FDP und SPD drohen - Die Ampel-Uhr tickt – warum der Zoff mit Scholz genau jetzt eskaliert
Halten sich die Ampelkoalitionäre an ihre eigene Frist, muss der Bundeshaushalt für 2025 bald stehen. Doch ausgerechnet jetzt kracht es wieder. Der Regierung fehlt Zeit und Geld.
Spätestens am 3. Juli entscheidet sich, wie entspannt der Sommerurlaub für die Mitglieder der Ampelregierung wird. Der Tag ist der letzte Mittwoch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause. Wenn sie beginnt – zumindest war das früher einmal so – wurde es leerer in den Büros von Bundestag und Ministerien.
Niemand möchte bei sommerlichen Temperaturen hitzige Diskussionen führen, weshalb die Ampelkoalitionäre den Bundeshaushalt für 2025 bis zur Kabinettssitzung an ebenjenem 3. Juli unter Dach und Fach bringen wollen. Doch der Plan der Koalitionsspitze um Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wackelt. In den Parteien rumort es gewaltig : Wieder einmal zieht ein Gewitter auf, das zum Aus der Koalition führen könnte.
Die Haushaltsplanung ist ein komplexes Unterfangen, doch die Aufgabenstellung liest sich verhältnismäßig einfach: Im kommenden Jahr soll es nach dem Willen von Lindner Maßnahmen für eine „Wirtschaftswende“ geben. Gleichzeitig soll die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse nicht gelockert werden. Um beides in Einklang zu bringen , muss eine Lücke von rund 25 Milliarden Euro geschlossen werden. Die Ministerien sollen deshalb sparen.
In der SPD rebellieren nicht nur die Linken
In der SPD stößt das vor allem der linken Gruppierung Forum Demokratische Linke 21 (DL21) sauer auf. Kürzungen hält man unter anderem in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Bildung für inakzeptabel. Mehr noch: „Stattdessen brauchen wir Aufwüchse in diesen Bereichen sowie deutlich mehr Investitionen in bezahlbares Wohnen, eine nachhaltige Infrastruktur, starke Kommunen und einen ambitionierten Klimaschutz“, heißt es in einem Papier von DL21. Ein Sparhaushalt bedeute eine „Geisterfahrt in ökonomischer, ökologischer und demokratischer Hinsicht“.
Um dem Nachdruck zu verleihen, streben die SPD-Linken ein Mitgliederbegehren in ihrer Partei an. Sie wissen dabei sehr wohl, dass im Falle eines Erfolgs die Beinfreiheit ihres Kanzlers bei den Haushaltsverhandlungen deutlich eingeschränkt würde. Das Begehren unterstützt mittlerweile auch der Parteinachwuchs, der Juso-Bundesvorstand hat sich den Zielen von DL21 angeschlossen.
Zugespitzt hat sich die Lage in der SPD aber vor allem deshalb, weil zum einen auch Parteichefin Saskia Esken den Sparkurs der FDP für einen Fehler hält und Scholz dazu bewegen will, sich über Lindners Plan hinwegzusetzen. Zum anderen rebelliert längst nicht mehr nur die Parteilinke: Die Vize-Fraktionschefs Matthias Miersch und Dirk Wiese sowie Innen-Expertin Dorothee Martin, die verschiedenen Flügeln angehören, wollen laut einer gemeinsamen Stellungnahme „auch in diesem Jahr die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen“.
Schuldenbremse aufweichen oder harter Sparkurs?
Das wiederum regt den Koalitionspartner gehörig auf. Jens Teutrine, Sprecher der Jungen Gruppe in der FDP-Bundestagsfraktion, sagte der „Bild“ am Montag: „Allen muss klar sein: ohne Schuldenbremse, ohne uns.“ Heißt im Klartext: Die 30 jungen Abgeordneten um Teutrine würden der Ampel ihre Unterstützung verweigern, wenn Scholz und Lindner wegen der SPD-Revolte einknicken. Die Koalition würde das wohl kaum überleben.
Zumal nicht nur die jungen FDP-Politiker aufbegehren. Partei-Vize Wolfgang Kubicki sagte FOCUS online: „Ich gehe eher davon aus, dass nicht nur 30 Abgeordnete der FDP-Fraktion absolut zur Schuldenbremse stehen, sondern alle 91. Das ist im Übrigen geltende Verfassungslage. Wer die Verfassung brechen will, wird das nur ohne uns tun können.“ Auch Frank Schäffler, Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestags, schlug im Gespräch mit FOCUS online scharfe Töne an: „Wenn Teile der SPD die Schuldenbremse schleifen wollen, dann legen sie vorsätzlich die Axt an den Fortbestand der Koalition.“
Aus der Misere gibt es eigentlich nur zwei Auswege: Entweder man findet einen politischen Kompromiss – oder 25 Milliarden Euro. Möglicherweise gelingt auch eine Mischung aus beidem: Wie der „Spiegel“ berichtet, könnte der Finanzminister nicht eingeplante Privatisierungserlöse geschickt so verschieben, dass der finanzielle Spielraum fürs kommende Jahr wächst. Luft verschafft demnach auch die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank, Lindner erwägt außerdem einen Nachtragshaushalt.
Die ganze Lücke lässt sich damit aber kaum stopfen. Ohne dass ein Ministerium nachgibt, wird es nicht gehen. Geschont werden könnten Verteidigungsminister Boris Pistorius und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD). Ihre Aufgabenbereiche genießen aufgrund der Weltlage Priorität. Um ihre Etatwünsche bangen müssen, so heißt es immer wieder, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Vor allem letztere musste sich jüngst dafür rechtfertigen, dass aus ihrem Haus hohe Summen ins Ausland fließen.
Der Zeitplan für den Haushalt steht auf der Kippe
Es bleiben nur noch eineinhalb Wochen für eine Einigung, will man nach dem 3. Juli in den Sommerurlaub starten. Offiziell gibt es von dem Datum noch kein Abrücken. Doch ganz genau darauf festlegen wollte sich Scholz im ARD-Sommerinterview nicht. „Ich bin auch ganz zuversichtlich, dass wir den Haushalt im Juli auf den Weg bringen“, sagte der Kanzler allgemeiner gehalten.
Lindner sieht zwar „Fortschritte“ beim Haushalt und versichert: „Wir haben den vom Kanzler genannten Termin weiter im Blick.“ Aber er hält nichts von einer harten Frist, seine Maxime ist: „Gute Einigung, zukunftsweisender Haushalt, ambitionierte Wirtschaftswende ist wichtiger als Geschwindigkeit.“
Für ihn steht nach dem 3. Juli ohnehin kein Strandausflug an, zunächst geht es zum Nato-Gipfel nach Washington. Möglicherweise wird dieser die Haushaltsverhandlungen unterbrechen, danach müssten sie wieder aufgenommen werden. Denn nach dem Beschluss im Kabinett muss der Haushaltsentwurf bis Mitte August an den Bundestag, ab September soll er dort beraten werden.
Vielleicht reicht es dann für Scholz und Co noch zu einem herbstlichen Kurztrip – sollten sie nicht mit der nächsten Koalitionskrise beschäftigt sein.