„Extreme werden immer extremer“ - Halb Europa versinkt im Hochwasser - was hinter dem Extremwetter steckt

In Mittel- und Osteuropa gibt es weiter keine Entwarnung: Mittlerweile sind 18 Menschen in den Fluten gestorben.<span class="copyright">dpa</span>
In Mittel- und Osteuropa gibt es weiter keine Entwarnung: Mittlerweile sind 18 Menschen in den Fluten gestorben.dpa

Das Ausmaß der Flutkatastrophe in weiten Teilen Mittel-und Osteuropas ist noch nicht absehbar. Die Einsatzkräfte melden mindestens 18 Tote, tausende Menschen wurden evakuiert, zahlreiche Orte sind zerstört. Noch gibt es keine Entwarnung. Experten sehen die Ursachen des tagelangen Starkregens in den Folgen des Klimawandels.

Tschechien spricht vom „Jahrtausendhochwasser“, Niederösterreich und weite Teile Polens gelten als Katastrophengebiete. Allein in Rumänien wurden 6000 Bauernhäuser vom Hochwasser erfasst. Österreich ist auf Hochwasser stets gut vorbereitet, kann die Wassermassen in einzelnen Orten dennoch kaum bewältigen. Die „Extreme werden immer extremer“, sagen Experten.

 

Jahrtausendhochwasser in Tschechien

In einigen Gebieten entlang der Donau, der Oder, der Elbe und ihren zahlreichen Nebenflüssen fiel seit Donnerstag teilweise bis zu 400 Liter Regen pro Quadratmeter, berichtet das ARD - so viel, wie sonst in drei bis sechs Monaten. In Dresden könnte der Pegel der Elbe bis Mittwochabend auf sieben Meter steigen; ein neues Jahrhunderthochwasser wie 2002, als er bei neun Meter lag, droht aber offenbar nicht.

In diesem Jahr standen noch weite Gebiete des Saarlands, in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, und Bayern unter Wasser, im vorigen Dezember war Niedersachsen betroffen. Und die Aussichten sind nicht beruhigend: Wissenschaftler warnen schon länger, dass sich Starkregen und Überschwemmungen wegen des menschengemachten Klimawandels häufen werden.

Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Die ungewöhnlich starken Fluten in Mittel- und Osteuropa führen Experten auf den Klimawandel zurück. Aber was heißt das genau? Warum nehmen Starkregen und Überschwemmungen an Häufigkeit und Intensität zu? Welche Rolle spielt der Klimawandel und die Erwärmung des Mittelmeers? FOCUS online Earth klärt die wichtigsten Fragen:

Warum kommt es zu den ungewöhnlich starken Regenfällen in Mittel- und Osteuropa, die zu den stärksten der vergangenen 100 Jahre gehören?

Ursache des Starkregens ist die „Fünf-B-Wetterlage“ (Vb). Die Bezeichnung Vb steht für die Zugbahn eines Tiefdruckgebiets. Die Tiefdruckgebiete saugen sich über dem warmen Mittelmeer und Norditalien voller Wasser und Feuchtigkeit. „Sie ziehen östlich an den Alpen vorbei nach Deutschland, Tschechien und Polen und sind berüchtigt dafür, dass sie bei uns große Regenmengen und Überschwemmungen bringen“, sagt ARD-Meteorologe Karsten Schwanke. Die Elbeflut im Jahr 2002 sei dafür ein klassisches Beispiel.

Haben Vb-Wetterlagen zugenommen?

Ja, die Statistik belegt eine enorme Zunahme. Früher gab es sie einmal in einhundert Jahren, das aktuelle Vb-Tief ist bereits das dritte in diesem Jahr. Auch die Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz und in Süddeutschland im Mai und Juni waren Folgen von Vb, sagt Meteorologe Marco Manitta vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Das Oderhochwasser 1997 war ebenso ein Vb wie das Elbehochwasser 2002 und die Fluten an Elbe und Oder 2013; auch Slowenien und Kärnten wurden 2023 überschwemmt, weil sich ein Tiefdruckgebiet über dem Mittelmeer mit Feuchtigkeit vollgesogen hatte und dann über den Regionen abregnete.

Welche Rolle spielt das warme Mittelmeer?

„Die Wassertemperatur im Mittelmeer lag Anfang September auf Rekordkurs“, sagt Marco Manitta vom DWD in der taz . Je höher die Oberflächentemperatur ist, desto mehr Wasser verdampft. Ein hoher Wärme- und Feuchtigkeitsgehalt des Mittelmeers führt den Meteorologen zufolge zu einer „langsamen Zuggeschwindigkeit“.

