Fahrbericht Ferrari 12Cilindri - Gegen den neuen Ferrari mit 12-Zylinder wird jedes E-Auto zum emotionslosen Klotz
Schon beim Purosangue scherte sich Ferrari herzlich wenig um das Thema Elektrifizierung und spendierte seinem Power-SUV einen grandiosen Zwölfzylinder-Sauger. Beim neuen Luxuscoupé sieht das nicht anders aus. FOCUS online testet den neuen Renner aus Maranello.
Man muss sich schon sehr viel Mühe geben, um im neuen Ferrari 12Cilindri nicht nennenswerte optische Anleihen an historische Ferrari-Modelle und speziell den schwarzen 365 GTS 4 Daytona Spyder zu sehen, mit dessen Replika Don Johnson alias Sonny Crocket in die ersten beiden Staffeln der 1980er-Jahre Krimiserie Miami Vice durch die Straßen der Florida-Metropole donnerte. Jetzt gibt es eine Neuauflage – offen und geschlossen – und bei dem prächtigen Doppelsitzer, mittlerweile auf 4,73 Meter gewachsen, schnalzen nicht allein ausgemachte Ferrari-Fans mit der Zunge.
Ferrari 12Cilindri erinnert an „Miami Vice“-Flitzer
Denn gerade seine Proportionen mit einer wahnwitzig langen Motorhaube und der weit nach hinten gesetzten Fahrgastzelle sind eine echte Schau. Dazu die düstere Scheinwerfermaske.
Das Heck ist gerade oberhalb der schmalen LED-Lichtschlitze nicht derart einfach gezeichnet und speziell die Konstruktion der elektrisch öffnen Kofferraumklappe nebst benachbarter Spoilerzähnen, die sich bei Bedarf über den Rückleuchten entfalten, ist ungewöhnlich und nicht so filigran, wie man sonst von Ferrari kennt.
Für einen Ferrari ist das Design ungewöhnlich
Innen präsentiert sich der edle Luxus dagegen im gewohnten Maranello-Look. Zwei edle Sportstühle aus handschuhweichem Leder und eine Symbiose aus Karbon und Alcantara, wohin man auch blickt.
Zudem gibt es drei Displays für Fahrer, Beifahrer und eine zentrale Bedieneinheit in der Mitte. Unverändert verzichtet Ferrari im Unterschied zu manchem Wettbewerber auf ein sinnvolles Head-Up-Display, das die wichtigsten Informationen ins Blickfeld des Fahrers projiziert. Nicht überzeugen kann das Lenkrad, das zwar gut in der Hand liegt und die Drehbefehle des Fahrers nahezu perfekt an die Vorderräder weitergibt, jedoch in Sachen Touchbedienung weit hinter der Konkurrenz herfährt.
Drei Displays im Cockpit, eins für den Co-Piloten
Das gilt nicht beim Antrieb, denn hier lässt der Autobauer aus Maranello die Fans klassischer Motorentechnik aufjubeln. Keine Hybridisierung, kein Kurzzeit-Boost, kein 48-Volt-Bordnetz und nicht einmal eine Turboaufladung, sondern pure Saugerpower, die einen nicht nur akustisch, sondern insbesondere in ihrer direkten Rückmeldung in allen Fahrprogrammen begeistert.
Während nahezu alle Marken ihre Brennräume reduzieren, bleibt Ferrari bei einem Giganto-Hubraum von 6,5 Litern, der sich auf das filigrane Dutzend Brennkammern aufteilt. Das F140-HD-Triebwerk leistet 611 kW / 830 PS und liegt damit nochmals über allem, was in Maranello bisher aus einem Serienmotor herausgekitzelt wurde.
Zwölfzylinder-Benziner mit 830 Pferden
Der Sauger dreht auf besonderen Wunsch des Piloten und mit den üblichen Warnleuchten auf der Oberseite des Lenkrades bis zu 9500 Touren und bietet sein maximales Drehmoment von heutzutage alles andere als imposanten 678 Nm bei 7250 U/min. Wie imposant diese knapp 700 Nm im Vergleich zu anderen Turbopower- oder Elektroautos dann doch ist, zeigt der Selbstversuch, der einen wild und schamlos in das Ledergestühl presst.
So fährt sich der Ferrari 12Cilindri
Der Schub, den der V12-Sauger bietet, ist gewaltig und nicht allein bei welliger Fahrbahn würde dem knapp 1,7 Tonnen schweren Norditaliener ein feinfühliger Allradantrieb gut zu Gesicht stehen. Denn wird es uneben oder die Kurvenradien zu eng, muss am Heck eifrig heruntergeregelt werden, damit das achtstufige Doppelkupplungsgetriebe überhaupt eine Chance hat, diese Leistung artgerecht in Vortrieb zu verwandeln.
Eine Pferdestärke hat es umgerechnet nicht einmal mit zwei Kilogramm an Fahrzeuggewicht zu tun. Der nach hinten positionierte Motor sorgt nicht nur für eine endlos lange Haube, sondern auch dafür, dass die Gewichtsverteilung bei 48:52 Prozent zugunsten der Hinterachse liegt und die Lenkung in ihrer Direktheit mehr als bei jedem anderen Gran Turismo beeindruckt.
Ein PS pro 2 Kilogramm Auto
Ein perfektes Gefährt für die Wochenendtour zu zweit in die norditalienischen Berge zum Comer See oder Lago di Garda, weil durch den 270 Liter großen Laderaum und die Ablagefläche hinter den Sitzen auch Kelly Bag und Rimowa-Kofferset in der Moncler-Edition nicht zu Hause bleiben müssen.
Dass der 12Cilindri aus dem Stand in 2,9 Sekunden auf Tempo oder in unter acht Sekunden auf Tempo 200 stürmt und bei leerer Piste die 350-km/h-Marke anpeilen kann, ist eher etwas für die abendliche Prahlerei bei Freunden und Bekannten, die unterstützend nicken, wenn derlei Bestwerte die Runde machen. Doch es sind nicht die Fahrleistungen des Ferrari oder ein Normverbrauch von locker über 20 Litern bei normalem Fahrbetrieb, die begeistern, sondern die Fahrbarkeit, die auch dieser Ferrari wieder einmal bietet. Trotz eines Preises von 382.000 Euro, der einem genauso die Sinne raubt wie Beschleunigung oder Kurvenverhalten.
Noch mehr heiße Sportwagen im Fahrbericht:
Lamborghini Revuelto - Wenn im 1000 PS-Lambo die Windschutzscheibe plötzlich links von dir ist
Porsche 718 Spyder RS - Porsches emotionales Gegengift zum Elektro-Trend wirkt sofort
Ferrari Purosangue - So fährt sich der Ferrari, den es eigentlich nie geben sollte
Brabus 820 Porsche 911 Turbo S Cabrio - Hypercar-Wolf im Schafspelz