Fast doppelt so viel wie Frankreich - Warum Deutschland trotz Krise mehr als jeder andere an die EU blechen muss
Deutschland ist im Vergleich von EU-Beiträgen und Einnahmen der Zahlmeister der Union – trotz der schwierigen Wirtschaftslage. Die Kommission behauptet, Deutschland profitiere viel mehr, als die Zahlen zeigen.
Die Zahlen, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln jetzt ausrechnet hat, sehen so aus: Im vergangenen Jahr überwies die Bundesrepublik 17,4 Milliarden Euro mehr an die Europäische Union, als sie von ihr erhielt. Auf Platz zwei folgt mit deutlichem Abstand Frankreich, das etwa neun Milliarden mehr an Brüssel gezahlt hat, als es herausbekam. Größter Nutznießer hingegen ist Polen: 8,2 Milliarden Euro mehr gab die EU an Polen weiter, als sie von dem Land erhalten hat.
2022 hatte der Beitrag Deutschlands mit 19,7 Milliarden Euro noch höher gelegen. Grund für den Rückgang ist die schwache wirtschaftliche Lage, die auch in diesem Jahr ihren Einfluss haben dürfte. Die Nettozahlungen könnten sich im laufenden Jahr etwas in Richtung Spanien und Portugal verschieben, bei denen es konjunkturell besser läuft als in Deutschland. Bei den Zahlungen pro Kopf lag im vergangenen Jahr Irland mit netto etwa 236 Euro pro Einwohner vorn. Die Deutschen liegen hier mit einigem Abstand auf Platz zwei: 206 Euro pro Kopf waren es hierzulande.
Sind wir also der Zahlmeister, obwohl sich Deutschland das wirtschaftlich gar nicht erlauben dürfte?
Profiteure: Länder mit viel Landwirtschaft und niedrigen Löhnen
Der Beitrag zum EU-Haushalt wird folgendermaßen festgesetzt: Zuerst rechnet jedes Land nach einem vorgegebenen, für alle gleichen System sein sogenanntes Bruttonationaleinkommen (BNE) aus. Das BNE erfasst alle Einkommen von deutschen Bürgern und Unternehmen, ganz unabhängig davon, ob sie im Inland erzielt wurden oder aus dem Ausland zufließen, was der wesentliche Unterschied zum Bruttoinlandsprodukt ist.
Die EU hat eigene Einnahmen, zum Beispiel ihre Außen-Zölle. Für den ungedeckten Großteil des Haushalts kommen die Mitgliedsländer auf, die einen einheitlichen Prozentsatz ihres BNE in den EU-Haushalt einzahlen, dabei hat Deutschland das mit Abstand höchste Bruttonationaleinkommen.
Auf der anderen Seite profitieren jene Länder, die wegen eines hohen Agraranteils viel Geld bekommen oder solche, in denen die Menschen vergleichsweise wenig verdienen. Zu beiden Gruppen gehört Deutschland nicht, weswegen das Geld, das hierzulande aus der EU ankommt, vergleichsweise bescheiden ist.
Deutschland zahlte schon immer die größten EU-Beiträge
Der Haushalt der Europäischen Union betrug im Jahr 2023 insgesamt 173,1 Milliarden Euro, davon flossen 143,4 Milliarden Euro an die Mitgliedstaaten, der Rest ging in Drittländer. Hinzu kamen noch einmal kreditfinanzierte Ausgaben im Rahmen von NextGeneration EU (NGEU), dem Aufbauprogramm der EU nach Corona in Höhe von 66,1 Milliarden Euro. Insgesamt lagen die Ausgaben des EU-Haushalts rund 6,8 Milliarden Euro unter dem Niveau von 2022, was vor allem mit einem Rückgang der sogenannten Kohäsionsausgaben erklärt werden kann, also dem Geld, das verwendet wird, um die Lebensverhältnisse in der EU anzugleichen.
Deutschland hatte schon immer den größten Anteil am EU-Haushalt zu zahlen. Seit dem Austritt Großbritanniens ist dieser noch einmal deutlich gestiegen. Davor lag er durchschnittlich bei 13 bis 14 Milliarden Euro.
Gemeinsame Ausgaben werden wichtiger als die Regionalförderung
Soweit das etwas mühsame Zahlenwerk. Was hat nun Deutschland von seiner Nettozahlerposition? Das Institut der Wirtschaft gibt darüber keine Auskunft. Von den Studienautoren heißt es lediglich nüchtern: „Die Kalkulation von Zahlungsströmen kann beispielsweise darlegen, inwieweit die EU (…) Umverteilungspolitik betreibt. Die Berechnung kann zeigen, ob ähnlich wohlhabende Länder auch ähnliche Nettozahlungen aufweisen und ob ähnlich arme Länder ähnlich hohe Nettoempfänger sind.“
Auch die EU selbst wehrt sich gegen die „Nettozahler“-Debatte. In einem Erklärpapier der Europäischen Kommission heißt es: Bei Agrarmitteln und der Regionalförderung (Kohäsionspolitik) lasse sich einigermaßen erkennen: Was zahle ein Mitgliedstaat ein, was bekomme es wieder heraus? Doch diese Budgetposten schrumpften und machten künftig nur noch etwa ein Drittel des EU-Haushalts aus.
Wichtiger würden die gemeinsamen Zukunftsaufgaben. Die EU-Verteidiger zählen auf: Fortschritte in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, eine gemeinsame Klimaschutz- und Energiepolitik, gemeinsame Investitionen in Forschung und Innovation, Zusammenarbeit europäischer Strafverfolger, der Euro – all das habe seinen Wert.
Wenn im Ausland gebaut wird, fließt Geld oft nach Deutschland zurück
Dazu komme: Beiträge für die Regionalförderung flössen oft nach Deutschland zurück – in die Bau-, Baugeräte- und Baustoffindustrie, den Maschinen- und Fahrzeugbau, Ingenieurbüros – sie alle verdienen an den Aufträgen, die aus den Ländern kommen, die von der EU-Kohäsionspolitik finanziell unterstützt werden.
Und schließlich, so argumentieren die Verteidiger dieser Haushaltspolitik in Brüssel: Von 100 Euro, die ein europäischer Bürger erwirtschafte, nehme ihm der Staat über Steuern, Abgaben und Sozialbeiträge im europäischen Durchschnitt etwa 50 Euro ab. „Von den 50 Euro geht derzeit nur 1 Euro in den EU-Haushalt.“ Etwa 49 Euro aber blieben weiterhin bei den nationalen Behörden – in Deutschland also bei Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen.
Das Problem bei dieser Argumentation: Den harten Zahlen, die belegen, dass die Deutschen das meiste Geld für die EU aufbringen, stehen Vorteile gegenüber, die nicht wegzudiskutieren, aber eben auch nicht so einfach zu beziffern sind. Die Zahlmeister-Debatte bleibt Deutschland damit weiter erhalten.