Mittel gegen die Dunkelflaute - Diese vier Voraussetzungen müssen für den Atom-Wiedereinstieg erfüllt werden

Das mittlerweile stillgelegte Atomkraftwerk Isar II nahe Landshut (Archivbild).<span class="copyright">fhm/Getty Images</span>
Das mittlerweile stillgelegte Atomkraftwerk Isar II nahe Landshut (Archivbild).fhm/Getty Images

Deutschlands Stromnetz wankt, es fehlt ein einer stabilen Stromquelle. Französische Betreiber haben den deutschen Wiedereinstieg in die Atomkraft geprüft. Ergebnis: Fünf Kraftwerke könnten wieder angeschaltet werden. Doch es gibt Voraussetzungen, damit das gelingt.

Gleich mehrmals kam es in den vergangenen Wochen zur Dunkelflaute, dem Zustand in dem Deutschland nicht genug Energie produziert, um den eigenen Bedarf zu decken. Die Lösung sind aktuell Importe, doch die Nachbarländer sind sauer: Deutschlands Strombedarf lässt die Preise in ganz Europa explodieren. Französische Atomkraftwerksbetreiber haben jetzt evaluiert, ob Deutschland zur Atomenergie zurückkehren könnte. Mit überraschendem Ergebnis.

Das Wissen ist (noch) vorhanden, die technischen Möglichkeiten auch - was müsste geschehen, damit die Kernenergie in Deutschland wieder zur Energieerzeugung genutzt werden kann? Seit dem endgültigen Abschalten der letzten drei deutschen Kernkraftwerke wird dies von der noch amtierenden restlichen Bundesregierung kategorisch ausgeschlossen.

Aber die Regierungszeit der Bundesregierung neigt sich dem vorzeitigen Ende, und die, die in den Starlöchern stehen, wollen die Atomkraft möglicherweise wieder einschalten. Energiepreise und drohende Knappheiten fördern neues Denken.

Durch Fukushima kam der Einstieg in den Ausstieg schnell

Im Jahr 2010 hatte die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung beschlossen, die Laufzeiten der damals 17 Atomkraftwerke um Jahrzehnte zu verlängern - ein Schritt, der eine deutliche Senkung der Stromkosten versprach, da die Kraftwerke bis dahin längst abgeschrieben waren und die Kosten vor allem durch den laufenden Betrieb anfielen.

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Der Einstieg in den beschleunigten Ausstieg erfolgte nur ein Jahr später. Nachdem ein Seebeben und ein Tsunami in Japan viele Menschenleben gefordert und das Kernkraftwerk Fukushima zerstört hatten, beschloss die Regierung den beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie.

Für einige Kernkraftwerke sofort, für die anderen gestaffelt bis Ende 2022. Obwohl Tsunamis in Deutschland nicht vorkommen und in Japan kein einziger Mensch durch radioaktive Strahlung ums Leben kam, herrschte hierzulande Panikstimmung - und das vor drei anstehenden Landtagswahlen. Die Bundesregierung handelte entsprechend, und es blieb beim endgültigen Aus für diese CO₂-freie Energieerzeugung. Vor allem die nun mitregierenden Grünen lehnten jede Laufzeitverlängerung ab, bis auf wenige Monate zur Überbrückung nach der Corona-Pandemie bis Frühjahr 2023.

