Fallende Umfragewerte und ein Rat - Forsa-Chef über die Merz-Krise: Der AfD Stimmen abzugraben, ist illusorisch
Friedrich Merz bleibt in der entscheidenden Phase seines politischen Lebens weitgehend unsichtbar, während sich seine Konkurrenten geschickt in Szene setzen. Derweil sinken die Umfragewerte der Union weiter. Forsa-Chef Manfred Güllner erklärt, woran das liegt und was Merz jetzt tun sollte.
Die Union scheint ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zu „verstecken“, bemerkte zuletzt SPD-Chef Lars Klingbeil. Seine spöttische Vermutung: Die Union befürchte, dass die Menschen Merz sonst tatsächlich näher kennenlernen.
Tatsächlich dürfte sich manch einer dieser Tage fragen: Wo ist er eigentlich im Moment und was macht er gerade? Merz scheint bislang in der wohl wichtigsten Phase seiner politischen Karriere weitgehend unsichtbar. Anders als seine Gegenkandidaten , die sich an Denkmäler projizieren (Robert Habeck, die Grünen), sich mit Tech-Milliardären aus den USA – weltweit sichtbar – zum digitalen Small-Talk treffen (Alice Weidel, AfD), oder sich als Friedenskanzler inszenieren (Olaf Scholz, SPD).
Ein Monat vor Bundestagswahl: Fallende Umfragewerte für die Union
Die (Un-)Sichtbarkeit von Merz im Bundestagswahlkampf spiegelt sich in den Umfragewerten seiner Partei wider. Im neuesten Insa-Sonntagstrend rutscht die CDU/CSU weiter ab und erreicht für die Bundestagswahl lediglich 29 Prozent. Unter 30 Prozent - das ist ein herber Rückschlag für Merz.
Unter diese scheinbar magische Grenze fiel die Union seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr. Vor einigen Monaten lag die Union noch bei 33 Prozent, hat jedoch innerhalb weniger Monate insgesamt vier Prozentpunkte verloren. Laut aktuellen Umfragen würde es derzeit nicht einmal für eine Große Koalition zwischen Union und SPD ausreichen.
Den ganz tiefen Fall sieht Forsa-Chef Manfred Güllner jedoch nicht kommen, unter Umständen allerdings auch nicht mehr den großen Sprung nach oben.
„Wir wissen aus den Erfahrungen der letzten Wahlen, dass es für die Union und Merz vielleicht noch ein bisschen nach unten gehen kann. Aber so drastisch wie 2005, als die Umfragewerte von über 40 Prozent auf 35 Prozent fielen, dürfte es keinesfalls werden“, sagt der Meinungsforscher zu FOCUS online.
Forsa-Chef Güllner: Der AfD Stimmen abzugraben, ist illusorisch
Die Lage sehe aktuell eher so aus, dass die Union ihre Wähler schon hinter sich versammelt habe und ihr um die 30 Prozent sicher sein dürften. Der AfD noch Stimmen abzugraben, halte Güllner für illusorisch.
„Wenn die Union vor allem Themen in den Vordergrund stellt, die eigentlich AfD-Themen sind, nutzt das immer dem Original.“ Ein Beispiel: „Wenn die Union sich zu stark mit Migration beschäftigen würde, würde das der AfD zugutekommen und der Partei wenig bringen.“
Güllner ist sicher: „Von der AfD ist für die Union nicht viel zu gewinnen“. Merz müsse eher schauen, ob noch irgendwo aus dem Lager der Unentschlossenen der eine oder andere zur Union komme. „Da sehe ich größere Chancen.“
Denn die Zahl derer, die nicht wissen, wen sie am 23. Februar wählen sollen, steigt, je näher der Wahltermin rückt. 33 Prozent der Wahlberechtigten, die sich selbst der politischen Mitte zuordnen, erklärten laut Forsa-Umfrage, dass sie entweder definitiv nicht oder möglicherweise nicht wählen werden.
„Das politische Spitzenpersonal überzeugt sie nicht“
Der Hauptgrund sei laut dem Forsa-Chef: „Das politische Spitzenpersonal überzeugt sie nicht.“
Merz selbst kann offenbar in der Gruppe der Unentschlossenen nicht punkten. Und das, obwohl er gegen die Ex-Spitzen einer vorzeitig gescheiterten Regierung und eine Populistin antritt. Das bestätigt ein Blick auf den direkten Vergleich der Kandidaten: Der CDU-Chef läge laut Insa-Umfrage bei einer Direkt-Kanzlerwahl nur noch knapp vor Weidel, der Chefin einer Rechtsaußen-Partei.
Friedrich Merz (CDU) 23 Prozent (+2)
Alice Weidel (AfD) 22 Prozent (+1)
Olaf Scholz (SPD) 16 Prozent (+2)
Robert Habeck (Grüne) 15 Prozent (+1)
Merz fehlt es derzeit zudem an einem von ihm getriebenen Thema. Seine Konkurrenz ist da schon viel weiter: So hat etwa Robert Habeck mit seinem Vorstoß, dass Sparer auch auf ihre Kapitalerträge Sozialabgaben zahlen sollen, für Aufsehen gesorgt und das Rampenlicht damit auf sich gezogen.
