Tote und Verletzte nach Explosionen - Lieferte Todes-Pager: Jetzt scheint klar, wer wirklich hinter Ungarn-Firma steckt

Libanesische Soldaten stehen Wache an einer Straße, die zum Krankenhaus der Amerikanischen Universität führt, wo sie Verwundete hinbringen, deren Pager explodiert ist.<span class="copyright">Hassan Ammar/AP/dpa</span>
Libanesische Soldaten stehen Wache an einer Straße, die zum Krankenhaus der Amerikanischen Universität führt, wo sie Verwundete hinbringen, deren Pager explodiert ist.Hassan Ammar/AP/dpa

Die im Libanon explodierten Hisbollah-Pager stammen offenbar von einem ungarischen Unternehmen. Dessen Webseite gibt Rätsel auf, zwei Hinweise sprechen für eine Briefkastenfirma. Die Ungereimtheiten könnten ein Hinweis auf eine Geheimdienst-Beteiligung Israels sein.

Spektakuläre Geheimdienst-Operationen kennt man eigentlich vor allem aus dem Kino. Ganz real ist aber der Angriff auf tausende Hisbollah-Mitglieder. Dafür wurden 5000 Pager so präpariert, dass sie am Dienstagnachmittag im Libanon explodierten.

Grundlage dafür war offenbar eine israelische Tarnfirma in Ungarn, von der die Geräte stammen. Das legen Recherchen von FOCUS online nahe. Zudem haben das drei Geheimdienstler der „New York Times“ bestätigt. Der eigentliche Hersteller der Pager ist wohl ein Feind der Hisbollah: der israelische Geheimdienst Mossad.

Wie genau die Saboteure vorgegangen sind, ist unklar, es gibt jedoch einige Indizien: Zu Beginn der Planung stand wohl fest, dass die Terrormiliz Hisbollah sich von der Kommunikation per Mobiltelefon verabschieden wollte. Denn darüber lässt sich verhältnismäßig einfach der Standort des Besitzers bestimmen. Bei gezielten Tötungsaktionen Israels könnte das die Grundlage gewesen sein.

Wie ist Israels Geheimdienst involviert?

Als Alternative haben die Terroristen sich neue Pager angeschafft – die kleinen Funkgeräte lassen keine Ortung zu und sind deshalb bei Milizen und Guerillabewegungen beliebt. Das hat der israelische Geheimdienst offenbar ausgenutzt und bei der Herstellung oder Lieferung die Geräte so präpariert, dass sie zur Waffe wurden.

Die Bilder, die nach den Explosionen entstanden sind, zeigen das Modell AR924 der taiwanesischen Firma Gold Apollo. Hsu Ching-Kuang, der Gründer des Unternehmens, dementiert allerdings, die Pager für die Hisbollah hergestellt zu haben. Stattdessen verweist er auf das ungarische Unternehmen BAC.

Das habe vor rund drei Jahren Kontakt zu Gold Apollo aufgenommen und zunächst Pager zum Weiterverkauf importiert. Später habe BAC um eine Lizenz gebeten, die die eigene Herstellung und Nutzung der Markenrechte erlaubt. „Wir sind nicht an der Entwicklung oder Herstellung dieses Produkts beteiligt“, erklärte Hsu zu den explodierten Pagern.

Unternehmen wirbt für Schmuck und arbeitet angeblich für EU

Die Spur führt also nach Ungarn. BAC hat seinen Sitz in der Hauptstadt Budapest – und stellt sich auf der Webseite als Beratungsunternehmen vor. In der Selbstbeschreibung erklärt das Unternehmen in blumigen Worten, „Agenten des Wandels“ zu sein, die „Prinzipien wie Authentizität, Freiheit und Glück“ folgen würden. Man arbeite mit seinen Partnern an „innovativen Lösungen“ in den Bereichen internationale Beziehungen, Umwelt, Entwicklung und Innovation.

Ein Screenshot der Webseite von BAC Consulting, bevor die Seite nicht mehr erreichbar war.
Ein Screenshot der Webseite von BAC Consulting, bevor die Seite nicht mehr erreichbar war.

