"In Europa brennt das Haus": Westukrainischer Gouverneur appelliert in "Hart aber fair" an Deutschland

"Es gibt keine ruhige Minute mehr", betonte der Regionalpolitiker Sergiy Osachuk in bestem Deutsch mit Blick auf die Situation in der Ukraine. Niemand sei in dem Land mehr in Sicherheit, sagte er am Montagabend in der Live-Schalte bei "Hart aber fair". (Bild: WDR / Screenshot)
"Es gibt keine ruhige Minute mehr", betonte der Regionalpolitiker Sergiy Osachuk in bestem Deutsch mit Blick auf die Situation in der Ukraine. Niemand sei in dem Land mehr in Sicherheit, sagte er am Montagabend in der Live-Schalte bei "Hart aber fair". (Bild: WDR / Screenshot)

"In Europa brennt das Haus", erklärte Osachuk, "und wenn ein Haus brennt, dann müssen nicht Reinigungskräfte herangezogen werden, um schön zu putzen, sondern es muss die Feuerwehr kommen!" - Bei "Hart aber fair" sprach der ukrainische Regionalpolitiker Sergiy Osachuk Klartext.

"Auf der Flucht vor Putin: Wie können wir helfen?" - Der Titel der Sendung gab eigentlich die Richtung des "Hart aber fair"-Talks vom Montagabend recht eindeutig vor: Putins Truppen "zerstampfen" die ukrainischen Städte, wie Gastgeber Frank Plasberg es formulierte, und Millionen Menschen seien auf der Flucht - "viele auch zu uns". Die Fragen, so Plasberg, lägen aus deutscher Perspektive nun auf der Hand: "Zeigen wir diesmal unser freundliches Gesicht auf Dauer - auch wenn wir merken, mit den Menschen kommen wahrscheinlich Probleme? Und welchen Preis sind wir bereit zu zahlen?"

Dass die Sendung dann aber einen ganz anderen Dreh bekam, lag an einem Gast, der aus der Ukraine live zugeschaltet war: Sergiy Osachuk, Gouverneur und Militärchef der südwestukrainischen Stadt Tschernowitz, packte seine Sicht der Dinge in einen eindringlichen Appell, der auch bei den Zuschauerinnen und Zuschauern noch länger nachwirken dürfte.

"Es gibt keine ruhige Minute mehr", betonte der Regionalpolitiker in bestem Deutsch mit Blick auf die Situation in der Ukraine. Niemand sei in dem Land mehr in Sicherheit. Der Mann in Tarnkleidung drückte der Sendung fraglos seinen Stempel auf mit seinen drastischen Formulierungen. "Es gibt keinen Ausweg, es gibt keine Alternative, denn Putin will uns umbringen. Putin toleriert die Existenz und die Freiheit des ukrainischen Volkes nicht", konstatierte Sergiy Osachuk im Gespräch mit Frank Plasberg über die Moral der Ukrainer.

Osachuk, Gouverneur und Militärchef der südwestukrainischen Stadt Tschernowitz, packte seine Sicht der Dinge in einen eindringlichen Appell, der auch bei den Zuschauerinnen und Zuschauern noch länger nachwirken dürfte. (Bild: WDR / Screenshot)
Osachuk, Gouverneur und Militärchef der südwestukrainischen Stadt Tschernowitz, packte seine Sicht der Dinge in einen eindringlichen Appell, der auch bei den Zuschauerinnen und Zuschauern noch länger nachwirken dürfte. (Bild: WDR / Screenshot)

"Bitte wacht auf!"

Unter anderem sprach Osachuk vom "Ende der schönen Diplomatie" und von einem "Völkermord vor den Augen Europas". Er forderte weitere militärische Unterstützung von Deutschland und der EU, vor allem in Form von Waffenlieferungen. "In Europa brennt das Haus", erklärte Osachuk, "und wenn ein Haus brennt, dann müssen nicht Reinigungskräfte herangezogen werden, um schön zu putzen, sondern es muss die Feuerwehr kommen!"