Olaf Scholz wirbt permanent damit, der einzig „Besonnene“ zu sein. Nur mit ihm könne es weiter Unterstützung für die Ukraine im Krieg gegen Russland geben, ohne die Lage eskalieren zu lassen.
Und Alice Weidel fährt den harten Anti-Kurs. Thema Nummer eins: Migration.
„Merz kann nicht als Zugpferd für seine Partei dienen“
Güllner aber rät, abzuwarten, wie sich die Zahlen entwickeln und betont: „Bei allen seriösen Instituten rangiert Frau Weidel im Politiker-Ranking immer auf den unteren Plätzen.“
Daran werde sich dem Meinungsforscher zufolge auch kaum etwas ändern. Auch nicht nur durch die mediale Resonanz, die sie aktuell durch die Zusammenarbeit mit US-Milliardär Elon Musk habe. „Ich könnte mir sogar vorstellen, dass man jetzt noch genauer hinschaut und nicht nur sympathische Züge an ihr entdeckt“, so Güllner.
Und Merz? „Er genießt seit langem keine besondere Popularität und kann insofern auch nicht als Zugpferd für seine Partei dienen.“
Bei seiner früheren politischen Tätigkeit konkurrierte er stets mit Möllemann (Anm. d. Red.: Jürgen W. Möllemann, ehemaliger FDP-Landesvorsitzender NRW) um den letzten Platz im Politikerranking, sagt Güllner.
„Bei bestimmten Wählergruppen – vor allem bei jungen Frauen und jüngeren Wählern sowie in Ostdeutschland – ist er auch heute nicht sehr beliebt.“ Das liege an seiner Person. Und diese Vorbehalte gegen seine Person seien auch ein Grund dafür, dass viele nicht glauben, dass er es viel besser machen würde als der amtierende Bundeskanzler.
Union setzt auf viele Themen im Wahlkampf – auf zu viele
Das Paradoxe an Merz´ Situation: Die Union steht eigentlich für die Themen, die die Menschen in Deutschland aktuell bewegen. Keines davon ist „die überbordende europäische Bürokratie in den Griff bekommen und substanziell zurückbauen“, über die Merz in seinem Newsletter am Sonntag schrieb. Die EU, Energie oder Bürokratie sind aktuell nicht die treibenden Wahlkampf-Themen.
Laut Umfragen sehen 37 Prozent der Bevölkerung Zuwanderung und Flucht als eines der beiden drängendsten politischen Probleme an, die es zu lösen gilt. Fast gleichauf liegt die Wirtschaft mit 34 Prozent. Mit deutlichem Abstand folgen Themen wie Krieg und Frieden (14 Prozent), Umwelt- und Klimafragen (13 Prozent) sowie soziale Ungerechtigkeit (11 Prozent).
Die politische Agenda wird derzeit also am stärksten von Bereichen geprägt, in denen die Deutschen traditionell CDU/CSU die höchste Kompetenz zuschreiben: Migration und Wirtschaft. Die aktuellen Chancen von CDU und CSU, noch als stärkste Kraft aus der Wahl hervorzugehen, beruhen demnach eher weniger auf Merz als auf einer Themenlage, die der Union noch zugutekommt. Merz kann sich diese eigentlich vorteilhafte Situation jedoch nicht zu Nutze machen.
„Migration ist kein Thema, mit dem man Wahlen gewinnen kann“
Ein Grund dafür: „Migration ist kein Thema, mit dem man Wahlen gewinnen kann“, erklärt Güllner. „Die Menschen wissen, dass Zuwanderer gebraucht werden, auch wenn es durchaus Vorbehalte gegen Ausländer gibt.“
Deshalb könne das Thema eigentlich nur einer rechtsradikalen Partei wie der AfD nutzen. Das Wirtschaftsthema sei etwas anderes. „Unsere Zahlen zeigen, dass die ökonomische Lage das dominierende Thema ist.“
Preissteigerungen im Alltag, unsicher werdende Arbeitsplätze, Strukturschwächen und die hohen Energiekosten seien Güllner zufolge die größten Sorgen der Menschen. „Und hier könnte Merz tatsächlich punkten.“
„Merz sollte auf das Thema Wirtschaft setzen“
Die CDU-Parteizentrale jedenfalls wird dieser Tage nicht müde anzumerken, dass Merz rund 80 Wahlkampftermine wahrnimmt. Sichtbarkeit von ihren Kanzlerkandidaten muss her.
Auf welches Thema Merz dabei verstärkt setzen sollte, macht Güllner deutlich: „Er sollte auf das Thema Wirtschaft setzen und klarmachen, dass die Union hier die größere Kompetenz hat als die SPD.“
Das mobilisiere die Wähler der CDU und CSU am meisten. „Weitere Experimente und neue Themen bringen nichts.“ Die deutsche Wirtschaft könne das Thema sein, auf das sich die Union konzentrieren sollte.