Fake News und Debatte um Gesetz - Krawalle in England: Wie aus Axel Ali wurde und das Chaos begann

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In London eskalierten Proteste von Ultranationalisten.Jordan Pettitt/PA Wire/dpa

Nach der tödlichen Attacke eines 17-Jährigen auf die Teilnehmerinnen eines Kindertanzkurses in Southport brodelt es in Großbritannien weiter. Wie es zu den Ausschreitungen kam - und warum jetzt ein umstrittenes Gesetz neu diskutiert wird.

In Großbritannien genießen Tatverdächtige unter 18 Jahren Anonymität, um ihre Privatsphäre und ihre Familien zu schützen. Die britischen Medien sind daher verpflichtet, die Namen von Minderjährigen in Strafverfahren nicht zu veröffentlichen.

Doch nach der tödlichen Messerattacke in Southport am 29. Juli und den daraufhin rasant verbreiteten Fake News in den sozialen Medien wird diese Regelung nun infrage gestellt.

Wirbel und Fake News nach Messerattacke in Southport

Hintergrund: Nur wenige Stunden nach dem Angriff wurde der Täter (inzwischen bekannt als Axel Muganwa Rudakubana) fälschlicherweise als ein muslimischer Einwanderer namens Ali Al-Shakati identifiziert. Dabei hatte das britische Nachrichtenportal „The Independent“ kurz nach dem Attentat korrekterweise berichtet, dass der Täter tatsächlich aus einer christlichen Familie stammt, die regelmäßig die Kirche besucht. Doch es war schon zu spät.

Die ersten Fake-Beiträge wurden von X-Accounts mit zum Teil mehr als 40.000 Followern sowie vom islam- und einwanderungsfeindliche Account „Europe Invasion“ abgesetzt. Allein dieser Beitrag erreichte mehr als sechs Millionen Aufrufe.

Richter veröffentlicht wegen „idiotischer Proteste“ Namen des Täters

Die Flut von Falschmeldungen feuerte schnell rechtsextreme Demonstranten in Southport an. Am Dienstagabend griff die Polizei ein, als ein Mob eine Moschee attackierte. Am darauffolgenden Donnerstag entschied Richter Andrew Menary, den Namen des Verdächtigen aufgrund der Schwere des Verbrechens und seines bevorstehenden 18. Geburtstags zu veröffentlichen. Er wolle damit, den „idiotischen Protesten“ entgegenwirken, zitiert das britische Nachrichtenportal „The Guardian” den Richter.

Trotz der Namensnennung gingen die islam- und einwanderungsfeindlichen Ausschreitungen weiter. Am Samstag kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen in mehreren britischen Städten, darunter London, Hull und Nottingham. Auch in Liverpool wurden Polizeifahrzeuge beschädigt, als Demonstranten Steine warfen und „Stoppt die Boote“ riefen.

Internet schneller als Medien - Millionen Aufrufe für Fake News

Britische Journalisten und Medienexperten fordern nun dringend eine Gesetzesreform. Ihr Argument: Fehlinformationen verbreiten sich in den sozialen Medien schneller, als die britische Presse für korrekte Berichterstattung sorgen kann. So argumentiert jedenfalls die Medienrechtsexpertin Ursula Smartt von der Northeastern University .

Smartt warnt davor, dass die britischen Gesetze „veraltet sind und der internationalen Berichterstattung im Internet nicht mehr gerecht werden“. Der Schutz jugendlicher Straftäter und ihrer Familien sei wichtig, werde aber „durch die blitzschnelle Verbreitung von Informationen in den sozialen Medien untergraben”.

Der britische Journalist Marc Owen Jones betont im „Independent" , dass rechtsextreme Influencer durch die verzögerte Berichterstattung der Medien die Möglichkeit bekommen, gezielt Falschinformationen zu verbreiten, um ihre rechtsextreme Agenda voranzutreiben.

Jones spricht von über 27 Millionen Aufrufen von Social-Media-Beiträgen, die spekulierten, der Täter sei ein Muslim, Migrant, Flüchtling oder Ausländer gewesen. „Während Fehlinformationen nach tragischen Ereignissen üblich sind, nutzen rechtsextreme Influencer solche Ereignisse, um trotz fehlender Beweise ihre anti-migrantische und fremdenfeindliche Agenda voranzutreiben”, betont Jones.

Ausschreitungen jetzt auch von muslimischer Seite

Zu den Verbreitern dieser Fehlinformationen gehörte auch der umstrittene Influencer Andrew Tate, der den Täter als „illegalen Migranten“ bezeichnete und die Menschen aufrief, „aufzuwachen“. Zudem kritisierte Darren Grimes von „GB News“ am Tag des Angriffs Abgeordnete, die sich für die Aufnahme von „mehr Flüchtlingen“ aussprechen.

Nun bahnen sich auch von muslimischer Seite gewalttätige Ausschreitungen an. Am gestrigen Montag griff eine Gruppe von Muslimen laut dem britischen Nachrichtensender „BBC“ Pubs und Fahrzeuge in Birmingham an.

Bisher durfte die britische Presse nur in Ausnahmefällen die Namen von Straftätern vor ihrer Verurteilung veröffentlichen. Ob die Gesetze nach dem Vorfall in Southport und momentanen Krawallen geändert werden, bleibt abzuwarten. Laut „CNN” werden für diese Woche weitere Ausschreitungen in England erwartet.