Experte über Anstieg bei Diebstählen - Ladendiebstahl-Explosion: „Viele Jugendliche hören von allein wieder damit auf“

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Ein Ladendetektiv sitzt vor Überwachungsmonitoren eines Supermarktes.Boris Roessler/dpa

Diebstahl in Deutschland erreicht neue Höhen: 2,8 Milliarden Euro Schaden für den Handel im vergangenen Jahr. Eine Studie zeigt, dass vor allem Lebensmittel-, Bekleidungs- und Drogeriemärkte betroffen sind. Die Gründe sind vielfältig, sagt der Kriminologe Dietrich Oberwitt.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2023 hat in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Demnach ist die Zahl der registrierten Straftaten in Deutschland im vergangenen Jahr auf fast sechs Millionen gestiegen .

Für Aufregung sorgte aber vor allem eine andere Zahl: Im Vergleich zu 2019 wurden 43 Prozent mehr tatverdächtige Kinder und Jugendliche registriert. Viele Experten sehen einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Bei den registrierten Vorfällen handelt es sich sehr häufig um einfache Körperverletzungen - und vor allem um Diebstähle.

Mit Blick auf die Diebstähle steht die Frage im Raum, ob tatsächlich mehr geklaut wird oder ob das vermutlich sehr große Dunkelfeld nur besser ausgeleuchtet wurde. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) erklärt Dietrich Oberwittler, Soziologe am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht: „Es ist klar, dass nur ein kleiner Teil der Diebstähle von der Polizei, erfasst wird. Ein großer Teil wird nicht erkannt oder nicht angezeigt, das wird auch in der EHI-Studie deutlich.“

Mehr Diebstähle in Deutschland: Waren im Wert von 2,8 Milliarden

Das Handelsforschungsinstitut EHI hat in einer Studie festgestellt, dass dem Einzelhandel in Deutschland im vergangenen Jahr Waren im Wert von 2,8 Milliarden Euro gestohlen wurden. Damit ist der Schaden für den Handel im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent gestiegen. Den Studienautoren betreffe das vor allem den Lebensmittel- und Bekleidungshandel sowie Drogeriemärkte.

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Laut Polizeilicher Kriminalstatistik gab es im vergangenen Jahr 24 Prozent mehr Ladendiebstähle als im Vorjahr. Damit wurde so viel geklaut wie seit 2006 nicht mehr.

Oberwittler ist sich sicher, dass sich hinter den Zahlen ein tatsächlicher Anstieg der Ladendiebstähle in den letzten zwei Jahren verbirgt. Es wird also tatsächlich mehr gestohlen und nicht nur das Dunkelfeld besser ausgeleuchtet.

„Dazu muss man aber sagen: In den 1990er-Jahren wurde viel, viel mehr geklaut als jemals danach. Wir sind jetzt beim Ladendiebstahl immer noch bei 40 Prozent weniger Fällen als während des Höhepunkts in der Mitte der 90er-Jahre“, so der Soziologe gegenüber der „SZ“.

Hohe Inflation als Grund für die Diebstähle

Einen Grund für den Anstieg Diebstähle sieht er hauptsächlich in einem Punkt begründet: „Dass der Diebstahl von Lebensmitteln jetzt gerade wieder zugenommen hat, liegt meiner persönlichen Einschätzung nach zu einem bedeutenden Teil an der Inflation.“

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Über die anderen Gründe wisse die Forschung leider noch nicht genug, sagt er. Möglicherweise gebe es kurzfristige Nachholeffekte nach der Pandemie oder einen Wertewandel in der Gesellschaft, aber das sei Spekulation, so Oberwittler weiter.

Zudem sei Ladendiebstahl ein klassisches Jugenddelikt. Dies würden auch die Zahlen der PKS bestätigen: Beim einfachen Ladendiebstahl sind rund 38 Prozent der Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt, also Jugendliche oder Heranwachsende. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt aber nur bei rund 20 Prozent.

„Im Laufe des Jugendalters wird fast jeder mal kriminell“

Oberwittler erklärt das wie folgt: „Im Laufe des Jugendalters wird fast jeder mal kriminell und begeht Straftaten.“ Das sei aber nicht besorgniserregend: „Das ist eines der wichtigsten Erkenntnisse der Forschung: Die meisten Jugendlichen hören von allein wieder damit auf.“

Oberwittler sieht noch ein ganz anderes Problem: „In der öffentlichen Wahrnehmung steigt Kriminalität immer nur an, weil früher gefühlt alles besser war.“ Das sei aber eine verzerrte Wahrnehmung und ein Problem, so der Experte.