Für Pilotstudie ausgewählt - „Unserem Land täte es gut, wenn es das Grundeinkommen für alle gäbe“

Sarah (42) hat an einer Pilotstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen teilgenommen und drei Jahre lang monatlich 1200 Euro überwiesen bekommen.<span class="copyright">Foto: Anja Bäcker // picture alliance/dpa/Christoph Soeder</span>
Sarah (42) hat an einer Pilotstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen teilgenommen und drei Jahre lang monatlich 1200 Euro überwiesen bekommen.Foto: Anja Bäcker // picture alliance/dpa/Christoph Soeder

Sarah (42) hat an einer Pilotstudie zum Bedingungslosen Grundeinkommen teilgenommen und drei Jahre lang monatlich 1200 Euro überwiesen bekommen. Einfach so. Was hat das mit ihr gemacht?

FOCUS online: Sie sind Mutter, richtig?

Sarah: Ja, und so, wie ich vorher gearbeitet habe, oft 60 oder 70 Stunden die Woche, ist das mit Nachwuchs natürlich völlig undenkbar. Nicht, dass ich das aktuell erstrebenswert fände. Im Moment gibt es einfach andere Prioritäten in meinem Leben. Ich war damals als Architektin in Teilzeit tätig und habe gleichzeitig mit einer Freundin zusammen ein eigenes Unternehmen aufgebaut: Wir haben Museumsausstellungen konzipiert, kuratiert und realisiert. Diese Art zu gestalten ist meine Leidenschaft. Da ging mein ganzes Herz drin auf, meine ganze Inspiration rein. Nochmal, mit einem Kind wäre das allen zeitlich nicht möglich.

Sie standen also irgendwann vor der Entscheidung: Kind oder Beruf?

Sarah: Tatsächlich kann die Schwangerschaft ungeplant. Die Rahmenbedingungen waren damals auch wirklich denkbar schlecht für eine Familiengründung.

Schlechter, als sie es wegen der 70 Stunden-Wochen ohnehin schon waren?

Sarah: Durchaus. Mit meinem Freund kriselte es, wir trennten uns. Auch in der Selbständigkeit lief es überhaupt nicht mehr rund. Ein tolles Projekt hatte sich ins Gegenteil verkehrt, und statt dass wir Einnahmen hatten, drohte man uns mit einer Klage. Dass ich nicht komplett verzweifelt bin, lag sicher auch am Grundeinkommen. Ich wusste: Was auch immer noch an Unvorhersehbarem passiert, in den drei Jahren, die vor mir liegen, wird mir das über viele Unsicherheiten hinweghelfen.

Seit wann war klar, dass Sie für die Studie ausgewählt worden waren?

Sarah: Im Juni 2021 habe ich erfahren, dass ich schwanger bin. Drei Wochen vorher habe ich das Grundeinkommen zum ersten Mal ausgezahlt bekommen. Das nenne ich Schicksal.

Das heißt, Ihre persönliche Situation hat nicht dazu beigetragen, dass Sie ausgewählt wurden?

Sarah: Nein, beworben habe ich mich schon deutlich vorher, im Herbst 2020. Ende des Jahres kam dann die Info, dass ich zufällig ausgewählt worden war…

Als Empfängerin des Grundeinkommens?

Sarah: Nein, ich wurde gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Etwas später las ich dann diese Zahl: Über zwei Millionen Leute hätten sich beworben. Wenn man weiß, dass am Ende 20.000 Leute genommen werden, glaubt man nicht wirklich, dass man eine Chance hat. Ich habe das Ganze ein bisschen wie Lottospielen genommen. Ehrlich gesagt habe ich das Ganze nach einer Weile dann sogar komplett vergessen.

Wie haben Sie schließlich erfahren, dass Sie final ausgewählt worden sind?

Sarah: Das war lustig. Per Mail. Die ist allerdings bei mir im Spam gelandet. Eines Nachts lag ich wach im Bett, konnte einfach nicht einschlafen. Ich schau dann manchmal meine Mails durch. „Du bist ausgewählt…“ - als ich das las, dachte ich: Das kann ja nicht sein.

Haben Sie gedacht, die Mail ist ein Fake?

