Familiennachzug für Flüchtlinge: Gemein oder nicht?

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In der Großen Koalition gibt es Knatsch: Sollen minderjährige Flüchtlinge ihre Eltern nachholen können oder nicht? Hier ein paar praktische Beispiele aus meinem Bekanntenkreis.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Bei der so genannten „Flüchtlingsdebatte“ geht es viel um Symbole. Die Ängste, die mit dem Zuzug so vieler Menschen verbunden sind, krallen sich zum Beispiel mehr an Symbolen als an Realem. Und auch viele Befürworter einer offenen Politik laufen stur an inneren Leitplanken wie einer Moral entlang. Symbole sind kein Kokolores, sie haben ihren berechtigten Platz in der Politik. Nur dürfen sie nicht dominieren.

Doch das passiert gerade zwischen CDU, CSU und SPD. Die Große Koalition streitet darüber, ob minderjährige Flüchtlinge mit subsidiären Schutzstatus ihre Eltern nachkommen lassen dürfen oder nicht. Die SPD argumentiert mit Menschlichkeit. Die Union befürchtet, dass dann hauptsächlich Kinder auf die „Route“ gesetzt werden. Und will endlich ein Zeichen setzen, nach dem Motto: Wir können auch anders. Wir können immer noch auch gegen Flüchtlinge poltern, wie wir es jahrzehntelang taten. Immerhin zeterte selbst Angela Merkel (CDU) noch vor kurzem gegen „Multikulti“ – ein Begriff, dem Konservative alles nur denkbar Negative andichten, ohne genau zu wissen, was er tatsächlich heißt: nämlich die Akzeptanz einer Einwanderung, die Akzeptanz vielschichtiger Erfahrungen und vor allem heißt dieser Begriff nicht, dass diese Erfahrungen in einem Wischiwaschi enden.

Die Union will also bei den Minderjährigen hart bleiben. Das ist symbolhaft. Denn was bedeutet der „subsidiäre Schutzstatus“? Den erhalten Menschen, die etwa nicht asylberechtigt sind im Sinne politischer Verfolgung – denen aber bei einer Abschiebung ernsthafte Schäden drohen würden, etwa Folter oder Todesstrafe. Syrer zum Beispiel erhalten in Deutschland kaum diesen Status.
Überhaupt haben im Jahr 2015 nur 105 minderjährige Geflüchtete in Deutschland diesen Status erhalten. Darüber streitet die Bundesregierung. Es ist lächerlich.

Wir wissen kaum, was eine Flucht ausmacht

Symbole aber kennen keine Grenzen. Was mancher Unionspolitiker im Hinterkopf hat, ist der Gedanke: Familiennachzug könnte generell ein Problem darstellen, dann kommen ja noch mehr. Sicherlich, Experten schätzen, dass 2015 bisher 35.000 bis 40.000 Minderjährige nach Deutschland geflohen sind. Viele von ihnen stellten Asylantrag, viele nicht; als Minderjährige haben sie eh gute Chancen auf eine Zukunft in Deutschland. Um all die geht es eigentlich.

Was heißt es, als Jugendlicher zu fliehen? Kinder und Jugendliche brauchen sichere Häfen noch meisten, eine Umgebung, in der sie sich beschützt fühlen. Unsere Kinder wachsen hier in Deutschland mittlerweile so behütet auf, dass ihnen selbst der Gang allein zum Kiosk einer Abenteuerreise vorkommt. Wie ergeht es wohl Jugendlichen, welche die Eltern schweren Herzens losschicken, nach dem Motto der Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod findest du allemal. Die sich auf den Weg machen, weil man ihnen die körperlichen Strapazen am ehesten zutraut?

In Deutschland wird viel über Integration geredet. Einige Zeitlang vor allem über die jungen Männer, diese potenziellen Troublemaker rund um Silvester. Das hat sich, wie zu erwarten war, wieder gelegt. Aber wie soll eine Integration geschehen, wenn diese jungen Leute allein bleiben – und wie gut würde sie gelingen, wenn sie mit ihren Liebsten zusammen wären?

Was heißt hier Integration?

Ich kenne zwei Fälle aus meinem Bekanntenkreis, in denen der „Familiennachzug“ Thema ist. Da sind Hanadi, 15, und Ahmad, 21, aus Syrien, sie waren die ersten syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge überhaupt, die 2012 nach Deutschland kamen – im Rahmen einer spektakulären Rettungsaktion über Facebook, die der Zeitenspiegel-Reporter Carsten Stormer initiiert hatte: Ihre Haut durch eine Granate nahezu völlig verbrannt, überlebten sie knapp. Sind bestens „integriert“. Sprechen perfekt Bayrisch. Engagieren sich, lernen in der Schule. Und doch nagt an ihnen das Schicksal ihrer Familie, die mittlerweile in den Libanon geflüchtet ist. Seit Jahren versuchen sie, wenigstens erstmal den Vater nach Deutschland zu kriegen, sie verzehren sich danach. Es schlägt auf die Seele. Doch um einen Termin allein zum Vorsprechen bei der deutschen Botschaft in Beirut zu bekommen, muss man monatelang warten. Die Prüfung dann dauert nochmal Monate. Entscheidungen werden verschleppt. In Deutschland predigt die Kanzlerin die offene Politik. Die Botschaften aber in den „Flüchtlingsländern“ verschanzen sich wie Trutzburgen.

Ein anderer Fall: Muhammad*, er hat es irgendwie nach Berlin geschafft. Der 16-Jährige ist auf sich allein gestellt. Der Vater hängt in Izmir in der Türkei fest, die Mutter war von dort zurück nach Aleppo gereist, um ihre Papier neu zu besorgen – für das Ziel Deutschland - , und hängt nun, seit die Türkei die Grenze nach Syrien dichtgemacht hat, in Aleppo fest. Muhammad lernt fleißig Deutsch, er ist helle, vernünftig, wie alle mit seiner Erfahrung für einen Jugendlichen zu ernst und zu brav. Und Muhammad weiß nicht wohin: Mit seiner Familie zu sein wäre das Normalste und Vernünftigste, doch das Schicksal des Krieges hat seine Familie zerschlagen. Das nagt an ihm. Er überlegt gar, zurück in die Türkei zu gehen, in der Hoffnung, dort seine Familie am ehesten wiedervereinigt vorzufinden. Das warme Bett in Deutschland, die festen Mahlzeiten würde er eintauschen gegen ein Leben in einem armen Lager – mit Vater und Mutter. Ich hoffe, er bleibt hier. Und dass seine Eltern es bald nach Berlin schaffen.

Am Ende eine einfache Frage, symbolhaft ist sie nicht: Sich das nicht für Muhammad, für Hanadi und Ahmad wünschen – wäre das nicht gemein?

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