Expertin für mentale Gesundheit - Halb krank, halb im Job - wie sinnvoll ist die Teilzeit-Krankschreibung?
In Zeiten hoher Krankenstände sucht Deutschland nach Lösungen. Psychologin Eva Elisa Schneider diskutiert, wie Teilzeit-Krankschreibungen helfen könnten, den Spagat zwischen Gesundheit und Beruf neu zu gestalten.
Warum wird die Teilzeit-Krankschreibung derzeit diskutiert?
Die Krankenstände sind in Deutschland auf Rekordniveau. Auch international ist Deutschland Weltmeister in Sachen Arbeitsunfähigkeit. Der Ärztepräsident Klaus Reinhard hat kürzlich Teilzeit-Krankschreibungen vorgeschlagen, um die neuen Möglichkeiten durch Digitalisierung und Remote Work besser nutzen zu können. Dies würde Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, bei Krankheit einige Stunden am Tag zu arbeiten. Nach aktuellem Gesetz können Arbeitnehmer jedoch nur entweder arbeitsfähig oder arbeitsunfähig sein, sodass diese Option bislang nicht bestand.
Was sind die Vorteile einer Teilzeit-Krankschreibung?
Teilzeit-Krankschreibungen bieten eine Reihe von Vorteilen für sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmen. Sie ermöglichen es Mitarbeitern, bei weniger schwerwiegenden Erkrankungen, wie beispielsweise Erkältungskrankheiten oder Muskel-Skelett-Erkrankungen, einige Stunden zu arbeiten und den Rest des Tages zur Genesung zu nutzen. Dieses Modell bildet den tatsächlichen Krankheitsverlauf realistischer ab.
Einer der Hauptvorteile ist die Reduzierung der Gesamtzahl der Krankheitstage und damit auch der Ausfallzeiten für Unternehmen. Weniger Ausfallzeiten bedeuten in der Regel geringere Kosten für Unternehmen und auch kürzere Mehrarbeit von Kolleg:innen. Darüber hinaus kann ein allmählicher Wiedereinstieg in den Arbeitsalltag die Rückkehr in den Beruf erleichtern, was sich insbesondere für längere Erkrankungen eignet und im ähnlichen Modell der beruflichen Wiedereingliederung bereits positiv erprobt ist.
Für Beschäftigte bietet die Teilzeit-Krankschreibung Flexibilität, indem sie ihre Arbeitsbelastung an ihren Gesundheitszustand anpassen können. Darüber hinaus könnte die Möglichkeit, weiterhin tätig zu sein, dazu führen, dass sich Arbeitnehmende proaktiv ihrer Genesung widmen können, was im aktuellen entweder-krank-oder-gesund-Modell schwerer umsetzbar ist. Insgesamt ist das Modell der Teilzeit-Krankschreibung in der Schweiz oder in Schweden bereits Usus.
Was sind die Nachteile einer Teilzeit-Krankschreibung?
Die Teilzeit-Krankschreibung birgt verschiedene Nachteile und Risiken. Ein zentraler Kritikpunkt ist die Befürchtung, dass sich Beschäftigte durch die Möglichkeit, nur teilweise krankgeschrieben zu sein, zu früh wieder an die Arbeit machen und damit ihre Gesundheit gefährden könnten. Auch könnten Teilzeit-Krankschreibungen dazu führen, dass ungesunde Standards gesetzt werden und Beschäftigte sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen.
Darüber hinaus besteht die Sorge, dass eine Teilzeit-Krankschreibung nicht für alle Erkrankungen geeignet ist und es daher zu Ungleichbehandlungen kommen könnte.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die praktische Umsetzung einer solchen Regelung. Sie ist mit einigen Herausforderungen verbunden, wie beispielsweise einer fachgerechten Einschätzung der teilweisen Arbeitsunfähigkeit anhand fester Kriterien oder der Frage, welche Aufgaben trotz Krankheit noch ausgeführt werden können.
Diese Fragen können zu Unsicherheiten und Konflikten führen und müssen sorgfältig geklärt werden. Abseits dieser Punkte bleibt auch offen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden müssten. Fest steht, dass in jedem Falle das Wohlergehen der Beschäftigten im Vordergrund stehen sollte.
Was sollte bei Teilzeit-Krankschreibungen beachtet werden?
Teilzeit-Krankschreibungen dürften nicht zu Lasten der Gesundheit oder dem Arbeitsschutz gehen. Auch sollte kritisch geprüft werden, ob mit diesem Modell keine falschen Anreize gesetzt werden, denn schon jetzt kommen viele Beschäftigte krank zur Arbeit.
Überdies wirft das Modell noch viele rechtliche Fragen auf. Dennoch könnte es angesichts der veränderten Arbeitsbedingungen in bestimmten Fällen ein Gewinn sowohl für beschäftigte als auch Arbeitgeber sein, solange das Wohl der Beschäftigten stets gewahrt wird.