralf Hirschberger
Die halbjährliche Zeitumstellung könnte schon bald abgeschafft werden. Foto: Ralf Hirschberger

Viele Europäer kennen es nicht anders: Am letzten Sonntag im März wird die Uhr eine Stunde vorgestellt, am letzten Oktober-Sonntag eine Stunde zurück. EU-Kommissionschef Juncker will das ändern. Ein Argument: «Die Menschen wollen das.»

Brüssel (dpa) - Eigentlich hat die EU genug Probleme. Populisten von Rechts, Feindseligkeiten aus den USA, italienische Alleingänge in Sachen Migration und schleppende Brexit-Verhandlungen.

Doch nun steht ein ganz anderes Thema oben auf der europäischen Agenda: die Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte an, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen zu wollen. Bestenfalls könnte die Zeitumstellung schon 2020 Geschichte sein: das Ende einer europäischen Institution, die für viele Menschen gottgegeben erschien. Sogar von der Kanzlerin kommt jetzt Rückenwind.

Junckers Vorstoß kommt nicht von ungefähr - und hat wohl auch mit dem Image der EU als weit entfernt von der Lebensrealität ihrer Einwohner zu tun. Mit seinem Vorschlag trägt der Kommissionschef - gut neun Monate vor der Wahl zum Europaparlament - dem Willen vieler Bürger Rechnung.

Mitte August war eine Online-Umfrage ausgelaufen, bei der sich vorläufigen und gerade veröffentlichten Zahlen zufolge 84 Prozent der Teilnehmer für die Abschaffung der Zeitumstellung aussprachen. Die meisten sind für eine dauerhafte Sommerzeit. Insgesamt gingen 4,6 Millionen Antworten bei der EU-Kommission ein - ein Rekord, aber immer noch weniger als 1 Prozent der EU-Bürger.

«Die Menschen wollen das, wir machen das», sagte Juncker im ZDF. Und ergreift damit die Möglichkeit, die EU bürgernah zu präsentieren. Es ergebe keinen Sinn, die Menschen nach ihrer Meinung zu fragen, und diese dann zu ignorieren. Juncker gab sich ziemlich sicher: «Millionen haben geantwortet und sind der Auffassung, dass es so sein sollte, dass die Sommerzeit in Zukunft für alle Zeit gilt. So wird das auch kommen.» Die Kommission hatte bislang stets betont, das Votum der Online-Umfrage sei weder bindend noch repräsentativ.

Zudem kann die Behörde dem Europaparlament und den EU-Staaten nur vorschlagen, die Zeitumstellung abzuschaffen, diese müssen dann noch zustimmen. Anschließend könnte jedes Land für sich entscheiden, ob es dauerhaft die Sommer- oder Winterzeit einführen will, das ist eine nationale Angelegenheit.

Aus dem Europaparlament kommt bereits lautstarke Unterstützung für den Juncker-Vorstoß - und die Reaktion auf den vermeintlichen Willen der Bürger: «Ich bin begeistert. Die EU-Kommission reagiert auf das eindeutige Votum der Online-Befragung», sagte Zeitumstellungsgegner Peter Liese von der CDU. Und Grünen-Politiker Martin Häusling konstatierte: «Die Uhrumstellung hat keine Vorteile gebracht, sie ist einfach nur lästig. Jeder, der Tiere oder Kinder hat, weiß, wie viel Ärger die zweimalige Zeitverschiebung mit sich bringt.»

Auch SPD-Politiker Ismail Ertug wertet diese Entscheidung unter anderem als Erfolg der Europäer: «Klasse, dass sich Millionen von Bürgerinnen und Bürger aktiv an europäischer Politik beteiligen. Außerdem scheint die EU-Kommission in diesem Fall einmal sehr schnell zu reagieren.» Markus Ferber von der CSU nannte die Entscheidung am Freitag einen großen «Erfolg des Europäischen Parlaments und der vielen engagierten Bürger».

Dabei war die Umfrage bei genauerem Hinsehen gar nicht so europäisch - sondern eher deutsch. Von den 4,6 Millionen Teilnehmern kommen gut drei Millionen aus Deutschland, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 3,79 Prozent. Von ihnen stimmten - wie im EU-Schnitt - 84 Prozent für die Abschaffung der Zeitumstellung. In Österreich (2,94 Prozent) und Luxemburg (1,78) war die Beteiligung ebenfalls besonders hoch. Kaum jemand hat hingegen in Italien und Rumänien (jeweils 0,04) oder in Großbritannien (0,02) abgestimmt.

Wann genau die EU-Kommission den Gesetzesvorschlag vorlegen wird, wollte sie am Freitag noch nicht sagen. Die zuständige EU-Kommissarin Violeta Bulc sagte jedoch: Wenn Europaparlament und EU-Staaten dem Vorschlag zustimmten, könnte die Entscheidung schon im kommenden Jahr fallen - und die Zeitumstellung 2020 oder 2021 passé sein.

Unter den EU-Staaten ist die Stimmung allerdings nicht ganz so eindeutig wie im Europaparlament. Die EU-Kommission habe die 28 zuständigen Ministerien um ihre Meinung gebeten, sagte Bulc. Sieben hätten sich für die Abschaffung der Zeitumstellung ausgesprochen. Alle anderen hätten noch nicht geantwortet oder um mehr Zeit gebeten. Bulc betonte mit Blick auf die Umfrage jedoch: «Alle Politiker haben eine sehr klare Botschaft erhalten.»

Diese Botschaft ist auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekommen: Sie äußerte zum Abschluss ihrer dreitägigen Westafrikareise Wohlwollen für die Pläne der EU-Kommission. «Ich persönlich hätte jedenfalls dafür eine sehr hohe Priorität», sagte Merkel in Nigerias Hauptstadt Abuja. «Ich freue mich, wenn die Kommission dieses Votum ernst nimmt.»

Ihr Nutzen ist seit langem umstritten, zudem ist der Wechsel von Sommer- und Winterzeit immer gut für Verwirrung. Drei Beispiele:

HORST SEEHOFER: Der bayerische Ministerpräsident verschläft im April
2014 eine Telefonkonferenz mit der Bundeskanzlerin, weil er vergessen hat, seinen Wecker auf Sommerzeit vorzustellen. Die Telefonschalte
beginnt so erst mit einigen Minuten Verzögerung.

FINANZAMT: Im niedersächsischen Bad Gandersheim stehen im November
2010 knapp zwei Dutzend Mitarbeiter des Finanzamts morgens vor verschlossenen Türen. Der verantwortliche Computer war mit der Umstellung auf die Winterzeit offenbar überfordert. Die Türen öffnen sich erst, als ein Kollege mit Schlüssel eintrifft.

WECKDIENST: Ausgerechnet die Telekom verschläft im März 2001 zum Teil die Umstellung auf die Sommerzeit. «Etliche Menschen sind zu der alten Zeit geweckt worden», sagt eine Mitarbeiterin des
Erinnerungsdienstes. Grund für die Verspätung: Computerprobleme.