Experten über Femizide - „Armutszeugnis, wenn Frauen in Deutschland in Lebensgefahr geraten“
Es ist eine erschreckende Statistik: Seit Jahren steigen die Zahlen der Femizide in Deutschland. Zwei Experten erklären im Interview, wie dieser Trend gebrochen werden kann.
Über die steigende Zahl der Femizide in Deutschland sprechen wir mit Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen, und seinem akademischen Mitarbeiter Florian Rebmann, Mitglied des Forschungsteams „Femizid“.
FOCUS online: Seit Jahren steigen die Zahlen der Femizide in Deutschland. Erst vergangene Woche gab es allein in Berlin zwei Fälle. Woran liegt das?
Tatsächlich ist ein derartiger Anstieg seit etwa zwei Jahren zu beobachten. Ob sich aus der Zunahme der letzten beiden Jahre ein dauerhafter Trend ableiten lässt, ist jedoch derzeit noch unklar, zumal die Zahlen Mitte der 2010er Jahre teilweise noch höher lagen. Daher wäre es zum jetzigen Zeitpunkt reine Kaffeesatzleserei, über Ursachen für die aktuelle Entwicklung zu spekulieren.
Greifen Justiz und Politik hier nicht hart genug durch?
Femizide werden in Deutschland in aller Regel und völlig zurecht mit großem Ermittlungsaufwand verfolgt und mit hohen Freiheitsstrafen geahndet. Dass eine Erhöhung dieser Strafen, sei es durch eine „härtere Justiz“ oder durch Gesetzesverschärfungen, zu einer Reduktion der Fallzahlen führen würde, ist aus wissenschaftlicher Perspektive sehr unwahrscheinlich. So bitter es ist: Vor ihrer Tat schauen die Täter nicht in das Strafgesetzbuch.
„Armutszeugnis, wenn Frauen in Deutschland in Lebensgefahr geraten“
Bundes-Familienministerin Lisa Paus hat ein Gewalthilfegesetz angekündigt, das unter anderem auch mehr Schutzplätze für Frauen bereitstellen soll. Eine gute Idee?
Grundsätzlich ja. Gerade weil ein Mehr an Abschreckung selten erfolgversprechend ist, erscheint es richtig, eher auf Prävention zu setzen und die Rechtsstellung potenzieller Opfer zu stärken. So ist es ein Armutszeugnis, wenn Frauen in Deutschland in Lebensgefahr geraten, weil sie sich nach einer Trennung von ihrem gewalttätigen Partner nicht in Sicherheit bringen können. Richtig ist aber auch, dass für die Tötung einer Frau nur selten mitursächlich ist, dass sie keinen Platz in einem Frauenhaus bekommen hat.
Was braucht es noch?
Der Umzug in ein Frauenhaus ist für die Betroffenen häufig mit vielen Nachteilen verbunden. Man sollte daher die potenziellen Täter stärker in den Blick nehmen. Verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für gewalttätige Partner, wie sie jüngst von Bundesinnenministerin Faeser ins Spiel gebracht wurden, könnten ein Baustein sein. Wichtig ist auch, dass Männern schon in der Kindheit vermittelt wird, wie sie in angemessener Weise mit ihren Gefühlen umgehen können, und dass ihre Partnerinnen gleichberechtigte und zu respektierende Menschen sind.
Wäre die elektronische Fußfessel für Täter eine Lösung?
Sie könnte helfen, wenn sie nach dem sogenannten „Spanischen Modell“ ausgestaltet wird. Die Besonderheit dabei ist, dass zusätzlich die potenziellen Opfer mit einem Empfänger ausgestattet werden, der eine Annäherung des mutmaßlichen Täters unabhängig vom Aufenthaltsort des Opfers registrieren kann. So können Polizei und Opfer frühzeitig gewarnt werden. Ob man durch diese Maßnahme Femizide weitgehend verhindern kann, ist aber noch nicht vollständig geklärt.