Sarah: Oder einfach eine weitere Info zum Projekt, die ich falsch einordne. So übernächtigt, wie ich war, waren meine Gedanken wohl alles andere als klar. Da gab es einen Link zur Verifizierung, auf den bin ich draufgegangen. Man sollte alle möglichen Daten angeben, und da dachte ich, das ist bestimmt ein Scam. Ich habe das Ganze abgebrochen und bin, ohne weiter darüber nachzudenken, zurück ins Bett.

Und dann?

Sarah: Am nächsten Morgen kam ein Anruf vom Projekt-Team. Ob ich irgendwelche Schwierigkeiten hätte, wurde ich gefragt. „Wir haben gesehen, du hast mit der Verifizierung angefangen, den Prozess dann aber wieder abgebrochen.“ Erst da habe ich angefangen zu begreifen, dass das real ist. Dass ich also tatsächlich drei Jahre lang 1200 Euro im Monat bekommen würde. Durch Spenden aus der Zivilgesellschaft finanziert.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie das begriffen haben?

Sarah: Ganz ehrlich: Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Die ersten anderthalb Tage habe ich mit niemandem darüber gesprochen. Ich musste das erst mal selbst verarbeiten. Das haben andere doch bestimmt viel mehr verdient, dachte ich. Schließlich lief es zu dem Zeitpunkt beruflich noch richtig gut bei mir. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich finanziell stabil. Aber im Leben kann schnell etwas kippen. Es gibt so viele Beispiele von Menschen, die völlig unverschuldet in Notsituationen geraten sind.

So wie Sie mit der ungeplanten Schwangerschaft.

Sarah: Ja, aber dank des Grundeinkommens wurde mir ganz viel Druck genommen. Existenzangst ist die wohl unangenehmste Angst überhaupt und wenn du schwanger bist, bist nicht nur du selbst betroffen. Man trägt Verantwortung nicht mehr nur für sich selbst. Und dabei macht es einen riesigen Unterschied, ob man voller Sorgen oder zuversichtlich durch diese Zeit geht.

War Ihr schlechtes Gewissen weg, als Sie von der Schwangerschaft erfuhren?

Sarah: Auf jeden Fall, das hat einiges geändert. Ich hatte jetzt ja wirklich einen Bedarf. Ich meine, es ist perfekt, dass es so etwas wie das Elterngeld gibt. Aber das Konzept greift vor allem bei klassischen Familiensituationen. Wenn das eine Einkommen konstant bleibt und sich das andere reduziert. Anders bei mir. Klar, auch ohne Grundeinkommen wäre das Kind gekommen. Ich hätte mich irgendwie arrangiert. Doch allein im Hinblick aufs Thema Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit war meine Situation so natürlich deutlich komfortabler.

Was meinen Sie?

Sarah: Naja, ich war nicht in dieser Bittsteller-Rolle, in der viele Alleinerziehende sind. Ich musste weder den Vater des Kindes noch irgendeine staatliche Stelle um Geld bitten. Ich hatte mein Leben zumindest, was das Finanzielle betrifft, unter Kontrolle. Das wiederum war eine gute Basis für die Beziehung.

Moment, Sie waren doch getrennt?

Sarah: Tatsächlich sind wir wieder zusammengekommen, als unser Kind etwa ein Jahr alt war. Ich weiß nicht, wie sich alles ohne das Grundeinkommen entwickelt hätte, aber ich vermute mal, da wäre insgesamt einiges anders gelaufen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir immer noch ganz schön viel mit den Themen unserer Elterngenerationen zu tun haben.

Was meinen Sie?

Sarah: In aller Regel sind es doch die Frauen, die Jahre brauchen, bis sie als Mütter wieder so arbeiten wie ohne Kind, bis sie die Stunden wieder erhöhen. Vollzeit arbeiten und sich parallel dazu um Kind und Haushalt kümmern – das ist eben nicht so einfach. Viele Männer dagegen gehen ohne großen Karriereknick durch ihre Vaterschaft. Das ist übrigens nicht nur mein Eindruck, dazu gibt es zahlreiche Studien. Ich finde das auch insofern problematisch, als dass diese Realität mit dem Mindset unserer Generation nicht zusammenpasst.

Was für ein Mindset?

