Expertin Dominique Ertl - Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird zum Klimakiller in der Küche

Lebensmittel im Hausmüll (Symbolbild): Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel schafft es nicht auf den Teller<span class="copyright">Peter Dazeley/Getty Images</span>
Lebensmittel im Hausmüll (Symbolbild): Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel schafft es nicht auf den TellerPeter Dazeley/Getty Images

Eine unglaubliche Zahl: Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel schafft es gar nicht auf dem Esstisch - sondern landet im Müll. Das Problem des „Food Waste“ liegt in Ländern wie Deutschland auch daran, dass wir das Mindesthaltbarkeitsdatum falsch verstehen, schreibt Expertin Dominique Ertl.

Trotz wichtiger Verhandlungen beim Ziel, die 1,5-Grad-Grenze zu erreichen, ist ein Thema bei der diesjährigen Klimakonferenz mal wieder viel zu kurz gekommen: Die Lebensmittelproduktion, die für mehr als ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Umso schlimmer, dass es knapp 35 Prozent der angebauten Lebensmittel gar nicht auf den Esstisch schaffen. Das heißt: Insgesamt gehen weltweit 9,3 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente allein auf Lebensmittelverluste zurück. Das entspricht in etwa den jährlichen Emissionen der USA und der EU zusammengenommen.

Eine der Hauptursachen für Lebensmittelverschwendung ist die Fehlinterpretation des Mindesthaltbarkeitsdatums. Deshalb hat Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) vor einigen Wochen die EU-Kommission aufgefordert, das Mindesthaltbarkeitsdatum für ausgewählte Lebensmittel wie Tee, Honig und Reis abzuschaffen. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Wir müssen den eigenen Sinnen vertrauen

Abgesehen davon braucht es aber auch viel Aufklärungsarbeit in unserer konsumverwöhnten Gesellschaft. Denn der Überfluss an Lebensmitteln hat dazu geführt, dass Produkte teilweise ungeöffnet weggeworfen werden, nur weil sie das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben. Stattdessen sollten wir lernen, wieder den eigenen Sinnen zu vertrauen: also sehen, riechen und schmecken, ob etwas noch genießbar ist.

Denn was viele nicht wissen: Beim Mindesthaltbarkeitsdatum handelt es sich lediglich um die Garantie des Herstellers, dass bis zum Tag X die gleiche Qualität gegeben ist wie direkt nach der Erzeugung. Mit der Sicherheit eines Lebensmittels hat es nichts zu tun. Anders verhält es sich beim Verbrauchsdatum: Die Angabe findet sich vor allem bei schnell verderblichen Lebensmitteln wie Fisch oder Geflügel und sollte in jedem Fall eingehalten werden.

Es braucht auch die Politik

Wenn alle Menschen im Alltag sorgsamer mit Ressourcen umgehen würden, wäre sicherlich schon viel gewonnen. Allerdings braucht es außer einem Umdenken in der Gesellschaft auch politische Maßnahmen, um die UN-Verpflichtungen zu erfüllen und die Lebensmittelabfälle pro Kopf bis 2030 zu halbieren. Eine wichtige Maßnahme wäre zum Beispiel eine Transparenzpflicht entlang der gesamten Lieferkette, damit Verbraucher und Verbraucherinnen wissen: Wie viele Lebensmittel verschwenden große Nahrungsmittelfirmen eigentlich jedes Jahr?

Und wenn die Transparenz einmal hergestellt ist, braucht es im nächsten Schritt endlich rechtlich bindende Ziele zur Reduzierung von Lebensmittelverlusten. In Deutschland haben sich dieses Jahr insgesamt 14 Unternehmen aus dem Groß- und Einzelhandel darauf geeinigt, die Lebensmittelabfälle bis 2030 auf die Hälfte zu reduzieren. Das ist zwar ein starkes Zeichen, aber die Vereinbarung enthält ein riesiges Manko: Die festgesetzten Ziele sind nicht rechtlich verpflichtend.

Deutschland hinkt hinterher

Die EU-Kommission ist in Bezug auf rechtliche Verpflichtungen zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung schon weiter, als wir es in Deutschland sind, aber auch hier sind die Maßnahmen ausbaufähig. Vor allem deshalb, weil die Ziele der Kommission nicht hoch genug gesetzt sind, um die UN-Ziele zu erfüllen. Außerdem werden Verluste, die während der Produktion und Verarbeitung entstehen, vernachlässigt und die in der Landwirtschaft sogar ganz ignoriert.

Wenn man sich schon auf die Abfälle im Einzelhandel fokussiert, fehlen neben einer Transparenzpflicht und rechtlich bindenden Zielen aber vor allem auch unterstützende Maßnahmen seitens der Politik oder Rechtsprechung. Zum Beispiel könnte die Mehrwertsteuersenkung für Produkte nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums helfen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Und auch eine Änderung der Haftungsübernahme wäre denkbar, sodass der Verbraucher nach Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums selbst die Verantwortung für die Qualität und Sicherheit des Produkts übernimmt.

Von den älteren Generationen was abschauen

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Acht bis zehn Prozent aller Treibhausgasemissionen werden durch das Wegwerfen von Lebensmitteln verursacht. Darüber müsste man eigentlich dringender diskutieren als über das Tempolimit. Und auch, wenn es dringend politische Maßnahmen braucht, um der globalen Lebensmittelverschwendung entgegenzutreten, kann auch jeder Einzelne von uns etwas beitragen: Zum Beispiel das Mindesthaltbarkeitsdatum verstehen und vor dem Wegwerfen immer riechen oder probieren, Gemüse richtig lagern und nie hungrig einkaufen, sondern mit Einkaufsliste.

Und zu guter Letzt: Essen kreativ verwerten. Da können wir uns einiges von den älteren Generationen abschauen, die nicht mit so einem Lebensmittelüberfluss groß geworden sind wie wir.