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Feature: Im Schutze der Nacht nach Kobane

Auf den Schmugglerpfaden im türkisch-syrischen Grenzgebiet herrscht nachts reger Betrieb. Foto: Shabtai Gold

Nach Kobane wollen sie, ausgerechnet in die seit Wochen umkämpfte Stadt im Norden Syriens. Eine Gruppe kurdischer Männer hat sich an diesem Abend auf der türkischen Seite der Grenze versammelt, um sich mit Anbruch der Nacht auf den Weg zu machen.

Seit knapp einem Monat versucht die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die Stadt zu überrennen. Dass die Gegenwehr der kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) noch lange aufrechtzuerhalten sein wird, scheint derzeit eher unwahrscheinlich. Doch genau deswegen sind sie ja hier. Einige sind Kämpfer und wollen ihre Brüder und Schwestern auf der anderen Seite der Grenze unterstützen.

Doch die türkische Regierung ist äußerst zurückhaltend damit, den Männern offiziell den Grenzübertritt zu erlauben. Schließlich sollen in Kobane auch Kurden mit Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei PKK kämpfen. Die Kurdenpartei aber steht in der Türkei, in den USA und in europäischen Ländern auf der Liste der Terrororganisationen. Bleibt also nur der inoffizielle Weg.

Den geht auch Araf, der gleich mehrere gut gefüllte Taschen mit Fladenbrot über die Grenze schmuggeln will. Damit versorgt er Hunderte Flüchtlinge, die auf der syrischen Seite mit Autos und Schafen - ihren einzigen Besitztümern - darauf warten, in die Türkei gelassen zu werden. «Die Menschen dort drüben sind sehr hungrig», sagt Araf.

Währenddessen fliegt die von den USA angeführte Koalition nahe Kobane einen Luftangriff, einige der um Araf versammelten Männer beginnen zu jubeln. «Ich kaufe jeden Tag Brot in der Türkei und bringe es hinüber», fährt Araf fort.

Diejenigen, die nach Syrien wollen, wissen, dass der Weg über die Grenze gefährlich ist. Die türkische Polizei könnte sie festnehmen oder gar das Feuer eröffnen. Auf der anderen Seite sind die Extremisten des IS, die immer näher auf die Grenze vorrücken. Ganz zu schweigen von den Landminen, die auch noch irgendwo vergraben sind. «Ich kenne den Weg zwischen den Minen hindurch», sagt Araf. Mit dem Aufbruch will er aber noch ein bisschen warten, bis die türkischen Sicherheitskräfte wieder durch einen weiteren Luftangriff abgelenkt sind.

Als es soweit ist, führt er die Gruppe über die Grenze. Einige der Männer wurden in der Türkei geboren, andere in Syrien, doch alle sind sie Kurden. Abgesehen von Araf, der täglich den Weg über die Grenze geht, haben die Männer, die kämpfen wollen, keine Pläne für eine Rückkehr in die Türkei. Als sie sich anschicken, in der Dunkelheit zu verschwinden, versuchen noch einige andere, die dabeistehen, sie von ihrem gefährlichen Vorhaben abzuhalten. Verzweifelt warnen sie vor dem IS, der Menschen enthaupte. Doch bei manchem löst das wohl eher den gegenteiligen Effekt aus. Ein eben noch zögerlicher junger Mann springt auf, um sich jenen anzuschließen, die hinüber wollen.

Ganz anders die Gruppe, die in der Nähe beisammen steht. Sie sind zuvor aus der entgegengesetzten Richtung - aus Syrien - über die Grenze gekommen. Unter ihnen ist auch der Hirte Mustafa. Der Hunger betrifft nicht nur die Menschen in Syrien. So wissen die Hirten nicht mehr, womit sie ihre Tiere noch füttern können. Ganze Herden sterben ihnen weg. Auch Mustafa hat dieses Schicksal für seine Tiere bereits vor Augen. Er steht mit zwei anderen, völlig ausgehungerten Männern beisammen. 21 Tage lang hatten die Grenzer sie warten lassen. Dann entschieden sie, nicht länger auszuharren.

«Ich habe alle meine Schafe auf der anderen Seite», sagt Mustafa, und schlingt dabei eine Packung Kekse hinunter. «Sonst habe ich nichts auf dieser Welt. Ich hatte gehofft, die Türkei würde mir erlauben, sie mitzubringen.» Mittlerweile seien die ersten Tiere verhungert, weil er ihnen nichts mehr habe geben können. «Und ich kann sehen, wie der IS immer weiter an die Grenze heranrückt.»

Sein Freund berichtet von seinem Auto, das noch auf der syrischen Seite der Grenze steht. Er will es in der Türkei verkaufen oder zum Arbeiten nutzen. Trotz aller Widrigkeiten glaubt er weiter daran, dass er doch noch die Erlaubnis bekommt, seinen Wagen über die Grenze in die Türkei zu bringen. Die drei Männer sind sich einig, dass es das Wichtigste sei, den IS davon abzuhalten, ihre Besitztümer zu plündern. Die Terrormiliz dürfe nicht auch noch von den Verlusten der Menschen aus Kobane profitieren, sagen sie.