Sarah: Jeder verdient sein eigenes Geld – so wollen wir das haben. Tatsächlich beobachte ich, dass Partnerschaften mit Kind häufig in eine gewisse Schieflage geraten.

Wie ist das bei Ihnen?

Sarah:  Ich will nicht sagen, dass es bei uns perfekt läuft, aber wir arbeiten daran, die Verantwortlichkeiten gut auszubalancieren. Die letzte Auszahlung vom Projekts Grundeinkommen habe ich im Mai bekommen, seitdem sind die monatlichen 1200 Euro weg…

… Sie mussten also wieder arbeiten gehen?

Sarah: Ich arbeite bereits wieder, seit unsere Tochter eineinhalb ist. Inzwischen habe ich auf 30 Stunden aufgestockt und habe damit so ziemlich genau das Pensum, das mein Partner hat. Ich verdiene auch ziemlich genau das Gleiche. Für unser Familienleben ist das eine gute Grundlage. Wir haben die Regelung: Ich hole unser Kind an drei Tagen von der Kita ab, er an zwei. An den Abholtagen ist man jeweils für alles rund um die Familie verantwortlich. Wie gesagt, wir bemühen uns um ein faires Miteinander.

Was andere Paare mit anderen finanziellen Rahmenbedingungen so nicht können?

Sarah: Mit einem Grundeinkommen wäre es wahrscheinlich leichter, dass beide Erziehende Stunden reduzieren, um Sorgearbeit zu leisten. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, wir hätten deutlich entspanntere Eltern, wenn es das Grundeinkommen gäbe. Noch mal: Existenzangst ist extrem unangenehm. In Verbindung mit der Verantwortung für neues Leben eine mehr als ungute Gemengelage!

Sehen Sie die Vorteile des Grundeinkommens vor allem für junge Eltern?

Sarah: Keineswegs, die Maßnahme würde an ganz vielen Stellen sehr viel zum Positiven wenden. Natürlich gibt es den sogenannten Sozialstaat, der einen unterstützen kann. Aber durch die Leistung gerät man in Abhängigkeit und muss sich ständig erklären. Keine starke Position, aus der man heraus frei agieren kann… Das Grundeinkommen basiert auf dem Prinzip des Vertrauensvorschusses und funktioniert anders: Ich muss nicht beweisen, dass ich bedürftig bin. Krisenphasen werden abgepuffert.

Kritiker verweisen aufs Prinzip Leistung: Wer nicht liefert, soll nichts kriegen…

Sarah: Ich bin genauso sozialisiert! Wie gesagt, anfangs dachte ich ja auch: Ich verdiene das nicht.

Und jetzt?

Sarah: Habe ich verstanden, dass viele von uns mit ziemlich falschen Maßstäben Leistung messen und bewerten. Was ist eine sinnvolle Tätigkeit? Ist das Geld, mit dem die Tätigkeit entlohnt wird, wirklich das entscheidende Maß?

Was sagen Sie?

Sarah: Ganz ehrlich, es gibt so viele Quatsch-Jobs… bestens bezahlt, aber gesellschaftlich wenig wertbringend. Und dann gibt es wie gesagt Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht an der Leistungsgesellschaft teilhaben können. Es gibt unterschiedliche Startchancen im Leben, das ist Fakt. Also, ich bleibe dabei: Unserem Land täte es gut, wenn es das Grundeinkommen für alle gäbe. Ich sehe einfach nicht, was dagegen spricht…

Manche sagen: Die Leute wären dann weniger motiviert, zu arbeiten?

Sarah: Ich glaube nicht, dass die Leute aufhören würden, zu arbeiten. Es gäbe vielleicht weniger Leute, die nach Feierabend noch Uber fahren oder Pizza ausliefern würden. Das vielleicht schon. Aber das wäre für mich eher ein weiteres Argument für die Einführung der Maßnahme.

Ein weiterer Kritikpunkt: 1200 Euro monatlich für jeden, einfach so - das ist nicht finanzierbar.

Sarah: Es gibt Modellrechnungen, die das Gegenteil zeigen. Und überhaupt, der Grundgedanke für das Prinzip ist doch eigentlich längst da. Unser ganzes Steuersystem beruht letztlich auf dem Solidaritätsprinzip. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre für mich die logische Fortführung dieses Gedankens.