Fast die Hälfte der deutschen Unternehmen findet es schwierig, nicht-weiße, queere und Menschen mit Behinderungen in ihrer Werbung abzubilden

Themen wie Rassismus und Diskriminierung sind in den vergangenen Jahren durch gesellschaftliche Bewegungen wie "Black Lives Matter" (BLM) und "Stop Anti-Asian Hate" mehr in das Bewusstsein der Menschen weltweit gerückt. Damit spielen Menschen, die nicht-weiß, queer oder behindert sind, auch eine zunehmend wichtige Rolle in der visuellen Kommunikation von Unternehmen. Sie sind schließlich Zielgruppen, die immer mehr erwarten, in der werblichen Bildsprache repräsentiert zu werden. Kurz gesagt: Wollen Unternehmen Produkte an diese Menschen verkaufen, müssen sie sie zunehmend auch in ihrer Werbung unterbringen.

Anlässlich des Oktobers, dem „Global Diversity Awareness Month“, hat die Kreativ-Plattform Shutterstock, die unter anderem Stock-Fotos für Medien und Werbung bereitstellt, einen Diversity-Report veröffentlicht. Dafür wurden 2700 Werbetreibenden aus Australien, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Italien, Südkorea, Spanien, Großbritannien und den USA befragt. Diese sollten beantworten, welchen Einfluss die Themen Diversity und Inklusion bei ihren Marketing-Entscheidungen haben.

Queere Menschen sind in Marketing-Aktionen häufig noch unterrepräsentiert

Viele Unternehmen haben im vergangenen Jahr Anti-Rassismus-Verpflichtungen entwickelt und eingeführt. Doch die "Black Lives Matter"- und "Stop Anti-Asian Hate"-Bewegungen wirkten sich nicht nur auf die Unternehmenskultur, sondern auch auf die Außenwahrnehmung aus. So sagten 63 Prozent der Befragten, dass die Bewegungen ihre Auswahl auf den Content beeinflusst hätten, in Deutschland vertraten 54 Prozent diesen Standpunkt. Ethnische Vielfalt sehen demnach 65 Prozent der Marketing-Experten als wichtigen Aspekt bei der Ansprache ihrer Zielgruppen. Auch hier liegen die deutschen Werbetreibenden mit 60 Prozent unter dem weltweiten Durchschnitt.

Allerdings ist es für viele Befragte auch eine Herausforderung, das Image ihrer Marke mit ethnischer Vielfalt zu verbinden. Unter den deutschen Werbetreibenden empfinden fast die Hälfte, 46 Prozent der Unternehmen, dies nach eigener Angabe als schwierig, im weltweiten Durchschnitt sind es 44 Prozent. In einer Übersichtsarbeit, die 2018 im „Journal of Marketing Management“ erschien, schreibt die Forscherin Judy Foster Davis: „Zwar haben sich die Darstellungen von People of Color im Laufe der Jahre deutlich verbessert, doch Studien zeigen, dass viele gängige Marketingstrategien häufig das Konzept der weißen Überlegenheit verstärken.“ Diese könnten auch verdeckt und unbeabsichtigt sein – seien aber in die Marketing-Organisationskultur eingebettet.

Michael Stuber ist Gründer und Inhaber von „Ungleich Besser ENGINEERING D&I“. Die Firma berät Unternehmen im Bereich Diversity und Inklusion. Stuber sagt: „Die meisten Unternehmen wissen gar nicht genau, wie vielfältig ihr Markt ist.“

Unternehmen teilweise unbeholfen beim Thema Diversität

Die "BLM"-Bewegung habe beispielsweise dazu geführt, dass viele Unternehmen „reflexartig“ zum Beispiel schwarze Personen in ihre Werbekampagnen aufgenommen hätten. Die tatsächliche ethnische Vielfalt spiegele dies jedoch nicht wider. „Es ist wichtig, dass Unternehmen verstehen, welche Vielfalt relevant für ihren Erfolg ist. Daten zeigen seit langem: Deutschland ist viel diverser als die meisten annehmen.“

