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EU-Sozialgipfel in Göteborg - "Schweden ist kein Paradies"

Am Freitag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Göteborg zum ersten Sozialgipfel seit Jahrzehnten. Der Gastgeber Göteborg ist eine der am stärksten wachsenden Städte Europas – zugleich wächst die Ungleichheit. An der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität studieren Menschen aus ganz Europa. Einer von ihnen ist Herbert, 24 Jahre alt, aus der Schweiz. Seine Meinung zum schwedischen Modell ist nicht gerade schmeichelhaft. “Es gibt nicht genug Motivation für Menschen zu arbeiten, und sich nicht nur auf den Staat zu verlassen”, sagt er. Das sieht man im Arbeitervorort Biskopsgarden ganz anders. Hier lebt Cecilia, 40 Jahre alt. Sie sagt, dass Schweden nicht das ist, was viele Europäer denken, nämlich ein gerechter Wohlfahrtsstaat mit einer offenen Gesellschaft. “Schweden ist kein Paradies”, meint sie. “Wenn man hier lebt, kennt man die Nachteile und jede Ungleichheit. Aber aus Europa hört man, was für ein tolles Land Schweden ist. Hier kann man gut leben. Aber so ist es nicht. Es ist hart, einen Job zu finden und verdammt hart, ein Kind aufzuziehen.” Der Unterschied zwischen reich und arm in Göteborg hat sich binnen zwei Jahrzehnten vervierfacht. Insofern dürfte Ort des Sozialgipfels für Gesprächsstoff sorgen. Am Rande des EU-Sozialgipfels sprach unsere Korrespondentin Efi Koutsokosta mit der schwedischen Arbeitsministerin Ylva Johansson. Euronews: Ist das europäische Sozialmodell heute in Gefahr? Johansson: Ja, ein wenig. Hintergrund ist seit Jahren die wachsende Kluft zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Mitgliedstaaten und zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Und Spaltungen zwischen denjenigen, die eine Arbeit haben und denen, die keine haben. Ich denke, dass diese Entwicklung gefährlich ist. Sie bedroht das soziale Europa. Wir haben gesehen, wie Rechtsextreme und Rassisten auf Europas Strassen marschieren und Gruppen gebildet haben, die Zulauf bekommen. Ein Mitglieidstaat will die EU verlassen. Ja, wir sind in Gefahr. Euronews: Kann Europa angesichts dessen mit einer Stimme sprechen – zu Chancengleichheit, Jobs und sozialen Rechten? Johansson: Ja und nein. Denn es gibt mehr als ein europäisches Sozialmodell. Schließlich haben wir unterschiedliche Erfahrungen und Modelle in den Mitgliedstaaten. Aber wir können zusammen arbeiten und uns bei der Schaffung von sozialen Aufstiegsmöglichkeiten gegenseitig unterstützen. Ich denke also, dass wir nicht alle Lösungen oder Gesetze in allen Mitgliedstaaten anwenden sollten, weil das nicht passt. Euronews: Die Weltwirtschaft steht am Rande der nächsten technologischen Revolution. Glauben Sie, dass Europa darauf vorbereitet ist? Viele Experten sagen, dass dabei Arbeitsplätze verloren gehen… Johansson: Nein, wir sind nicht genug vorbereitet. Aber ich bin optimistisch. Ich glaube, dass Globalisiserung und technologische Innovationen uns helfen, ein besseres Leben zu führen und bessere Jobs zu schaffen. Aber natürlich müssen wir zugleich in Menschen investieren, so dass die Menschen die Fähigkeiten bekommen, aktiver Teil der neuen Gesellschaft zu sein. Wir sollten dabei keine Angst vor neuen Technologien oder Veränderungen haben. Vielmehr sollten wir diese akzeptieren. Wir müssen allerdings in eine gerechte Gesellschaft investieren, so dass jeder Bürger das Gefühl hat, von den Veränderungen zu profitieren. Euronews: Was brauchen wir nun am meisten, Jobs, Wachstum, Investitionen? Was ist das Wichtigste? Johansson: Das Wichtigste ist, dass wir erkennen, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen wirtschaftlichem Wachstum und sozialem Fortschritt. Beide gehen Hand in Hand. Als Schwedin spreche ich aus Erfahrung. Wenn wir in gute und bezahlbare Kinderbetreuung investieren, haben wir auch mehr Frauen in Arbeit und mehr Wachstum. Ich könnte noch mehr Beispiele nennen. Und ich denke: Das ist der Kern des europäischen Sozialmodells.