Brisanter Bericht zeigt, dass Grüne Atomkraft weltweit stoppen wollten

In Deutschland solle nie wieder per Atomkraft Energie erzeugt werden, so das Credo. Und am liebsten international ebensowenig, wie gerade die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) enthüllte: In einem vom Umweltbundesamt bestellten Gutachten des Öko-Instituts, so die Zeitung, „stand das Ergebnis schon vorher fest“. Es sollte, wie aus Unterlagen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Atomausstieg hervorgeht, Kernkraft als bedeutungslos für den Klimaschutz entlarven. Mit diesen Erkenntnissen beabsichtigte man, den Weltklimarat zu beeinflussen, der bislang Kernenergie als klimaschonende Technologie anerkennt. Die Grünen in der Bundesregierung, so die „NZZ“, wollten nicht weniger als die Nutzung von Atomkraft auch weltweit stoppen.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass allein die Diskussion der technischen Voraussetzungen für eine Wiederinbetriebnahme oder den Neubau von Kernkraftwerken hierzulande nicht en vogue war. Allerdings erlebt die Energieform weltweit eine Renaissance, rund um Deutschlands Grenzen entstehen neue Kraftwerke, werden neueste Technologien erprobt – vom Minireaktor in der Größe eines herkömmlichen Seecontainers bis zur Forschung an der Kernfusion (im Gegensatz zur Kernspaltung eine Technologie, die keine Radioaktivität freisetzen könnte) entwickelt die Welt sich weiter.

Auch deutsche Wissenschaftler forschen an neuen Nukleartechnologien

Weltweit arbeiten zahlreiche Startups an neuen Konzepten. Führend darunter: Copenhagen Atomics. Das Unternehmen setzt auf Kleinreaktoren, die dezentral Energie liefern können. Vielversprechend, aber dies schon seit Jahren, ist die Kernfusionstechnik – immer wieder werden Fortschritte verkündet, aber der tatsächliche Durchbruch zu ungefährlicher Energieausbeute scheint noch fern. Dennoch  arbeiten auch deutsche Wissenschaftler an solchen Technologien. „Bayern Innovativ“ ist eine der Unternehmungen, die sich hier nicht entmutigen lassen. Und über Kernspaltung hinausdenken.

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„Ich sehe die Zukunft der Energieversorgung in der Kombination aus erneuerbaren Energien und innovativen Technologien wie der Kernfusion. Im Vergleich zur Kernspaltung bietet Fusion erhebliche Vorteile hinsichtlich Sicherheit und Nachhaltigkeit. Ziel muss ein diversifizierter Energiemix sein, der den steigenden Energiebedarf deckt und dabei Klimaneutralität mit Ressourceneffizienz vereint", sagt Rainer Seßner, Chef von Bayern Innovativ. In dem Bundesland setzt vor allem die CSU-Mittelstandsunion auf eine neuerliche Kernkraftnutzung, aber auch Ministerpräsident Markus Söder, der einst zu den entschiedensten „Abschaltern“ gehört hatte, hat seine Meinung um 180 Grad gedreht.

Was für einen Wiedereinstieg nötig wäre

Nach dem Abschalten des letzten Reaktors vor gut eineinhalb Jahren entwickelte sich – je nach Standpunkt – die Befürchtung, oder die Hoffnung, dass Deutschland nun mit der Kerntechnologie nichts mehr zu tun haben werde, und die Forschung abwandern würde. Betrachtet man jedoch die Leistungen an Universitäten und anderen wissenschaftlichen Instituten und bilanziert die technischen Voraussetzungen für einen wie auch immer gearteten Wiederbetrieb von Kernreaktoren, so ist Deutschland bisher jedenfalls nicht ins Hintertreffen geraten. Was wäre nötig für den Wiedereinstieg?

1. Sicherheitscheck der bestehenden Anlagen

Bis zu fünf der seit 2021 abgeschalteten Anlagen könnten wieder in Betrieb genommen werden, darunter Isar 2, Neckarwestheim oder Emsland, so die französische Energiegesellschaft Areva. Notwendig wäre eine umfassende Sicherheitsüberprüfung, gegebenenfalls Modernisierung, und die Neubeschaffung von Brennstoffen (Uran).

2. Brennstoffversorgung hochfahren

Die Beschaffung von Uran für den Betrieb der deutschen Reaktoren sollte theoretisch keine Hürde darstellen. Allerdings setzt dies einiges an Überlegungen voraus, mit welchen Handelspartnern man den deutschen Maßstäben folgend zusammenarbeiten will.

