Werbung

Ex-Pilot: Ferrari treibt Fahrer in einen Burnout

Wenn sich Ferraris Haus- und Hof-Journalist plötzlich gegen die Scuderia wendet, muss sich etwas Bedeutendes ereignet haben.

Der italienische Reporter Leo Turrini schreibt für gewöhnlich für eine Tageszeitung in der Emiglia Romagna. Seine Texte werden also auch in Maranello gelesen, dem Stammsitz von Ferrari. Deshalb füttert ihn der Rennstall immer wieder mit exklusiven Informationen.

Im Gegenzug berichtet Turrini meist auf roter Linie. Doch mit einem Blogeintrag sorgte der Italiener nun für ein Erdbeben im Ferrari-Land.

"Alonso + Vettel. 2010-2020 = null Titel", schrieb Turrini.

Jetzt aktuelle Fanartikel zur Formel 1 kaufen - hier geht's zum Shop | ANZEIGE

Er unterfütterte seine Rechnung mit folgender Argumentation: "Es war weder Alonsos noch Sebs Fehler. Zwischen 2010 und 2020 hat Ferrari einfach kein dominantes Auto gebaut. Manchmal hatten sie ein Siegerauto, aber nie eine dominierende Maschine."

Ein italienischer Journalist sucht und findet die Schuld bei Ferrari - ungewöhnlich. Bei dem Team, das eigentlich die Strategie perfektioniert hat, jegliche Verantwortung auf die Piloten abzuwälzen. Doch die Beweiskette wiegt in diesem Fall zu schwer. Erst scheiterte Doppelweltmeister Alonso am Grande Casino, der Politik in Ferrari-Rot. Jetzt Vierfachchampion Vettel.

Die Zukunft: zwei Piloten, die gemeinsam gerade erst elf Podestplätze in die Waagschale werfen. Zwei Frischlinge also, die es jetzt besser machen sollen. Die Weltmeister von gestern haben ausgedient. Typisch Ferrari.

Wurz: "Ferrari erwartet viel von seinen Piloten"

"Ferrari erwartet viel von seinen Piloten", analysiert der Präsident der Fahrervereinigung, Alex Wurz, bei Sky UK. "Erst lieben sie dich, auch dann, wenn du kritisch bist, sie antreibst. Aber wenn der Erfolg ausbleibt, schießen sie zurück, sichern ihr eigenes Erbe, ihre Arbeit, ihre Qualität. Dann kommt es unweigerlich zu Spannungen."

Woran das liegt? Der Österreicher: "Am Druck von außen, aber vielleicht auch am südeuropäischen Lebensstil. Das ist ein gefährlicher Mix."

Fakt ist: Diese gefährliche Mischung kennzeichnet Ferrari vor und nach der Ära Michael Schumacher. Ein Meister seines Fachs sucht die Erfüllung in Rot – und wird am Ende aussortiert.

Dabei hat Vettel nur einen Fehler gemacht: zu glauben, dass er den Ferrari-Fluch mit seinen deutschen Tugenden brechen kann. Es endete, wie so oft, wenn ein Spitzenpilot seinen rosaroten Traum erfüllen will: im Drama. In Zahlen heißt das: 76 Fahrer sind bisher für Ferrari in der Formel 1 gestartet, nur 38 davon haben überhaupt ein Rennen gewinnen können, nur neun wurden mit den Italienern auch Champion.

Sechs Weltmeister bleiben bei Ferrari ohne Titel

Mehr noch: Nicht weniger als sechs Weltmeister sind bei Ferrari ohne Titel geblieben. Alain Prost wurde 1991 sogar ganz vom Hof gejagt, nachdem er die Lenkung der roten Göttin mit der eines LKWs verglich.

In den letzten 40 Jahren wurden nur zwei Piloten mit Ferrari Weltmeister: Michael Schumacher und Kimi Räikkönen. Wobei Letzterer von den Ausläufern der Schumacher-Ära profitierte, in der man mit- und nicht gegeneinander arbeitete.

"Erst ist es die ganz große Liebe zwischen Fahrer und Team"

"Zusammen mit Michael hatten wir so viel Erfolg, weil wir ein sehr geeintes, starkes Team hatten, das sich gegenseitig unterstützte, mehr noch in den schwierigen als in den guten Zeiten", fasst Ex-Teamchef Jean Todt das erfolgreiche Schumacher-Intermezzo zusammen. Der heutige FIA-Präsident sagte: "Wenn wir uns in rauer See befanden, waren wir alle auf dem Boot, und ich denke, das machte den Unterschied aus."

Heute ist Ferrari wieder zur Diva mutiert. "Erst ist es die ganz große Liebe zwischen Fahrer und Team", rekapituliert Ex-Formel-1-Pilot Wurz, "doch irgendwann treibt das System den Fahrer in einen Burnout – sogar bei einem wie Fernando Alonso." Und nun eben auch bei Sebastian Vettel, der nichts sehnlicher wollte, als die Schumacher-Story neu zu schreiben und dabei am Mythos gescheitert ist.

Immerhin sieht das auch Italiens Ferrari-Experte so. Schlusswort Leo Turrini: "Ich mag Seb als Fahrer und als Mann. Ich weiß, wie sehr er mit Ferrari gewinnen wollte und ich weiß, dass er alles dafür getan hat. Das Schicksal ist einfach nicht immer gut zu großartigen Menschen."