41 Prozent der deutschen Werbenden gaben im Shutterstuck-Report außerdem an, dass sie es schwierig fänden, Marken in Verbindung mit LGBTQI-Inhalten darzustellen. Die Association for Consumer Research der University of Minnesota Duluth hat 2019 eine explorative Studie zu Werbung in der LGBTQI-Community veröffentlicht. Die Autorinnen Erica Ciszek und Kate Pounders kommen zu dem Schluss, dass queere Menschen in Marketing-Aktionen häufig noch unterrepräsentiert seien. Befragte Personen aus der Community wünschten sich vor allem nuanciertere Darstellungen, die ihre Lebenswirklichkeit einbeziehen und die Vielfalt ihrer Gender-Identität darstellen würden. Dies sei oft noch nicht der Fall. Vielmehr gebe es traditionell vor allem zu bestimmten Zeiten Werbung, wie zum Pride Month, bei dem in der Regel nur bestimmte – und oft stereotypische – Produkte wie Mode oder Alkohol beworben würden.

Diverse Zielgruppen wollten keine Sonderkampagnen, sagt Stuber. „Sie möchten sich im Massenmarketing als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft wiederfinden. Da gibt es in Deutschland weiterhin ein deutlich messbares Defizit.“ Will ein Unternehmen sich beispielsweise als familienfreundliche Marke präsentieren, sollte es zusätzlich zum „traditionellen“ Familienbild auch zeitgemäße Familien zeigen, so der Experte. „Außer dem heterosexuellen weißen Elternpaar gibt in Deutschland multiethnische, gleichgeschlechtliche und weitere Familien. Wenn ein Unternehmen diese auch zeigt, spricht es alle Familien an.“

Teilnehmende der Studie sagten, dass Marken sich mehr mit betroffenen Personen auseinandersetzen sollten, um die Vielfalt der Erfahrungen zu verstehen. Dass die Marketing-Branche diverser werden sollte, finden auch die befragten Werbetreibenden der Shutterstock-Umfrage: Drei Viertel sagen, dass es für authentische Inhalte wichtig sei, dass diese von der gleichen Zielgruppe erstellt werden, die sie erreichen sollen.

Ein Drittel der Werbe-Verantwortlichen weltweit sagen im Diversity-Report von Shutterstock, dass es beim Erstellen von Marketing-Kampagnen am wichtigsten sei, die aktuellen Geschehnisse abzubilden, wie zum Beispiel die "BLM"-Bewegung. Sie sagen jedoch auch, dass die Werbung das Unternehmens-Image widerspiegeln sollte. Kundinnen und Kunden sind authentische Marken allerdings wichtig. Daher müssen sie sicherstellen, dass ihr Marketing mit ihren zentralen Kernbotschaften und dem Markenimage übereinstimmt. Sonst riskieren sie, als unglaubwürdig wahrgenommen zu werden.

Authentische Inhalte sollten von der gleichen Zielgruppe erstellt werden

Der Report zeigt, dass eine korrekte Darstellung der Gesellschaft der Hauptgrund für Werbetreibende ist, verstärkt vielfältige Inhalte zu nutzen. 74 Prozent der Vermarkter vertreten die Auffassung, dass die Verwendung diverser Inhalte auch dem Ruf einer Marke zugutekommt.

Tatsächlich bestätigt eine McKinsey-Studie von 2020 den Zusammenhang zwischen Diversität und Geschäftserfolg. Je diverser ein Unternehmen in Bezug auf Geschlecht und ethnische Herkunft ist, desto erfolgreicher ist es auch. Dies könnte auch für Werbe-Aktionen gelten, zumindest sehen 74 Prozent der Befragten im Shutterstock-Report diesen Zusammenhang. 64 Prozent verwenden dafür Inhalte mit gleichgeschlechtlichen Paaren, 68 Prozent mit ethnisch diversen Models, 60 Prozent mit Menschen mit Behinderungen und 62 Prozent von Transgender-Models.

33 Prozent der deutschen Werbetreibenden verwenden außerdem gendergerechte Sprache. 15 Prozent hingegen lehnen genderspezifische Sprache in Marketingmaßnahmen ab – dabei sind doppelt so viele Männer dagegen wie Frauen, nämlich 22 gegenüber zehn Prozent.