 

Auf den Verkauf von Pagern findet sich kein Hinweis. Dafür bewirbt die Seite eine eigene Schmuckkollektion namens Nelkhael – ein Engel aus der mystischen Tradition des Judentums.

Zwei Hinweise auf Briefkastenfirma

Wer die Partner sein sollen, ist in der aktuellen Version der Webseite nicht klar erkenntlich. Eine frühere Version, die über Internetarchive abrufbar ist, zeigt aber groß die Logos der Europäischen Kommission, der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und der Unesco. FOCUS online hat bei den Organisationen angefragt, ob es tatsächlich eine Zusammenarbeit mit BAC Consulting gab. Zumindest im Fall der IAEA hat es wohl nie Geschäftsbeziehungen zu dem mysteriösen Unternehmen gegeben. Eine Sprecher der Organisation betont: „Wir haben keine Beschaffungs- oder sonstigen Verträge mit dem Unternehmen“. Antworten von EU-Kommission und Unesco liegen bislang nicht vor.

Die zumindest in einem Fall fälschliche Werbung mit bekannten Partnern bestätigt den Verdacht, dass es sich bei BAC um eine Briefkastenfirma handeln könnte. Diesem Verdacht sind auch Journalisten in Ungarn nachgegangen – und haben kurzerhand die Geschäftsadresse des Beratungsunternehmens besucht. Sie liegt in einem schmucklosen Haus in einem Außenbezirk von Budapest. Wie die Journalisten Berichten zufolge herausfanden, hat BAC dort kein Büro mit Mitarbeitern.

Immerhin sind im Handelsregister für die vergangenen beiden Jahre die Umsätze eingetragen: 2022 betrugen diese rund 725.000 Dollar, im vergangenen Jahr rund 593.000 Dollar. Das Geld kommt offenbar von normalen Kunden, die das Unternehmen zur Tarnung mit Pagern belieferte, wie die „New York Times“ berichtet.

Unklar, wann Unternehmen gegründet wurde

Laut Webseite heißt die BAC-Geschäftsführerin Cristiana Arcidiacono-Bársony. Sie hat laut ihrem Linkedin-Profil an renommierten Universitäten in England studiert, zunächst an der London School of Economics, später promovierte sie in Physik am University College London. Online sind einige Publikationen der Frau mit italienischen und ungarischen Wurzeln zu finden, sie stammen aus ihrer Promotionsphase und beschäftigen sich zum Beispiel mit der „Ionenproduktion durch Positroneneinschlag auf H2O“.

Arcidiacono-Bársony gibt an, seit 2019 als CEO für BAC zu arbeiten – die ungarische Nachrichtenseite „24.hu“ weist allerdings darauf hin, dass BAC laut Unternehmensregister erst seit 2022 in Ungarn existiert. Auf einer früheren Version der Webseite heißt es: „BAC Consulting entstand, als sich zwei hoch qualifizierte Berater vor über einem Jahrzehnt zusammenschlossen.“

Geschäftsführerin mauert, Webseite nicht mehr erreichbar

Hsu, der mit seinem taiwanesischen Unternehmen mit BAC kooperiert hat, gibt an, dass es bei der Zusammenarbeit zu mindestens einer Unregelmäßigkeit gekommen sei. Die Abwicklung einer Überweisung habe sehr lange gebraucht. Details nannte Hsu nicht.

FOCUS online hat versucht, BAC Consulting zu kontaktieren, um Fragen zu den Ungereimtheiten zu stellen. Telefonisch war das Unternehmen nicht erreichbar, eine Mail blieb unbeantwortet. Der US-Sender NBC konnte mit Geschäftsführerin Arcidiacono-Bársony sprechen, sie erklärte demnach, die Pager nicht hergestellt zu haben, man sei lediglich ein Zwischenhändler. Laut „New York Times“ gehören zu dem Tarnfirmen-Geflecht offenbar noch zwei weitere Unternehmen, womöglich bezieht sich die angebliche Geschäftsführerin darauf.

Eine Reaktion zeigte BAC – beziehungsweise deren Hintermänner – aber: Die Webseite des Consulting-Unternehmens ist seit Mittwochvormittag nicht mehr erreichbar.

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