Falsche-Polizisten-Banden - „Ficke deutschen Staat täglich“: Clan-Täter scheffeln Millionen und lachen sich schlapp
Mitglieder kurdisch-libanesischer Clans haben sich auf eine üble Betrugsmasche spezialisiert: Sie geben sich am Telefon als Polizisten aus, überrumpeln vorwiegend Rentner und zocken bei ihren Opfern Millionen ab. FOCUS online über die schmutzigen Clan-Geschäfte.
Der Anrufer nannte sich Matthias Brinkmann. Er gab sich aus als „Polizeibeamter des Kriminaldauerdienstes im Polizeipräsidium Köln". Die Stimme wirkte hektisch. So aufgeregt, dass Gesprächspartner Markus M., 87, (Name geändert) aus Köln-Lindenthal an jenem Vormittag im März 2020 nervös wurde. Zumal der Anrufer schlechte Nachrichten überbrachte.
Die Polizei habe zwei Mitglieder einer Diebesbande erwischt, so Brinkmann. Sie hätten einen Zettel dabeigehabt. Darauf sei der Name des Rentners vermerkt nebst einem Hinweis, dass er Goldbarren besitze. Bereitwillig berichtete Markus M., dass er 48 Goldbarren und 153 Goldmünzen im geschätzten Wert von 420.000 Euro zu Hause horte.
Der angebliche Polizist Brinkmann erklärte dem Besitzer, dass er einen Kollegen vorbeischicken werde, um das Gold zwecks Beweissicherung zu fotografieren. Vertrauensselig lief der Pensionär in den Keller und packte die Wertsachen in einen Beutel.
Eine halbe Stunde später klingelte es an der Haustür. Vorsichtig öffnete Markus M. einen Spalt und lugte hinaus. Vor ihm stand ein Mann, der sich als jener Polizeibeamter ausgab, der das Edelmetall ablichten sollte. Als der Hausherr die Tür weiter aufmachte, ergriff der Besucher den Beutel und verschwand.
Über Callcenter im türkischen Izmir: Clan-Täter zocken ab
Markus M. war Opfer einer Betrugs-Mafia geworden, die mit der Masche „Falsche Polizisten“ bundesweit vermögende alte Menschen allein zwischen 2018 und 2022 um 120 Millionen Euro neppte. So steht es in Ermittlungsberichten, die FOCUS online einsehen konnte. Demnach lag der großangelegte Schwindel in der Hand dreier kurdisch-libanesischer Clans .
Laut Staatsanwaltschaft Bochum machten die Betrüger der Saado/Demir-Großfamilie und der Miri-Sippe über mehrere Callcenter im türkischen Izmir alten Leuten hierzulande weis, dass ihr Schmuck oder das private Gelddepot in Gefahr sei. Dabei setzten telefonische „Anreißer“ (auch „Keiler“ genannt) den Senioren derart zu, dass die Opfer freiwillig den „Abholern“ der Betrüger-Gangs ihre Vermögenswerte überreichten.
So geschehen auch in der Kölner Nordstadt im Februar 2020: Ein vermeintlicher Einsatzleiter „Martin Schmerz“ erzählte einem 86-jährigen Senior, dass es Hinweise auf einen korrupten Angestellten seiner Bank gebe. Das Geld sei bei dem Bankinstitut nicht mehr sicher.
Alarmiert von der Meldung, hob der alte Mann auf Anweisung des angeblichen Einsatzleiters 30.000 Euro von seinem Konto ab. Er deponierte den Betrag in einem Beutel unter einem roten Auto, den ein Abholer vor seiner Wohnadresse geparkt hatte. Und schon war das Geld weg.
Die Betrugsmasche trug den Clans mehr ein als der Drogenhandel: 40.000 Euro in Iserlohn, 200.000 in Dortmund, 200.000 in Castrop-Rauxel, 50.000 in Nürnberg und so weiter. Bald gerieten die Betrüger ins Blickfeld von Polizei und Justiz. So hörten die Ermittler mit, als in verwanzten Abholer-Fahrzeugen von „40 Scheinen“ oder von vier Kilo Silber und 50 Goldmünzen die Rede war.
Die Beute wanderte in NRW weiter zur nächsten Ebene in der Schwindler-Hierarchie: den Logistikern. Diese Gauner lenkten die illegalen Gewinne per Hawala-Banking weiter an die Drahtzieher in der Türkei. Ein uraltes orientalisches Geldtransfersystem, das auch illegale Finanzströme verschleiert.
Hawala-Banking: Illegale Geldströme werden verschleiert
Das Prinzip ist simpel: Die Kunden der Geldschieber zahlen Bargeld in Zahlungsbüros ein. Nur wenige Minuten, nachdem die Geldgeber die Scheine in Deutschland auf den Tresen gelegt haben, händigen Geschäftspartner denselben Betrag in bar an die Empfänger in Istanbul oder Aleppo aus.
Später gleichen die Zahlstationen in Deutschland die Geldsummen wieder über Kuriere aus. Auf diese Weise hinterlässt der Finanzfluss keine Spuren.
Da die Banken-Aufsicht BaFin diese gewerbsmäßigen Transfers nicht genehmigt hat, sind sie illegal. Längst nutzen etwa Drogen-Banden oder islamistische Terror-Gruppen das Hawala-System, um die illegalen Geldströme an den deutschen Behörden vorbeizuschleusen.
„Seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 aus den Krisenregionen Syrien und dem Irak hat das Phänomen stark zugenommen“, berichtet Oliver Huth, NRW-Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. „Inzwischen verschleiern etwa auch italienische Mafia-Organisationen wie die kalabrische N’drangheta mittels Hawala-Bankern die Herkunft ihrer Drogeneinnahmen.“
Bei den Finanzschiebereien kommen erneut kurdisch-libanesische Clans ins Spiel. Die Geldwäsche für die Falsche-Polizisten-Banden in der Türkei soll eine Sippe aus dem berühmt-berüchtigten Omeirat-Familiensyndikat übernommen haben. Der Clan steht im aktuellen Lagebild des Landeskriminalamts (LKA) NRW auf Platz 1 der gut 100 registrierten kriminellen Großfamilien an Rhein und Ruhr.
In Goldschmuckgeschäften in Castrop-Rauxel, Wuppertal und Köln wurde die Beute gezählt, gewogen und der Wert taxiert. Nach Abzug einer Provision brachten Kuriere das Bargeld zu den Bossen in die Türkei oder ins syrische Aleppo.
Ähnlich lief es auch mit den erschwindelten Schmuckstücken nebst Gold und Silber. Die Edelmetalle wurden meist eingeschmolzen und als sauber deklarierte Ware an den Bosporus geliefert.
Clan-Gangster: „Ich ficke den deutschen Staat täglich“
Als Cheflogistiker und Schlüsselfigur der Hawala-Geldwäscher machte die Staatsanwaltschaft Bochum Hussein Sobhi O., alias Abu Amer, aus. Der 61-jährige Deutsch-Libanese soll die Geldströme an die Betrüger-Clans in der Türkei gesteuert haben.
Offenbar machte sich Abu Amer in der türkisch-arabischen Unterwelt in NRW einen Namen als Geldwäschedienstleister. So soll er den Ermittlungen zufolge auch hohe Geldbeträge eines syrischen Finanzschieberkartells über seine Hawala-Connection in die Türkei und den Nahen Osten geschleust haben.
Kurz vor einer Razzia Ende Juli 2020 gegen seine Gruppierung tauchte Abu Amer in die Türkei ab. Seither sucht ihn die Bochumer Justiz mit internationalem Haftbefehl. Sein Verteidiger Burkhard Benecken wollte sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern.
Im März 2021 wurden etliche Komplizen aus der Familie des Gesuchten verurteilt. So kassierte Abu Amers Onkel sechs Jahre Gefängnis wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs.
Auch wenn der Neffe sich noch auf der Flucht befindet, birgt doch der Fall ein Happy End. Im September 2022 schickte ein türkisches Strafgericht die Hintermänner der Betrüger-Clans „Falsche Polizisten“ in Haft. So kassierte Halit Demir, auch „Papa Kralle“ genannt, eine Haftstrafe von 189 Jahren.
Einst aus dem Sauerland in seine türkische Heimat abgeschoben, gerierte sich der Boss aus der Saado-Großfamilie zeitweilig auf Selfie-Videos als Supergangster. „Ich ficke den deutschen Staat täglich“, prahlte der bärtige Demir. Mitunter posierte der Gangster auch gerne auf einem thronähnlichen vergoldeten Stuhl inmitten seiner Vertrauten.
Weitere Clips zeigen „Papa Kralle“ mit zwei großen Euro-Bündeln auf dem Tisch.
Lachend prahlte der Boss in einem Post: „Ich mache im Monat 250.000 Euro durch meine Betrugsmasche.“ Zugleich tönte der Schwindler, dass er trotz internationalen Haftbefehls sicher in Izmir sitze, weil die Türkei Kriminelle nicht an Deutschland ausliefere. Da hatte er recht. Jetzt sitzt „Papa Kralle“ in einem türkischen Knast.
LKA: Betrugsmasche für Täter weiterhin sehr attraktiv
Längst aber füllen andere Gangster meist über türkische Call-Center die Lücken, die durch die inhaftierte Clan-Garde hinterlassen wurde. Eine LKA-Sprecherin in Düsseldorf teilte auf FOCUS-online-Anfrage mit, dass der Modus Operandi „falsche Amtsträger“ sich unter Kriminellen weiterhin „großer Beliebtheit erfreut“.
Allein 2023 beziffert das LKA die Abzocke deutscher Senioren aus dem Ausland auf 8373 Fälle mit einer Schadenssumme von gut 1,1 Millionen Euro, dazu addieren sich weitere 8331 Versuche. Die Aufklärungsquote liegt bei 0,4 Prozent.
Die Betrugsfallrate, die von Deutschland aus verübt wurde, liegt bei 450 vollendeten Fällen. Die Höhe der Beute betrug mehr als 10,5 Millionen Euro. Im Inland wurde fast jede dritte Tat geklärt.
Die LKA-Sprecherin zog ein eher düsteres Fazit: „Insbesondere vor dem Hintergrund der erbeuteten Schadenssummen im Millionenbereich steht nicht zu erwarten, dass das Phänomen in nächster Zukunft eine geringere Relevanz entfaltet.“