Experte: Erdbebengefahr in Istanbul hat sich nicht erhöht

Das verheerende Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet vom 6. Februar hat nach Einschätzung eines Experten nicht zu einer erhöhten Erdbebengefahr in Istanbul geführt. "Das Risiko hat sich nicht erhöht, weil wir von völlig unterschiedlichen Systemen sprechen", sagte der Leiter des Überwachungszentrums für Erdbeben und Tsunamis am Kandilli-Observatorium in Istanbul, Dogan Kalafat, der Nachrichtenagentur AFP in einem Interview. Istanbul liegt an der sogenannten Nordanatolischen Verwerfung - die Katastrophenregion rund um Gaziantep liegt an einer anderen Verwerfungslinie.

Trotzdem fragen sich viele der 16 Millionen Einwohner Istanbuls, ob die Stadt am Bosporus auf ein Großbeben vorbereitet wäre. "Das würde ich gern bejahen, aber leider ist es eine sehr große Stadt mit zu vielen schlecht gebauten Gebäuden", sagte Kalafat. Weitere Risikofaktoren in Istanbul sind laut dem Seismologen der verwendete Zement von niedriger Qualität und der "weiche Untergrund".

Das Kandilli-Observatorium hat zwar ein Frühwarnsystem entwickelt, doch durch seine besondere Lage auf zwei Kontinenten ist Istanbul nach Angaben des Seismologen "zu nah an der Verwerfungslinie", als dass das System effektiv sein könnte. Den Einwohnern blieben "maximal sieben oder acht Sekunden", um sich in Sicherheit zu bringen. Im Gegensatz dazu könne das Warnsystem der japanischen Region Tohoku den Menschen rund 45 Sekunden Zeit verschaffen.

Seit dem 6. Februar habe es 9000 Nachbeben in der Türkei gegeben, berichtet Kalafat. Statistisch gesehen liegt das Risiko für ein schweres Beben in der Region rund um Istanbul laut Berechnungen des türkischen Erdbebenzentrums bis zum Jahr 2030 bei 65 Prozent. In den nächsten 50 Jahren liegt das Erdbebenrisiko bei 75 Prozent und in den nächsten 90 Jahren sogar bei 95 Prozent.

Diese Zeit müssten die Baubehörden in Istanbul nutzen, fordert Kalafat. "Wir müssen unsere Zeit gut nutzen und erdbebensicher auf festem Grund bauen. Es ist die wichtigste Vorkehrung, die wir treffen können."

loc/mid