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Als Familie minimalistisch leben? So funktioniert das

Wird aus einem Paar eine kleine Familie, ändert sich oft das ganze Leben. Das Prinzip des Minimalismus, das derzeit in aller Munde ist, kann dem Familienleben die nötige Portion Einfachheit und Ausgeglichenheit verschaffen. Unter dem Motto "Zuwendung und Zeit statt zu viel Zeug" haben zwei Expertinnen auf dem Gebiet Minimalismus einen Guide speziell für den Alltag mit Kindern geschrieben. In "Einfach Familie leben" (Knesebeck Verlag, 220 Seiten, 25 Euro) verraten die Autorinnen Susanne Mierau und Milena Glimbovski ihre Tipps und Kniffe rund um die Themen Pädagogik, Wohnen, Kleidung, Ernährung, Pflege, Lifestyle und Mobilität im Familienalltag.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklären die beiden Frauen, warum Minimalismus nicht nur Ausmisten bedeutet und wie man bereits Kinder an einen nachhaltigen und achtsamen Lebensstil heranführen kann.

Was spricht dafür, sich als Familie für einen minimalistischen Lebensstil zu entscheiden?

Susanne: Ein minimalistischer Lebensstil vereinfacht unseren Alltag: Wir haben weniger Stress dadurch, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. Das verbessert das Familienklima und das Zusammensein mit den Kindern, denn insbesondere Stress führt oft zu negativem Erziehungsverhalten: Wir schimpfen mehr und sind unausgeglichen. Minimalismus kann das verändern.

Milena: Minimalismus bedeutet weniger Dinge und weniger Konsum. Weniger Dinge sind weniger belastend, weil man sich nicht drum kümmern muss. Konsumieren ist kein Hobby mehr, wie es früher einmal bei mir war. Das alles führt dazu, dass ich trotz stressigem Arbeitstag mehr Ruhe für mich finde mit meiner kleinen Familie.

In Ihrem Buch steht der schöne Satz "Minimalismus in der Familie ist keine Entscheidung, die du alleine fällst". Wie geht man dieses Projekt am besten an?

Susanne: In Bezug auf die Kinder geht es in erster Linie darum, als Vorbild voranzugehen, bevor einfach das Kinderzimmer entrümpelt wird. In Bezug auf Partner oder Partnerin geht es darum, dass man sich zusammen hinsetzt und darüber spricht, was den Alltag belastet, wo man sich Entlastung wünscht und wie das umgesetzt werden kann. Das Schöne ist also: Wenn eine Familie einen minimalistischen Lebensstil in Angriff nehmen möchte, dann geht es erst einmal um ganz viel Reflexion, um Gespräche über Bedürfnisse und Wünsche.

Welche Punkte sollte man gemeinsam abklären?

Susanne: Wo angefangen wird und wo Partner oder Partnerin mitgehen kann, aber wo auch persönliche Grenzen sind. Vielleicht fällt es einer Person sehr leicht, sich von unnötigen Staubfängern zu trennen, die andere verbindet aber mit dem Sammeln dieser Sachen bestimmte Erinnerungen oder Werte.

Milena: Was auch funktioniert: dem oder der Partner*in zu helfen, zu reflektieren. Nachzuhaken. Warum ist dir das wirklich wichtig? Wie eine kleine Therapie-Sitzung und manchmal hilft schon das Gespräch. Das Ergebnis ist immer: entweder das Gegenüber kann loslassen oder man selbst versteht das Gegenüber besser. So oder so ein Gewinn.

Welche Fragen, die man sich als Familie stellen sollte, erachten Sie als besonders wichtig?

Susanne: Was tut uns wirklich gut und was belastet unseren Familienalltag? Welche Dinge brauchen wir wirklich und welche bringen uns eigentlich gar keine Vorteile oder erschweren vielleicht sogar noch den Alltag durch Aufräumstress?

Milena: Vor allem wenn man etwas Gebrauchtes oder Neues kaufen möchte, fragen wir uns, warum glauben wir, dass wir es brauchen? Macht uns das glücklicher? Hilft es uns langfristig einen erfüllteren Alltag zu haben oder ein Ziel zu erreichen?

Wie führt man Kinder und Jugendliche am besten an das Thema Minimalismus heran?