Im aktuellen Fall ist das Tiefdruckgebiet zudem zwischen zwei Hochs im Westen und Osten „eingeklemmt“, sagt Marco Manitta: Starkregenwolken werden damit nicht nach Osten weitergeschoben, sondern bleiben länger über einer Region hängen und regnen dort tagelang ab. „Die Folge ist eine angespannte Dauerregen-Wetterlage“, so Manitta. So wie es beispielsweise auch bei der Ahrtal-Flut 2021 war.

Ist das ungewöhnlich warme Mittelmeer auf den Klimawandel zurückzuführen?

Ein Kennzeichen des Klimawandels ist die Erderwärmung. Die wärmere Luft nimmt mehr Wasser auf. Die Wissenschaft beschreibt dies mit der Clausius-Clapeyron-Gleichung: Pro Grad Erwärmung speichert die Luft sieben Prozent mehr Wasserdampf, der verdunstet. Die Luft ist so „feuchtigkeitsgesättigt“, was zu mehr Niederschlägen führt. Zum Zeitpunkt des Juni-Hochwassers dieses Jahres war das Mittelmeer etwa zwei Grad Celsius wärmer als im langjährigen Mittel.

Führt damit der Klimawandel zu einer Häufung von Starkregen und Überschwemmungen?

Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Klimaerwärmung mehr Vb-Wetter nach Mitteleuropa bringt, gibt es noch nicht. Die Wissenschaft benötigt dazu einen Beobachtungszeitrum von mindestens 30 Jahren.

Doch die „Indizien“ sprächen dafür, dass sich solche Extremwetterereignisse wie jetzt in Mittel- und Osteuropa und im Frühjahr in Deutschland aufgrund des Klimawandels häuften, sagt Uwe Kirsche, Sprecher des DWD. Seit 1881, dem Beginn der Wetteraufzeichnungen, ist es in Deutschland 1,6 Grad Celsius wärmer geworden. Das Jahr 2023 lag 2,4 Grad über dem Temperaturmittel von 1961 bis 1990 und war damit das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.

Konsens in der Wissenschaft ist: Je heißer es wird und je mehr sich auch die Ozeane aufgrund des Klimawandels aufheizen, desto mehr Niederschlag wird es in Zukunft geben. Denn Regenwolken nähmen viel mehr Wasser auf. „Mehr Wasser bedeutet auch mehr Energie“, sagt Kirsche in der taz. Vb-Wetterlagen häuften sich und führten daher zu größerer Zerstörung, wie in Mittel- und Osteuropa aktuell zu sehen ist.

Ist der Klimawandelt die alleinige Ursache für das häufige Hochwasser?

Der Klimawandel ist nicht alleinige Ursache für Starkregen und Überschwemmungen. Er verschärft die Extremwettereignisse jedoch, sagt die Attributionsforscherin Friederike Otto vom Imperial College London. Die Flut im Ahrtal im Juli 2021 sei entstanden durch eine „Kombination aus extremster Wetterlage und bereits durchnässter Böden“, schreibt sie in ihrem Buch „Klimaungerechtigkeit“. Der Klimawandel spielte für die Regenmengen im Juli 2021 eine „erhebliche Rolle“. Fest steht für sie: „Ohne den menschengemachten Klimawandel hätte es weniger geregnet.“

Laut World Weather Attribution (WWA) hat sich das Risiko von Rekordüberschwemmungen durch den Klimawandel um das 1,2- bis neunfache erhöht. Auch die Fluten am Horn von Afrika 2023, in Libyen im September 2023 oder in Nigeria 2022 seien durch den Klimawandel verschärft worden.

Wird es in Zukunft mehr Hochwasser geben?

Ja, darin ist sich die Klimawissenschaft einig. Dürren, Hitzewellen und Starkregen werden sich mit dem voranschreitenden Klimawandel an vielen Orten der Welt häufiger und intensiver ereignen. Auch das Umweltbundesamt warnt vor häufigerem und höher steigenden Hochwasser speziell in Deutschland.

Was muss die Klimapolitik gegen die Extremwettereignisse tun?

Niklas Höhne, Klimaforscher und Mitbegründer des NewClimate-Institute sagt, dass die aktuellen Hochwasserereignisse „klare Anzeichen des menschengemachten Klimawandels“ seien. Nur mit “konsequenten Maßnahmen zur Reduzierung unseres CO2-Ausstoßes könnten wir heute eine Politik gestalten, die zukünftige Hochwasserschäden erheblich mindert und viele katastrophale Folgen verhindert“, so Höhne.

Für Friederike Otto sind „verheerende Regenfälle“ wie derzeit in Mittel- und Osteuropa „stärker und wahrscheinlicher“. Sie sind auf die Erderwärmung zurückzuführen, die durch fossile Brennstoffe verursacht werde. „Solange die Welt Öl, Gas und Kohle verbrennt, werden starke Regenfälle und andere Wetterextreme zunehmen und das Leben auf unserem Planeten gefährlicher und teurer machen.“