Die Versorgung der Flüchtlinge sei wichtig, unterstrich der Gouverneur, aber dies sei lediglich eine Bekämpfung der Folgen des Krieges. Nach seiner Auffassung müsse es jetzt doch in viel stärkerem Maß um die Ursachen gehen. Auf Nachfrage von Frank Plasberg präzisierte Osachuk, es brauche mehr Waffen und noch stärkere wirtschaftliche Sanktionen, "um Putin so wehzutun, dass er heute aufhört". Sein unmissverständlicher Appell lautete: "Bitte wacht auf, schreibt es auf eure Fahnen: Anstatt Putin zu verstehen, muss ein Putin-freies Europa gemeinsam aufgebaut werden!" Prompt entgegnete der Gastgeber, dass "die Zeit der Putinversteher" doch "längst abgelaufen" sei.

"Ich glaube, dass wir mittlerweile in einer Situation angekommen sind, in der wir zu nichts 'niemals' sagen sollten": Saskia Esken ließ am Montagabend bei "Hart aber fair" mit diesem Statement aufhorchen. (Bild: WDR / Screenshot)
"Ich glaube, dass wir mittlerweile in einer Situation angekommen sind, in der wir zu nichts 'niemals' sagen sollten": Saskia Esken ließ am Montagabend bei "Hart aber fair" mit diesem Statement aufhorchen. (Bild: WDR / Screenshot)

Saskia Esken: "Zu nichts 'niemals' sagen."

SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken war die Erste aus der Runde, die zu Osachuks Vortrag Stellung bezog. Und ihr Statement ließ aufhorchen: Was die "Nachschärfung" der Sanktions-Maßnahmen angehe, sei "das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht", erklärte sie. "Die Sanktionen wirken immer mehr, sie wirken immer tiefgreifender. Die russische Wirtschaft, die russische Finanzwirtschaft insbesondere, ist schwer geschädigt." Sie glaube daher schon, "dass wir Eindruck hinterlassen mit diesen Sanktionen". Schon zu einem früheren Zeitpunkt in der "Hart aber fair"-Sendung hatte Esken auf Nachfrage des Moderators zu einem Eingreifen von NATO-Soldaten in ukrainischem Gebiet zu Protokoll gegeben: "Ich glaube, dass wir mittlerweile in einer Situation angekommen sind, in der wir zu nichts 'niemals' sagen sollten." Derzeit wäre dies aber ein Beitrag zur Eskalation. "Und da sollten wir sehr, sehr vorsichtig sein."

"Man muss alle Maßnahmen ausschöpfen - unterhalb des Militärischen", betonte hingegen Katja Kipping (Die Linke, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales in Berlin). Sie verstehe die Sicht der Ukraine, die sich in einer "Selbstverteidigungssituation" befinde, warnte jedoch eindringlich vor einer Eskalationsstufe, die nicht nur ein Land beeinflusst, "sondern die gesamte Welt existenziell gefährdet". Mit Blick auf die Situation der Geflüchteten betonte Kipping: "Wir müssen organisieren, dass die Kinder einen Zugang zur Bildung haben und für die Erwachsenen sofort den Zugang zum Arbeitsmarkt sicherstellen."

Neben Saskia Esken und Katja Kipping sprachen am Montagabend auch Vassili Golod (WDR-Journalist mit russischen und ukrainischen Wurzeln), der Politikwissenschaftler Markus Kaim und Prof. Dr. Dirk Reinhardt (Direktor und Chefarzt der Kinderklinik am Universitätsklinikum Essen) über die bereits jetzt zu spürenden und noch absehbaren Auswirkungen des Krieges in der Ukraine.

"Man muss alle Maßnahmen ausschöpfen - unterhalb des Militärischen", betonte hingegen Katja Kipping. (Bild: WDR / Screenshot)
"Man muss alle Maßnahmen ausschöpfen - unterhalb des Militärischen", betonte hingegen Katja Kipping. (Bild: WDR / Screenshot)