Susanne: Indem man einfach Vorbild ist und Kinder respektvoll in Entscheidungen einbezieht. Wir können mit Kindern einkaufen gehen und thematisieren, was wir kaufen und was nicht und warum. In der Gemüseabteilung können wir sagen: "Schau mal, so ein Unsinn, die Sachen sind extra in Plastik verpackt. Das macht Müll, wir nehmen die Gurke ohne Plastik." Oder wir können ein Spiel mit den Kindern machen: Gemeinsam suchen, welche Sachen unverpackt gekauft werden können - da gibt es den Kiosk, bei dem es Gummibärchen frei gibt, den türkischen Laden mit Nüssen...

Gerade wenn man mehrere Kinder hat oder noch weiteren Nachwuchs plant, neigt man dazu, Kinderklamotten, Spielzeug etc. aufzuheben. Wie bleibt man da minimalistisch?

Susanne: Kinderkleidung ist oft länger haltbar, als wir denken. Wir können Sachen, die wir für weitere Kinder aufheben wollen, beispielsweise vakuumieren und so aufbewahren - die Sachen, die wirklich gut waren: bequeme Teile, Lieblingsteile. Andere Sachen können wir auf dem Flohmarkt verkaufen. Gerade wenn man mehrere Kinder bekommt, entwickelt sich ein Blick für die Dinge, die wirklich sinnvoll sind für den Alltag und was zwar hübsch anzusehen, aber unpraktisch ist.

Milena: An der Frage bin ich auch gerade dran. Denn mein Baby wächst in Windeseile aus allem heraus und ich will mir nun doch die Option für Baby Nummer zwei in weiter Ferne offenhalten. Trotzdem behalte ich nur die Lieblingsstücke. Denn man braucht so viel weniger, als man kauft und geschenkt kriegt. Am Ende trägt das Baby doch nur die paar gleichen Lieblingsteile, die Bodys aus Wolle und Seide, die selbstgestrickten Pullis von Oma, die mitwachsende Hose, das bleibt. Alles andere wird weiterverschenkt oder verkauft.

Ein Kapitel behandelt den Punkt Pädagogik. Wie lassen sich die Prinzipien des Minimalismus kurz zusammengefasst auf die Erziehung anwenden?

Susanne: Minimalismus und Pädagogik stehen eigentlich schon immer miteinander in Beziehung, nur wird das oft nicht zusammen betrachtet. Wir finden Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche schon in der Montessori-Pädagogik und in der Waldorfpädagogik, aber auch moderne Ansätze arbeiten damit. Pädagogik hat mit dem Sozialen zu tun, mit der Beziehung und dem, was zwischen Menschen passiert. Kinder lernen an Vorbildern und brauchen den Raum, sich frei und entsprechend ihrer eigenen Interessen zu bilden. Diese Möglichkeit haben sie ganz besonders, wenn wir als Eltern auch den Schwerpunkt auf die Beziehung setzen und ihnen die Möglichkeit geben, ganz in ihre Themenwelten abzutauchen und darin zu lernen. Das ist aber schwer, wenn sie in zu vollen Spielräumen abgelenkt sind und zwischen Materialien pendeln, statt sich wirklich zu vertiefen.

"Minimalismus heißt auch mit den eigenen Ressourcen gut umzugehen" - Wie schafft man es als Familie, dass jeder genug Freiraum für sich hat, sowohl räumlich als auch zeitlich?

Susanne: Das Wichtige für Familien ist, Stress zu reduzieren. Das können wir durch Minimalismus sehr gut: Weniger Kram zum Aufräumen, Essen vorkochen und unter der Woche weniger Stress mit Nahrungszubereitung haben. Sich mit wenigen Basics gut pflegen - so gewinnen wir Zeit, die wir für das Miteinander, aber auch die Selbstfürsorge nutzen können.

Milena: Ich war früher sehr frei, sehr spontan und habe mich nie festgelegt privat. Alles hat irgendwie funktioniert, aber ich war sehr gehetzt. Jetzt haben wir als Paar feste Zeiträume für alles. Sogar fürs Spontansein. Dadurch ist Care-, Haus- und Erwerbsarbeit fest und fair geregelt und eben auch Zeit für sich.

Foto(s): Katja Vogt/Knesebeck Verlag, Katja Vogt/Knesebeck Verlag