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Nicht alle Erzeuger sind da akzeptabel, bisher kam viel Uran aus Russland. Zur Aufbereitung des Urans wären vorerst ausländische Kapazitäten nötig. Stillgelegte Fertigung in Deutschland zu reaktivieren, kostet Zeit. Logistik und Zwischenlagerung sind weitere Themenfelder, die neu sortiert werden müssten.

3. Die richtigen Leute finden

Das eingespielte Personal der stillgelegten Kraftwerke ist im Ruhestand oder anderweitig beschäftigt. In den Nachbarländern Techniker und Ingenieure zu finden, wäre wohl eine Möglichkeit, den Mangelzustand zu überbrücken. Die Vernetzung jener Wissenschaftler und Forscher, die derzeit an kerntechnischen Themen arbeiten, beispielsweise in Fraunhofer- oder Max-Planck-Instituten, müsste neu aufgesetzt werden, soweit es die Anwendung in neu zu bauenden Kernkraftwerken betrifft.

4. Neue Regeln festlegen

Für den Wiederbetrieb von Kernkraftwerken wären zahlreiche gesetzliche Regelungen erforderlich, darunter zunächst die Rücknahme des gesetzlichen Atomausstiegs. Es folgten Genehmigungsverfahren mit entsprechender Dauer und den zu erwartenden Einsprüchen. Die Zertifizierung der jeweiligen Reaktoren wäre der nächste Schritt und dann natürlich die nach wie vor akute Frage der Endlagerung der radioaktiven Abfälle.

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Ohne eine grundsätzliche Akzeptanz in der Bevölkerung seien all diese Schritte kaum zu realisieren, eine Grundvoraussetzung, so RWE-Chef Markus Krebber. So würde die Wiederinbetriebnahme bestehender Kraftwerke selbst unter idealen Bedingungen etwa drei bis fünf Jahre dauern, schätzen Experten.

Der Einsatz neuer Technologien, wie der erwähnten modularen Reaktoren, dürfte eher einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren in Anspruch nehmen. Am ehesten könnten neue Reaktortechnologien zum Einsatz kommen, bei denen kein oder nur wenig radioaktiver Abfall anfällt. Das ist zwar Zukunftsmusik, aber ähnlich verhält es sich bekanntlich mit der Nutzung von „grünem“ Wasserstoff, dessen Durchbruch schon lange nicht mehr bevorsteht.

Kleine Reaktoren wären wohl der einzige Weg

Angesichts der Schwierigkeiten zweifeln sowohl der Verband der deutschen Energiewirtschaft als auch zum Beispiel das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) an einem Revival der Kernkraft in Deutschland. Der Aufwand wäre zu groß, so das IW, und Strom aus neuerbauten Kernkraftwerken zu teuer. Allenfalls die künftigen kleinen modularen Reaktoren (SMR) seien eine interessante Entwicklung – man bräuchte aber „Hunderte oder Tausende davon“. Vorerst lässt sich schlussfolgern, dass der Bezug von Atomstrom aus den Nachbarländern, etwa Frankreich, sinnvoller ist als erneute Eigenproduktion – und der geschieht ja auch bereits.

Künftig würden, wenn diese Länder bei ihren Plänen bleiben, auch Polen oder Tschechien Kernkraft-Strom exportieren. Derzeit betreiben, so der „World Nuclear Industry Status Report“, zwölf der 27 EU-Staaten Kernkraftwerke Atommeiler, einige von ihnen planen den Ausbau. Weltweit sind 90 Reaktoren im Bau oder in Planung. Allein 40 in China. Der deutsche Weg ist nirgendwo, so scheint es, wegweisend. Und sollten deutsche Regierungsbehörden Überzeugungsarbeit gegen Atomkraft unternommen haben, so hat sie jedenfalls nicht gefruchtet.